Das Geschäft mit den Heroin-Abhängigen in Bielefeld

Bielefeld. Es ist ein Millionengeschäft und nicht unumstritten. Als der Düsseldorfer Arzt Christian Plattner und seine Medikus-Gruppe im Sommer 2022 ankündigten, in Bielefeld eine Diamorphin-Praxis zu eröffnen, war der Aufschrei groß. Diamorphin ist pharmazeutisch hergestelltes Heroin. Es kann an Süchtige abgegeben werden, die mindestens 23 Jahre alt sind und bei denen Therapien und das Ersatzmittel Methadon nicht mehr helfen. Vor allem aber lässt sich damit auch viel Geld verdienen. 300 bis 400 Abhängige aus der ganzen Region will Plattner in seiner in der ehemaligen Hauptpost an der Nahariyastraße geplanten Praxis behandeln. Viele fürchten einen Junkie-Tourismus an einem Standort, in dessen Nachbarschaft sich schon jetzt mit dem Stadtbahnzugang Tüte einer der größten Drogenumschlagplätze Bielefelds befindet. Plattner hat inzwischen bei der Bezirksregierung Detmold einen Genehmigungsantrag für seine Praxis gestellt. In Düsseldorf, Holzwickede bei Dortmund, Iserlohn und Wuppertal betreibt Medikus bereits Standorte. Die Stadt Bielefeld und der Verein Drogenberatung wollen mit einer eigenen Diamorphin-Abgabe nur für Abhängige aus Bielefeld dagegenhalten und so die Ansiedlung von Medikus noch verhindern. Insider gehen jedoch davon aus, dass sich Plattner auch davon nicht abhalten lassen wird. Sollte ihm die gesetzlich vorgeschriebene Zusammenarbeit mit örtlichen Trägern der Drogenhilfe verwehrt werden, könnte er auch den Klageweg beschreiten. Das Recherchenetzwerk Correctiv hat sich jetzt ausführlich mit dem Geschäftsmodell der Medikus-Gruppe beschäftigt und erhebt den Vorwurf, dass sie sich bei der Diamorphin-Abgabe zumindest in Einzelfällen nicht regelkonform verhalten habe und das &bdquo;saubere Heroin“ auch an Abhängige abgegeben habe, die nicht zum Kreis der Berechtigten gehören. Mit Diamorphin verdiene Medikus zehnmal so viel wie mit der Vergabe von Methadon, rechnet Correctiv vor. Jeden Monat 1200 Euro pro Patient Über die Krankenkassen ist klar geregelt, was wie viel kosten darf. So schlug eine Dosis Methadon zuletzt mit 5,29 Euro zu Buche. Wird sie an Wochenenden oder Feiertagen verabreicht, wird ein Zuschlag von 11,61 Euro gezahlt. Im Monat könne ein Arzt so zwischen 60 und 120 Euro pro Patient abrechnen, so Dina Bogdanski und David Schraven in ihrem Correctiv-Beitrag. Für Diamorphin bekommt ein Arzt 38,04 Euro pro Tag. Der Zuschlag an Wochenenden und Feiertagen beträgt 23,33 Euro. In der Regel benötigt ein Süchtiger zwei Dosen pro Tag, macht im Monat durchschnittlich 1.200 Euro. So käme die Bielefelder Praxis bei bis zu 400 Patientinnen und Patienten auf einen Jahresumsatz von fast sechs Millionen Euro. Correctiv konnte in die Bilanz des Standortes Holzwickede schauen. Dort blieben nach Abzug aller Kosten einschließlich Personal und Steuern 500.000 Euro Reingewinn. &bdquo;Bei uns gelten die universellen Gesetze der Betriebswirtschaft“, hatte Plattner zuletzt im Gespräch mit dieser Zeitung zu seinem Geschäftsmodell gesagt. &bdquo;Umsatz ist nicht gleich Gewinn. Qualifizierte Mitarbeiter müssen adäquat bezahlt und hohe unternehmerische Risikobereitschaft auch belohnt werden.“ Die bundesdeutsche Heroinstudie habe die Überlegenheit der diamorphingestützten Behandlung gegenüber einer klassischen Methadonbehandlung eindeutig und unmissverständlich nachgewiesen. &bdquo;Diese hervorragend wirksame und zugleich effiziente Form der Behandlung aus der Schmuddelecke ins Licht der Öffentlichkeit zu holen, ist ein großer Treiber für alle in der Medikus-Gruppe tätigen Ärzte.“ Stadt und Drogenberatung planen eigene Praxis Das Correctiv-Autorenduo kommt eher zu dem Schluss, dass Menschen durch die Abgabe von Diamorphin in eine Dauerabhängigkeit getrieben würden. Und die werde von den Krankenkassen auch noch bezahlt. Beim Bielefelder Verein Drogenberatung und der Stadt sieht man dagegen durchaus auch eine Chance für Extrem-Abhängige, wenn sie Diamorphin erhielten. Es ist geplant, neben dem Drogenhilfezentrum an der Borsigtraße eine eigene Diamorphin-Praxis zu errichten, die keinen kommerziellen Zwecken dienen soll. Die Baukosten: 1,4 Millionen Euro. Ein Bedarf bestehe für rund 60 Menschen in Bielefeld, so Sozialdezernent Ingo Nürnberger. Er sähe die eigene Praxis als &bdquo;zusätzlichen stabilisierenden Faktor in einem gut funktionierenden Drogenhilfesystem“. Aber auch die kommunale Praxis muss die Anforderungen der Bezirksregierung erfüllen. Am Ende könnte es passieren, dass beide Angebote nebeneinander bestehen. Das Medium Correctiv ist eine spendenfinanzierte Non-Profit-Organisation, die für investigativen Journalismus bekannt ist. Die Correctiv-Recherche zur Medikus-Gruppe in voller Länge: correctiv.org

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