"Autos verschwinden": Ostwestfalendamm soll grüne Fußgängerzone werden

Bielefeld. Für die einen ist er eine Bausünde, der die Stadt brutal zerschnitten hat und zerschneidet, die für viel Lärm sorgt. Für die anderen ist er eine wichtige Verkehrsader ins und für das Oberzentrum. Für manche ist er beides zugleich. Der Ostwestfalendamm, kurz OWD genannt. 8,5 Kilometer lang, in drei Abschnitten von 1970 bis 1993 gebaut, für den 120 Häuser weichen mussten. Ein in Beton gegossenes Manifest der autogerechten Stadt. Ein Leitbild, das seit Jahren überall auf der Welt bröckelt. In Bielefeld hat der junge Architekt Leon Landwehr eine Vision: Die Menschen könnten sich die Stadtautobahn als Lebensraum zurückerobern. "Innerstädtisch wird das Auto an Relevanz verlieren", betont der 25-Jährige. Ja, es werde dauern, "aber es tut sich was in Sachen Mobilitätswandel, auch in Bielefeld". Auch, wenn die Zulassungszahlen in Bielefeld bislang nur nach oben gehen - Ende 2022 waren es 229.084 Fahrzeuge, so viele wie nie. Auch, wenn täglich rund 90.000 Fahrzeuge über den OWD rauschen. "Er hat aktuell noch seine Daseinsberechtigung", räumt Landwehr ein. Aber zukünftig, im Zuge der Mobilitätswende, die der Architekt für unausweichlich hält, werde das nicht mehr der Fall sein. Darum hat er sich in seiner Masterarbeit mit der Transformation der Stadtautobahn beschäftigt, die aus seiner Sicht nicht nur städtebaulich, sondern auch gesellschaftlich ein tiefer Einschnitt in die Stadt ist. Dass früher Undenkbares möglich ist, belegt Landwehr mit Beispielen aus Seoul, wo der Abschnitt einer zentralen Hochstraße zur begrünten Fußgängerzone geworden ist, oder aus New York, wo eine stillgelegt Hochbahntrasse zur innerstädtischen Parkanlage wurde. Aber auch in Stuttgart probe man beispielsweise am Österrreichischen Platz die Zukunft. OWD als Schnellstraße endet am Johannistal In seinem Entwurf für eine menschengerechte Stadt würde er den OWD am Johannistal enden lassen, sagt der 25-Jährige, beziehungsweise von dort aus nur noch jeweils für jede Fahrtrichtung einspurig sehen. Dazwischen: jede Menge Freiraum für die Bielefelderinnen und Bielefelder. "Eine grüne Achse durch die Stadt", so die Vision des Architekten - auch mit Flächen für Urban Gardening, Ruhezonen, Sportangeboten, Gastronomie und mehr. Leon Landwehr sieht mehrere Etappen, in denen sich der OWD wandeln könnte. Die erste Etappe der Transformation könnte aus seiner Sicht sogar direkt in Angriff genommen werden. Und zwar in den Bereichen, wo sich der OWD als Hochstraße durch die Stadt schlängelt. Unter den Brücken und Unterführungen ist es zumeist dunkel, unangenehm, vermüllt, der Raum wird oftmals lediglich als Parkplatz genutzt. Er spricht von Restraum und Unorten, die die einschneidende Wirkung der Schnellstraße noch verstärken. "Gestalterisch ist der OWD für Bielefeld nichts Gutes", sagt der Architekt an der Stapenhorststraße stehend, den Blick auf die riesigen Betonpfeiler gerichtet, die die Fahrbahnen des OWD tragen. Dort und an anderen Stellen hält Leon Landwehr eine Unterbauung der Straße sinnvoll - und zugleich spannend. Neue Bauten über und unter dem Bielefelder OWD Weg mit den parkenden Autos, herbei mit variablen, schallgedämmten Modulen, die sich an den Unterzügen der Straße orientieren, in denen beidseits kleine Shops, Pop-up-Stores, Kulturräume und Werkstätten wieder Orte der Begegnung schaffen. Dazwischen eine Mittelzone zum Flanieren. Später könnten dann von dort Wendeltreppen durch extra geschaffene runde Ausschnitte hinauf auf den dann begrünten, verkehrsberuhigten OWD führen. Auch ein Überbauung hat Leon Landwehr in seiner Masterarbeit am Beispiel Stapenhorststraße geplant. Der Grundriss ist quadratisch, orientiert sich am 4-Meter-Raster des Ostwestfalendamms. So ergibt sich ein Baukörper von 26x26x26 Meter, der - auf Pfeilern stehend - über dem gesamten OWD "schwebt". Mit verschachtelt gebauten Büros, Maisonette-Wohnungen und oben drauf als Sahnehäubchen einen Sport-Court für jedermann. Grundvoraussetzung für all das ist jedoch die Abkehr vom mobilen Individual- und der Ausbau des Nahverkehrs und des gesamten Verkehrsverbundes, sagt Landwehr. Dass die Leute ihn für einen Spinner halten könnten, ficht den jungen Planer nicht an. "Als Architekt zeigt man auch ferne Visionen", sagt Leon Landwehr, der seit seinem Abschluss an der Technischen Hochschule Detmold in einem kleinen Bielefelder Architekturbüro arbeitet. "Man muss den Mut haben, zu zeigen, wo es hingehen könnte, zum Nachdenken anregen. Sonst haben wir Stillstand." Und aus einer fernen Rückschau könnten sich die Menschen vielleicht genauso fragen, wie man zu unserer Zeit nur auf den absurden Gedanken kommen konnte, eine vielebefahren Schnellstraße mitten durch eine Stadt zu führen, in deren unmittelbaren Nähe so viele Menschen leben.

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