"Sehe ich nicht ein": Bielefelder soll 141 Euro für 15 Minuten Falschparken zahlen

Bielefeld-Sennestadt. Wer als Zeitungszusteller zu nachtschlafender Zeit unterwegs ist, rechnet mit Blitzern, aber nicht mit Streit um Parkplätze. Doch NW-Zusteller Arend Wörmann hat nun genau das erlebt: Als er auf seiner neuen Tour an der Travestraße zur Prüfung um 6.15 Uhr noch einmal kurz seinen Wagen abstellte, wurde sein Fahrzeug von einem Kioskbesitzer fotografiert: auf seinem Privatparkplatz. Auf dem von Ranken überwachsenen Schild ist gerade noch zu lesen: &bdquo;Widerrechtlich parkende Fahrzeuge werden kostenpflichtig entfernt.“ Der Kiosk-Betreiber hat aber keinen Abschlepper bestellt. Der wäre ohnehin zu spät gekommen. Er hat seine Handy-App gezückt: &bdquo;Falschparkermelden“ ist wie &bdquo;Park & Collect“ aktuell ein beliebtes Werkzeug, um sich gegen blockierte Privatparkplätze zu wehren. Gerade kleine Unternehmen kämpfen immer wieder gegen ignorante Autofahrer auf ihren Kundenparkplätzen. Die App macht es ihnen einfach: Ein Foto machen und die Rechtsanwaltskanzlei sowie das angeschlossene Inkassounternehmen kümmern sich um die Eintreibung der Strafe. In der Regel geht es um die Abgabe einer Unterlassungserklärung (Abmahnung) und eine üppige Geldforderung. Der 62-jährige Bielefeld spricht von Abzocke - doch so einfach ist es nicht 141,42 Euro soll Arend Wörmann zahlen. Das sieht er nicht ein. Die Summe setzt sich zusammen aus 5,10 Euro für die Halterermittlung, 40 Euro für den Parkplatzbesitzer (ein Schadenersatz, im Brief &bdquo;Hauptforderung“ genannt) und 96,32 Euro Rechtsanwaltsgebühren. Abzocke, denkt der 62-jährige Bielefelder. Er schreibt zurück und gibt zu, für 15 Minuten dort geparkt zu haben. &bdquo;Selbstverständlich werde ich dies in Zukunft unterlassen“, schreibt er und hofft, dass damit die Sache erledigt ist. Anwalt: "Pauschalen Schadenersatz gibt es nicht" Doch so einfach machen ihm das Rechtsanwalt Oliver Lüsgens aus Köln und sein Team nicht. Lüsgens ist Erfinder der App &bdquo;Falschparkermelden“ und Geschäftsführer der Claim Rechtsanwalts GmbH, die die Marke "Verkehrsrechtinkasso.de" betreibt, an welche die Verkehrssünder die Kosten fürs Falschparken entrichten sollen. Die App hat nach Angaben von Lüsgens 30.000 registrierte User. Warum holen die nicht einfach das Ordnungsamt? Weil die Behörde nur im öffentlichen Verkehrsraum zuständig ist. Bei Privatparkplätzen sind Eigentümer oder Mieter selbst verantwortlich. Holen sie den Abschlepper, könnten sie aber auf den Kosten sitzenbleiben. Und hier kommt die App ins Spiel. Ist tatsächlich ein erkennbares Schild mit dem Hinweis &bdquo;Privatparkplatz“ zu sehen, dann handelt es sich um eine Besitzstörung, die hier geltend gemacht wird. Verbraucherschützer warnen vor den undurchsichtigen und hohen Zahlungsforderungen. Auch Rechtsanwalt Florian Schuh, der sich mit seiner Kanzlei elixir in Frankfurt auf die Abwehr solcher Forderungen spezialisiert hat, warnt, einfach zu bezahlen: &bdquo;Grundsätzlich darf man sich mit einer Unterlassungserklärung gegen Falschparker auf dem privaten Parkplatz wehren. Doch viel zu oft würde nicht ausreichend geprüft, ob die Voraussetzungen überhaupt vorliegen. Außerdem betont Schuh, dass es gar keinen pauschalen Schadenersatz gibt. &bdquo;Ich kann konkrete Abschleppkosten geltend machen oder eine Taxirechnung.“ Inkassofirma nennt die Forderung ein Vergleichsangebot Die App biete ihren Kunden aber eine pauschale Summe, die Kunden selbst zwischen 10 und 40 Euro wählen können. &bdquo;Es gibt sogar Urteile, die pauschalen Schadenersatz als Betrug bezeichnen.