Ein Arzt-Lotse soll Mediziner nach Bielefeld locken

Bielefeld. Auf dem Papier stimmen die Zahlen, gibt es in Bielefeld fast genug Hausärzte und genügend Kinderärzte. Doch die Praxis sieht anders aus. Im Frühjahr wurden viele Fälle von Eltern bekannt, die für ihren Nachwuchs keinen Kinderarzt mehr fanden. Und auch viele Hausärzte in der Stadt nehmen keine weiteren Patienten auf. Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass schon bald viele Allgemein- und Kinderärzte in den Ruhestand gehen werden. Die Stadt will gegensteuern. Im Gesundheitsamt soll die Stelle eines &bdquo;Arzt-Lotsen“ eingerichtet werden. Er (oder sie) soll Mediziner, die sich in Bielefeld niederlassen wollen, unterstützen, ihnen bei der Suche nach Praxis- und Wohnraum behilflich sein. Nach den Sommerferien soll ein entsprechender Beschluss gefasst werden. Damit holt Bielefeld nach, was es in den Nachbarkreisen schon lange gibt. Im Kreis Herford beispielsweise, der bundesweit als eine der unterversorgtesten Regionen gilt, gibt es die &bdquo;Praxismacher“. Das sind Ärzte, die sich vorstellen können, dort Praxen zu übernehmen. Um die näher kennenzulernen, können sie dort ein Jahr lang für ein Monatsgehalt von 7.500 Euro brutto mitarbeiten. Bezahlt wird das vom Kreis und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). "Gemeindeschwester" im Einsatz Auch in Bielefeld wird darüber nachgedacht, den Nachwuchs-Medizinern finanzielle Anreize zu geben. Überlegt wird außerdem, ob in bestimmten Stadtquartieren mit besonders großen Versorgungslücken &bdquo;Gemeindeschwestern“ eingesetzt werden können, um niedergelassene Hausärzte zu entlasten. Sie könnten sich in einem &bdquo;Gesundheitskiosk“ um die Menschen kümmern, die etwa nur eine Erkältung zu beklagen haben. Doch vor der Eröffnung eines solchen Kiosks gibt es noch viele juristische und standesrechtliche Hürden. Was die Lage bei der ärztlichen Versorgung so bedrohlich macht, ist die demografische Entwicklung. &bdquo;Von den aktuell 209 Hausärztinnen und Hausärzten in Bielefeld sind 80 mindestens 60 Jahre alt“, hat jetzt Ansgar von der Osten, Geschäftsbereichsleiter Sicherstellungspolitik und -beratung bei der KVWL, neueste Zahlen im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Rates vorgestellt. Das entspricht einem Anteil von 38 Prozent. Zwar berichtete er davon, dass inzwischen auch Ärzte unter 45 Jahren hinzugekommen seien. Gleichzeitig habe sich aber die Zahl der Hausärzte, die bereits die 70 überschritten haben, seit 2015 mehr als verdoppelt. Von ihnen praktizieren noch 25 in der Stadt. Auch neun von 35 Kinderärztinnen und -ärzten in Bielefeld sind schon über 60 und steuern auf das Rentenalter zu. Dennoch sieht die KVWL bei den Kinderärzten keine Notwendigkeit, die Zahl der Niederlassungsmöglichkeiten zu erhöhen, verweist auf den statistischen Versorgungsgrad von 110,7 Prozent. Bei den Hausärzten liegt er in Bielefeld bei 94,9 Prozent. Angesichts der Zahlen mutet die Kassenärztliche Vereinigung Eltern auch Wege bis zum Kinderarzt von bis zu 30 Kilometern zu. &bdquo;Völlig unrealistisch für eine alleinerziehende Mutter, die vielleicht noch nicht einmal ein eigenes Auto hat“, sagte Gordana Rammert (Bürgernähe) dazu in der Ausschusssitzung. Wachsende Krankheitslast Auf die sich zuspitzende Problemlage hatte Wolfgang Aubke, Vorsitzender des Seniorenrates und selbst promovierter Mediziner, bereits 2017 hingewiesen. &bdquo;Wir haben immer mehr ältere Menschen, die Krankheitslast wird größer“, sagte er jetzt in der Sitzung. &bdquo;Das ist schon lange kein zufriedenstellender Zustand mehr.“ Der Ausschuss nahm deshalb auch die Empfehlung des Seniorenrates an, &bdquo;geeignete Maßnahmen“ zur Anwerbung von Medizinern zu ergreifen. Aubke verwies auf eine sich verändernde Ärzteschaft. Der Frauenanteil wachse. Viele Frauen wollten in Teilzeit arbeiten. Auch die Work-Life-Balance spiele bei den Medizinern eine größere Rolle. &bdquo;Nicht jeder ist noch bereit, wie aktuell im Durchschnitt 55 Stunden in der Woche zu arbeiten.“ Der zuständige Gesundheitsdezernent Martin Adamski arbeitet derzeit an dem neuen Anwerbe-Konzept. Dafür wird es wohl auch eine breite Mehrheit geben, denn die Entscheidung war im Ältestenrat des Stadtparlamentes bereits diskutiert worden. Das Gremium, in dem die Fraktionsspitzen zusammenkommen, sieht inzwischen geschlossen die Notwendigkeit zum Handeln. Noch 2019 war ein Antrag der CDU, die Stelle eines &bdquo;Kümmerers“ für den Ärztenachwuchs einzurichten, von der damaligen Paprika-Koalition aus SPD, Grünen und kleineren Partnern abgelehnt worden.

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