Gesundheit Bielefelder Experte sieht dramatische Entwicklung bei Heuschnupfen und anderen Allergien

Bielefeld. Heuschnupfen und andere Allergien nehmen epidemisch zu. Holger Sudhoff war gerade in San Antonio, Texas. Dort war der weltgrößte Kongress der Experten für diese überschießende Immunantwort auf eigentlich harmlose Auslöser. Sudhoff ist Chefarzt der Hals-Nasen-Ohren-Universitätsklinik am Klinikum Bielefeld und auch Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Bielefeld. Er erklärt, warum das Problem Allergie zunimmt und was dagegen getan werden kann. Herr Sudhoff, Krankenkassen haben festgestellt, dass die Zahl der Heuschnupfen-Betroffenen zunimmt. Überhaupt: Immer mehr Menschen sind Allergiker. Ist unsere Immunabwehr immer weniger in der Lage, adäquat zu reagieren? Holger Sudhoff: Das kann man so nicht sagen, denn genetisch sind wir nicht anders als Generationen vor uns. Es sind vielmehr die zahlreichen Umweltfaktoren, die das Risiko für Allergien auslösen. Welche Stoffe meinen Sie konkret? Sudhoff: Seit 1960 wurden 360.000 chemische Stoffe zugelassen, von denen wir zum großen Teil nicht wissen, wie unsere Körper auf sie reagieren. Bei manchen dieser Produkte wird es jedoch deutlich. Es gibt Alltagschemikalien, etwa Alkoholethoxylat in Spülmaschinen-Klarspülern. Diese Chemikalie weicht die für uns so wichtige Schleimhautbarriere auf, die ja die Stoffe daran hindert, in unseren Körper einzudringen. Wenn sich die Poren der Schleimhäute etwa in Mund und Nase weiter öffnen, haben es Bakterien leichter, in den Körper eindringen können. Ein anderes Beispiel ist Natriumlaurylsulfat, auch SDS genannt, das sich in Zahnpasten befindet. Es sorgt für die Schäumung, wirkt sich aber auch auf die Darm-, Mund- und Nasenschleimhaut negativ aus. Bei der Menge an Chemikalien in Pflegeprodukten, Reinigungsmitteln und Lebensmitteln ist es doch kaum noch möglich, sich vor diesen Stoffen zu schützen, oder? Sudhoff: Tatsächlich ist es schwer, dass Risikoprofil richtig abschätzen zu können. Hinzu kommen die Feinstaubbelastungen sowie die Klimaveränderung, die dazu führen, dass die Zahl der Allergiker in Zukunft wohl noch weiter steigen wird. Zumindest sind die Prognosen für die Industrieländer für diese Erkrankungen dramatisch. Was machen Feinstaub und Temperatur? Sudhoff: Feinstaubpartikel binden die Allergene und können so zu ihrer Erhöhung in der Luft sorgen. Erhöhte Temperaturen der Luft verändern unter anderem die Verteilung der Mikropartikel, außerdem verschieben sich dadurch Blütezeiten und Gräserwuchs, was sich auf die eintrainierte Abwehrsituation des Menschen negativ auswirken kann. Die Grenzwerte für Inhaltsstoffe suggerieren uns, dass die geringe Menge harmlos sei für Menschen. Doch was ist, wenn viele chemische Stoffe in uns eindringen - kommt es dann nicht zu einer Potenzierung und Wechselwirkung? Sudhoff: Sicher gibt es den additiven Effekt, der dann zu einer überschießenden Immunreaktion führen kann. Einzelne, sonst harmlose Stoffe, wirken miteinander mitunter toxisch. Welche Rolle spielen die pharmazeutischen Medikamente bei dieser "Vergiftung"? Sudhoff: Wir sehen eine Zunahme unter anderem an Antibioktika-Allergien und auf andere bestimmte Medikamente. Das Problem ist, dass sie das Mikrobiom im Darm verändern. Das hat deutliche Zusammenhänge mit der Immunantwort des Körpers. Und wenn Allergien, etwa der Heuschnupfen, medikamentös behandelt wird, droht da nicht eine Verlagerung der Pathologie in tiefere Schichten? Sudhoff: Ja, es gibt den so genannten allergischen Marsch. Eine Folge von Heuschnupfen-Behandlung kann etwa Asthma werden. Wie minimieren wir das Risiko für allergische Reaktionen? Sudhoff: Wir können auf die Inhaltsstoffe von Nahrungsmittel und Pflegeprodukten achten. Ich nehme keine Zahnpasta mehr mit SDS. Es gibt, um bei den hier genannten Beispielen zu bleiben, auch Klarspüler ohne Alkoholethoxylat. Nichtkommerzielle Apps, die einem helfen dabei, herauszufinden, welche Stoffe sich in den Produkten befinden, helfen außerdem. Bei Einnahme von Medikamenten sollte auf Wechselwirkungen geachtet werden. Außerdem ist es für Allergiegefährdete ratsam, darauf zu achten, wie die Pollenvorhersagen sind, um dann Lüften oder Spazierengehen daran anzupassen.

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