Pflegenotstand in Bielefeld: Wenn selbst für die Sterbebegleitung das Personal fehlt

Bielefeld. Längst ist der Pflegenotstand auch in Bielefeld angekommen. Zuletzt hat er sich durch zahlreiche Insolvenzen ambulanter Dienste weiter verschärft. Mit gleich zwei Pflegegipfeln ist am Internationalen Tag der Pflegenden nun noch einmal auf die Missstände aufmerksam gemacht worden – allerdings mit ganz unterschiedlichen Ansätzen. Die Verantwortlichen müssten endlich wachgerüttelt werden, sagt Ingo Schomburg, der sich mit Politikern, Vereinen sowie Pflegern und Angehörigen zum kleinen privaten Bielefelder Initiativkreis "Der soziale Zirkel" zusammengeschlossen hat. Den von der Stadt organisierten Pflegegipfel hält er für sinnlos. &bdquo;Dort werden nur Sonntagsreden gehalten, die nach ein paar Tagen in Schall und Rauch im Nirwana landen“, sagt er – und hat selbst einen Gipfel auf die Beine gestellt. Unter dem Motto &bdquo;Das Maß ist voll“ hat er ein Jahr lang Erfahrungsberichte von Pflegerinnen und Pflegern, Angehörigen sowie Pflegebedürftigen gesammelt und diese nun gebündelt präsentiert. Herausgekommen ist ein beklemmendes Bild von Bielefelds Pflegelandschaft. So berichtet etwa ein Bewohner von seiner morgendlichen Körperhygiene. Mit den Worten: &bdquo;Machen Sie sich schon mal schnell fertig, ich komme gleich zum Anziehen“, wurde er von einer Pflegerin vor das Waschbecken gesetzt. Die verließ das Zimmer, doch bis sie wiederkam, dauerte es. In der ganzen Zeit musste der Bewohner nackt und zitternd vor dem Waschbecken sitzen bleiben. Teilweise sterben Heimbewohnern allein hinter verschlossener Tür Als ein weiterer Bewohner darum bat, vor dem Schlafengehen noch einmal zur Toilette gebracht zu werden, bekam er von seinem Pfleger die Antwort: &bdquo;Ich habe jetzt keine Zeit mehr.“ Auch bei der Sterbebegleitung hapert es. Angehörige berichten, dass Bewohner allein und hinter verschlossener Tür verstorben sind, weil die zuständige Pflegekraft allein auf der Station war und andere Bewohner zu versorgen hatte. Nicht nur Pflegebedürftige, auch angehende Pfleger bekommen den Personalmangel zu spüren. So berichtet eine Praktikantin Folgendes: &bdquo;Ich kam in die Einrichtung, und keiner war informiert, wer ich war und warum ich gekommen bin. Keiner fühlte sich zuständig. Man meinte, ich solle erst mal in die Wohnküche gehen und dort der Servicekraft helfen.“ Ihr komplettes Praktikum verlief durchweg planlos, ziellos und halbherzig, schildert sie. Lokale Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt - auf das Land und den Bund kommt es an &bdquo;Die Politik muss aufhören, sich immer nur an den Symptomen abzuarbeiten, sondern endlich die Ursachen bekämpfen“, sagt Schomburg. Das tue man, sagt Ingo Nürnberger, der den zweiten Pflegegipfel mit organisiert hat. &bdquo;Unsere Handlungsmöglichkeiten sind aber auch begrenzt. Viele Probleme muss das Land oder der Bund angehen“, so der Sozialdezernent. Den Frust vieler könne er verstehen. &bdquo;Aber dass wir uns deswegen nicht mehr zuhören und miteinander reden, führt nur dazu, dass es ruhig wird um das Thema. Und wenn alles ruhig bleibt, dann löst das aus Sicht der Politik auch keine Probleme“, so Nürnberger. An dem Gipfel nahmen zahlreiche Politiker sowie Träger der Bielefelder Pflegelandschaft und Mitarbeiter der Einrichtungen teil. Das Ergebnis: Ein Bielefelder Pflegepapier mit klaren Hausaufgaben für die Bielefelder Politik. Fehlende Parkplätze führt zu Problemen bei ambulanten Diensten Einer der wichtigsten Punkte sei dabei das Werben um den Nachwuchs. &bdquo;Das bedeutet keineswegs nur Plakate aufhängen“, sagt Nürnberger. Dahinter stecke viel mehr, unter anderem müsse jungen Menschen der durchaus anstrengende Beruf durch klare Arbeitszeiten schmackhaft gemacht werden. Schon jetzt seien Hunderte Stellen unbesetzt. &bdquo;Das ist ein Riesenproblem“, sagt der Dezernent. Gelöst werden müssten aber auch ganz simple Dinge, wie fehlende Parkmöglichkeiten für den ambulanten Dienst. Mit einer Wertschätzungstour haben stadtbekannte Gesichter, darunter WDR-Moderatorin Christina Sterz, in den vergangenen Wochen zudem Pflegeeinrichtungen besucht und sich über Nöte und Sorgen informiert. Nürnberger: Kritik am Pflegegipfel ist falsch Es sei aber auch nicht alles schlecht, so Nürnberger. Vor allem die Tagespflege funktioniere gut. Hier gebe es immer noch freie Plätze. Die Kritik vom Initiativkreis kann Nürnberger dagegen nicht verstehen. &bdquo;Die haben auch erst mal nur drüber geredet“, sagt er. &bdquo;Ich habe nichts dagegen, dass wir unsere Erfahrungen zusammenbringen und so das System verbessern.“

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