Bielefelderin sticht Tattoos, die Leben retten sollen

Bielefeld. Eine kleine freie Stelle findet Miriam Struk noch auf ihrem linken Unterarm. Kurzerhand skizziert die Tätowiererin eine Idee – auf ihrer eigenen Haut, die ist halt gerade da. &bdquo;Wir könnten hier statt der durchgezogenen Linie feine Dots setzen“, sagt sie und zeigt die individualisierte Variante Marcel Schoppe, der sich im &bdquo;Hoke & Poke“ tätowieren lässt. Das passe besser zu seinen anderen Tattoos. &bdquo;Mach du mal“, sagt der 42-Jährige entspannt, der bereits einiges an Tinte aus ihrer Nadel trägt. Das Tattoo, das Struk heute sticht, ist ein kleines. Schlicht. Das Design von einem anderen Künstler. Eigentlich macht sie das nicht, fremde Entwürfe stechen. Aber das hier, heute, ist etwas anderes. Ein Kreis, darunter zwei leicht versetzte Halbkreise, das war’s. Und trotzdem gehört dieses Tattoo zu den außergewöhnlichen: Es ist ein Organspendeausweis unter der Haut. &bdquo;Den Ausweis hat man im Portemonnaie, aber das Portemonnaie hat man nicht immer dabei“, sagt Marcel Schoppe. Er trägt 25 bis 30 Tattoos. So ganz genau weiß er das auch nicht. Seit er 19 ist, hat er einen Organspendeausweis – damals brauchte ein Bekannter eine Lunge. Heute ist der linke Oberarm dran. Innenseite, eine empfindliche Stelle. Nichts für Anfänger. Organspendetattoo auch bei Untätowierten beliebt Struk rasiert die Haut, eine Trägerflüssigkeit bringt die Vorlage auf die Haut. Während die Farbe trocknet, desinfiziert sie die graue Liege in ihrem Tattoo-Studio an der Heeper Straße und erklärt, was hinter &bdquo;Opt.Ink“ steckt. In Deutschland ist die Organspende nur per &bdquo;Opt-in“ möglich: Menschen müssen sich aktiv dafür entscheiden, ansonsten dürfen ihnen keine Organe entnommen werden. Das Symbol soll zeigen: Diese Person hat sich entschieden. &bdquo;Ink“ steht dabei für die Tattoo-Tinte, mit der diese Zustimmung erfolgt. Entworfen hat das &bdquo;Opt.Ink“ der Tattoo-Künstler Gara, die geometrischen Formen bilden ein Akronym für &bdquo;Organ Donor“, Organspender. Leicht abwandelbar ist es, damit es zum persönlichen Stil passt. Struk stellt lediglich die Materialkosten für Nadel, Farbe & Co. in Rechnung. Statt 150 Euro berechnet sie heute nur 60. Das ist kein Minusgeschäft, aber ihr entgeht die Zeit für andere Auftragsarbeiten. Noch vor kurzem war das &bdquo;Hoke & Poke“ in OWL das einzige teilnehmende Studio, inzwischen sind es allein in Bielefeld drei. Deutschland ist in Sachen Organspende ein Importland Struk zieht frische Einmalhandschuhe aus der Verpackung, steckt eine neue Tattoo-Nadel auf ihre Maschine und tritt aufs Pedal unter der Liege. Ein leises Surren fliegt durch den Raum. Mit den Händen in rosa Handschuhen spannt sie die Haut an Marcels Oberarm und sticht die ersten Punkte. &bdquo;Melkfett hält die Poren offen“, erklärt die Tätowiererin und zieht die nur sieben Zentimeter große Vorlage behutsam nach. So gelangt die Farbe in die Haut. Mit der Seifenlösung wischt sie überschüssige Tinte weg und setzt neu an. Tinte, Melkfett, Greensoap. So geht das immer wieder. Tinte, Melkfett, Greensoap. Neue Nadel, andere Stärke, für feinere Arbeiten. Linien, Punkte, Halbkreise entstehen auf der Haut. &bdquo;Ich hab mich vorher nie mit dem Thema auseinandergesetzt“, räumt Struk ein, während sie eine Nadel in den Müll wirft und eine neue aus der Packung fischt. Erst als die 32-Jährige auf &bdquo;Opt.Ink“ stieß, recherchierte sie zum Thema Organspende. &bdquo;Ich hab mich dafür geschämt, dass Deutschland sich Organe aus dem Ausland holt, weil wir uns hier rausziehen.