Kampf dem Verfall: Leerstehende Geschäfte an Bielefelds Bahnhofstraße werden wiederbelebt

Bielefeld. Tristesse pur. Anders lässt sich ein Gang vom Jahnplatz zum neuen Spindelbrunnen vor Saturn, mit Abstecher zur Sparkasse durch die Stresemannstraße nicht beschreiben. Bielefelds 1A-Lage präsentiert sich eher wie 3B. Schlaglichter: Unterm Jahnplatz das Forum, ein gammelnder Bereich ohne Tageslicht und ohne Geschäfte. Direkt am Jahnplatz Sportscheck, geschlossen seit Mitte Dezember 2022. Eröffnung jetzt erst 2024. Weiter geht`s: Rechter Hand Zara - hier wird saniert, weißrote Baken sperren alles ab. Daneben ein Leerstand: Zero war hier, der Name ist Programm. Linker Hand ein Bettler, ein armer Teufel. Dann Galeria/Karstadt - in den Fenstern hängen haufenweise Plakate à la Resterampe. Eindruck: Eher Ein-Euro-Shop denn ehemaliges Vorzeigehaus. "Lagerräumung" - "Alles muss raus" - "Tausende Artikel reduziert". Dann, an der Kreuzung, der nächste arme Kerl, der nach einem Euro fragt. Hier stehen auch aggressiv oder dümmlich agierende Werber, jetzt von Greenpeace. Oder Glaubens-Aktivisten. Rechter Hand Peek & Cloppenburg - top in Schuss. Gegenüber ex-Görtz - in den Schaufenstern sieben Monate nach der Pleite noch immer grell orangefarben für Schuhe geworben: "Wir schließen - 70 Prozent auf alles." Loom, ein feiner Anker Dann folgt das Loom, ein feiner Anker im trostlosen Umfeld. Gegenüber die frühere Dresdner Bank, im Eingang liegt ein Mann im Schlafsack. Insider sagen, bei der seit 2012 leerstehenden Immobilie tue sich nichts. Bei Görtz hingegen schon, es soll Interessenten und Gespräche geben. Neben dem Loom noch ein weiterer gut gepflegter Akteur, die Sparkasse. Vor beiden aber eine Fernwärmebaustelle, die Loom und Sparkasse mit Bauzauncharme verdeckt. Aggressiv anmutende Jugendliche treiben sich hier in Gruppen herum, Bettler auch. Dann, die Bahnhofstraße weiter runter gen Saturn und H&M wird alles besser. Linker Hand wirkt alles gut in Schuss: Müller und Decathlon, Woolworth und New Yorker - Ketten prägen die Straße, so auch gegenüber Christ und Douglas, Fielmann strahlt frisch eröffnet, Calzedonia auch, dann noch ein Leerstand, aber es wird immer besser Richtung C&A. Zalando eröffnet bald, Zumnorde, Mango und Only locken, gegenüber Jack Jones, Vero Moda und Tchibo. Und das Loom mit seinem zweiten Eingang. Deutlich wird: An der Bahnhofstraße hat sich der Wind gedreht, wurde es früher gefühlt Richtung Bahnhof immer schwieriger, ist es jetzt genau andersherum - Richtung Jahnplatz. Bahnhofstraße ist stark im Umbruch Handelsverband-Geschäftsführer Thomas Kunz sieht das genauso. "Im Moment stimmt dieser Eindruck, die Bahnhofstraße ist vom Jahnplatz an stark im Umbruch." Er sehe die Gefahr, dass eine Abwärtsspirale einsetzen könnte, glaube aber weiterhin an die 1A-Lage und ihre Stärke. Vieles hänge an Galeria/Karstadt, sagt der ehemalige Karstadt-Chef. Wenn sich hier was verändere, gebe es neue Chancen, aber, das stehe fest, selbst wenn es nur ein Art Sanierung und Umbau in der Substanz gebe, "dauert das ein Jahr oder länger", warnt er. Zu lange solle es nicht dauern. Zum Glück gebe es Interessenten, auch bei anderen Leerständen. "Das hören wir für die größeren Einheiten." Kunz: "Die Bahnhofstraße ist weiterhin die umsatzstärkste Straße, sie zieht weiter an." Doch es sei Druck im Kessel. "Die Straße selbst ist nicht mehr attraktiv, wir sollten Dinge wie die neue Möblierung nicht auf die lange Bank schieben." Das hatte 2022 auch Loom-Chef Jan Tangerding angemahnt, gepaart mit deutlicher Kritik an der Gestaltung der Fußgängerzone. Er hatte damit damals eine breite Debatte ausgelöst. Bloß nicht jahrelang warten, mahnt nun Kunz. Entscheidend sei die Perspektive, die müsse da sein, um Investoren zu finden. Der Handel sei weiter unter Druck, Stichwörter: Inflation, Energiekosten. Immer schwieriger, die City zu gestalten Doch es werde immer schwieriger, die City gemeinsam zu gestalten, so Kunz, so auch die Stadt. Kunz: "Früher gab es viele örtliche Eigentümer, heute sind es Fonds und Erbengemeinschaften." Anonym statt vertraut. Stadt und Einzelhandelsverband haben es schwer, in Kontakt zu kommen. Die Stadt ringt mit dem Citymanagement um die Bahnhofstraße, bemüht sich um Optimismus. Jana Gerdes vom "City-Team": "Wo Baustellen sind, entsteht etwas, das ist erst einmal ein Zeichen für Gutes." Auch sie sehe die Leerstände, aber bei einigen, das wisse sie von Maklern und Eigentümern, "ist etwas im Kommen, in der Pipeline". Es sei heute viel komplexer als früher, Mietverträge auszuhandeln, "das dauert oft sehr sehr lange", weiß sie. Folge: längere Leerstände. Weiter attraktiv für Filialisten Zu grellen oder alten Rabatt-Plakaten sagt sie: "Ja, das verunschönert das Bild." Ab Herbst will die Stadt deshalb Künstler und Pop-up-Stores als Übergangs-Nutzer etablieren, damit Leerstände anders wirken. Kunst statt leere Schaufenster. Auch nicht immer einfach: Werde innen schon vorbereitend saniert, kollidiere die Idee schnell mit Handwerkerterminen. Einige Eigentümer seien aber auch schlicht nicht zu erreichen. Trotzdem: Die Stadt will alles versuchen, um das Bild aufzuhellen. Und Gerdes ist optimistisch: "Wir haben noch nicht gespiegelt bekommen, dass der Standort beschädigt ist, er ist weiterhin sehr attraktiv für Filialisten." Aber, ein kleines Warnzeichen: Die Frequenz steige, die Umsätze aber seien im Sinken. Flanieren statt Shoppen. Es folgt: Das sagen Kaufleute.

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