“ Auch die Kosten für die Halterermittlung sei nicht zulässig. Rechtlich möglich seien allerdings Rechtsanwaltskosten, aber auch nur ein Mal: &bdquo;Es gibt ein BGH-Urteil, dass besagt, dass die Nutzer bei wiederholtem Vorgehen keine Anwaltsberatung mehr benötigen“, sagt Schuh, der in seiner Kanzlei sogar prüft, ob Nutzer bereits mehrfach in ihren Akten vorkommen. Lüsgens reagiert gelassen: &bdquo;Diese erste Forderung ist ein Angebot in Form eines Vergleichs.“ Tatsächlich können die Parteien in einem Vergleich alles vereinbaren. Der Angeschriebene hat andererseits aber auch keinerlei Zahlungsverpflichtung. Der Kölner Anwalt, dem seit dem Start seiner App Abzocke und Förderung des Denunziantentums vorgeworfen wird, appelliert, das Gespräch zu suchen. &bdquo;Oft ist es am einfachsten, alles mit einem Telefonat zu regeln“, sagt er. Man habe bis jetzt immer eine Lösung gefunden, gibt er sich kompromissbereit. Letztendlich sei für ihn auch mit einer modifizierten Unterlassungserklärung alles geregelt. Doch dabei müsse in der Regel noch der eigene Anwalt bezahlt werden. Dass sein Angebot viele schlechte Bewertungen hat, stört ihn nicht: Wer Inkasso mache, habe kein Lob zu erwarten. Bielefelder durch sinkende Forderung der Inkassofirma irritiert Der Bielefelder Arend Wörmann ist durch seine drei Briefe aus Köln irritiert. Im zweiten Brief forderte man nur noch die Anwaltskosten (96,06 Euro), im dritten Schreiben waren es nur noch 67,47 Euro, die er zahlen sollte. Lüsgens spricht von einem Kulanzangebot nach 6 bis 7 Monaten Untätigkeit: &bdquo;Das machen wir bei Parkplätzen, die nicht mitten in der City liegen und die nicht ständig betroffen sind.“ Es heiße aber nicht, dass bei weiterer Zahlungsweigerung keine Forderung mehr zu erwarten sei. Irgendwann fühle man sich nicht mehr an das Vergleichsangebot gebunden, droht der Anwalt. Dann mache man den Unterlassungsanspruch geltend. Bei einem angenommenen Streitwert von 1.500 Euro könnten da Kosten von 500 Euro auf die Falschparker zukommen, sagt Lüsgens. Deshalb warnen selbst die Kritiker davor, gar nicht zu reagieren. Das Ziel ist eine modifizierte Unterlassungserklärung Florian Schuh rät trotzdem dazu, nicht zu zahlen. Sein Tipp: In der Unterlassungserklärung sollte man den Passus &bdquo;Zahlung der Kosten“ streichen und sie um die Formulierung &bdquo;ohne Anerkennen einer Rechtspflicht“ modifizieren. Strittig blieben am Ende immer die Anwaltskosten. Dass Betroffene wirklich so viel Geld zahlen müssen, ist zweifelhaft. Fehlen die Hinweisschilder oder sind sie nicht zu erkennen, fehlt jede Grundlage. In Bielefeld gab es auch schon App-Nutzer, die schnelles Geld machen wollten, indem sie einfach Fahrzeuge auf öffentlichen Parkplätzen ablichteten. Stimmt aber der Vorwurf, sollte man zumindest mit einer modifizierten Unterlassungserklärung reagieren. Im Zweifel braucht es dafür einen Anwalt, der auch Geld kostet. Wie so ein Schreiben aussehen könnte, hat Stiftung Warentest am Beispiel der Abmahn-Praxis bei &bdquo;Park & Collect“ formuliert. Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hatten wir Oliver Lüsgens als Erfinder und seit 2019 Betreiber der App &bdquo;Falschparkermelden“ bezeichnet. Das haben wir berichtigt. Zudem hatten wir geschrieben, dass er 30.000 Kunden hätte. Auch das haben wir berichtigt.

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