“ Deutschland bleibt auch 2022 in Sachen Organspende ein Importland, so der Berufsverband der Deutschen Chirurgie. Rund 10.000 Menschen warten in Deutschland auf ein Spenderorgan, schreibt &bdquo;Junge Helden“, der Verein, der hinter dem Organspende-Tattoo steckt. Wie gut die Tattoo-Idee angenommen wird, hat Miriam Struk unterschätzt – und zwar enorm. Hatte sie mit maximal drei Kunden pro Monat gerechnet, ist ihr Kalender jetzt längst überfüllt. Mehr als 30 dieser Tattoos hat sie bereits gestochen. Menschen nehmen 200 Kilometer Anreise auf sich. &bdquo;Es sind Krankenschwestern, Pfleger, Menschen über 70, die noch nie ein Tattoo haben wollten“, sagt sie. Immer mehr Tattoo-Studios machen mit Auch für sie sei das ungewohnt. &bdquo;Ich muss da ganz anders rangehen, den Menschen erst mal die Angst nehmen.“ Und doch brennt sie für die Aktion: Mit der Bandbreite an Menschen hätte sie sonst nichts zu tun. &bdquo;Ich höre viele Geschichten als Tätowiererin, aber hierdurch noch mal ganz andere.“ Die Anfragen werden täglich mehr – auch deswegen wünscht sich Struk, dass weitere Studios in OWL mitmachen und ihre Arbeitszeit spenden. Das wünscht sich auch Anna Barbara Sum. Die Mitgründerin von &bdquo;Junge Helden“ will &bdquo;Opt.Ink“ weiter bekannt machen. Zwar würden 71 Prozent der Deutschen, die bereits eine Entscheidung zur Organspende getroffen haben, ihre Organe spenden. Das besagt eine Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2020. Doch die meisten Menschen dokumentieren ihre Entscheidung nicht. Ist der Wille unbekannt, müssen die Angehörigen entscheiden. Die lehnen dann in den meisten Fällen ab. &bdquo;Das Tattoo ist kein amtliches Dokument“, sagt Sum. &bdquo;Aber wenn die Angehörigen wissen, was es bedeutet, ist es eine Willenserklärung.“ Inzwischen bieten deutschlandweit rund 300 Tattoo-Studios das Organspende-Tattoo an. Für Marcel Schoppe ist das Tattoo eine einfache Möglichkeit, zu helfen. &bdquo;Du kannst Leben damit retten“, sagt er. Auch als erstes Tattoo eigne sich das &bdquo;Opt.Ink“, findet Miriam Struk: &bdquo;Viele lassen ihr Ersti-Tattoo covern“, weiß die Tätowiererin. Das werde mit &bdquo;Opt.Ink“ nicht passieren. &bdquo;Weil es klein ist, weil es simpel ist, weil es universell ist, weil es nicht aus der Mode gerät und weil es eine Bedeutung hat, für die es sich lohnt einzustehen“, sagt die 32-Jährige und schaut zufrieden auf das frische Tattoo. &bdquo;Damit ist man auf der sicheren Seite.“ Der Terminkalender ist voll Nach rund einer Stunde darf Schoppe vor den Spiegel treten und sein Ja zur Organspende begutachten. &bdquo;Nice,“ sagt er nickend. Echte ostwestfälische Begeisterung füllt das Tattoo-Studio. Miriam Struk grinst, wickelt Folie um seinen Arm, die rosafarbenen Einweghandschuhe fliegen in den Müll. Ein weiterer Organspendeausweis verewigt – der nächste steht schon an. Das Terminbuch platzt aus allen Nähten. &bdquo;Das ist meine Art zu spenden“, sagt Miriam Struk und wischt für heute ein letztes Mal über die graue Liege.

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