Bilanz am Amtsgericht Bielefeld: Mehr Strafverfahren - und dringend Rechtspfleger gesucht

Bielefeld. Wie in beinahe sämtlichen Gesellschaftsbereichen, so machte sich die Corona-Pandemie auch in den meisten Aufgabenbereichen des Amtsgerichts bemerkbar. Doch haben sich die Zahlen weitgehend wieder auf dem Vor-Coronaniveau eingependelt - mit den unvermeidlichen Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Dies erläuterten nun Amtsgerichtsdirektor Jens Gnisa und seine Stellvertreterin Anke Weilert gemeinsam mit Rechtspflegerin Analena Warneke und Pressesprecher Lars Herzog in ihrer Bilanz für das Jahr 2022. Dass sowohl die Zahl der vor dem Amtsgericht verhandelten Strafsachen in den Jahren 2020 und 2021 ebenso gesunken war wie Zivilverfahren, die Autounfälle betrafen, lässt sich sicherlich mit den damaligen öffentlichen Einschränkungen erklären. Dass diese beiden Bereiche 2022 wieder vermehrt zur Verhandlung standen, entspricht auch den Zahlen der Unfall- und Kriminalitätsstatistiken. Ein Bereich fällt jedoch besonders auf: Die Zahl der Kirchenaustritte haben sich am Bielefelder Amtsgericht sei 2020 mehr als verdoppelt. Hatten 2020 noch 1.870 Personen ihrer Kirche den Rücken gekehrt, so waren es im vergangenen Jahr 3.831. Dies betraf insbesondere Mitglieder der katholischen Kirche. Um der großen Zahl der Austrittswilligen Herr zu werden, bietet das Gericht über sein Online-Portal im Zweimonats-Turnus Termine an. Doch sind diese zumeist bereits nach zwei Stunden wieder vergriffen. "Das stellt uns personell schon vor deutliche Probleme", sagt Direktor Jens Gnisa, "aber Kölner Verhältnisse haben wir hier diesbezüglich noch nicht." Werten möchte er die deutliche Zunahme der Kirchenaustritte nicht: "Wir nehmen das nur auf. Interpretationsfragen sollten an die Kirchen gerichtet werden." Die Pandemie hat die Digitalisierung der Justiz vorangetrieben Ein Problem treibt Gnisa derzeit insbesondere um: Das Bielefelder Amtsgericht hat große Probleme, Kollegen für den Bereich der Rechtspflege zu finden - ein Phänomen, das ganz OWL betrifft. "Der Beruf ist wohl einfach zu unbekannt", sagen Gnisa und Rechtspflegerin Annalena Warneke unisono. "Wohl jeder in Deutschland kann sagen, was Richter und Staatsanwälte machen", betont Warneke, "doch wer weiß schon etwas über die Tätigkeit von Rechtspflegern und Rechtspflegerinnen?" Dabei sei es aus mehreren Gründen ein sehr attraktiver Beruf: "Wir sind sozusagen unsere eigenen Chefs. Rechtspfleger sind, ähnlich wie Richter, nicht an Weisungen, sondern nur an das Gesetz gebunden." Der Beruf sei geschaffen worden, um Richter zu entlasten: Aufgaben aus den Bereichen der Betreuungs-, Grundbuch-, Familien- und Nachlasssachen fallen in den Zuständigkeitsbereich der Rechtspflegerinnen und -pfleger. Bei der Ausbildung handelt es sich um ein duales Studium. "Man ist von Tag eins an am Gericht - und verdient auch bereits Geld", schildert Warneke. Somit könne die dreijährige Ausbildung an der Fachhochschule eine Alternative zum Jurastudium sein. Durch die Möglichkeiten, die Gleitzeit und Homeoffice-Angebote eröffneten, sei dieser Beruf sicherlich auch für Eltern kleiner Kinder interessant. Wer noch ein weiteres Jahr an der FH draufsattle, könne darüber hinaus als Amtsanwalt bei der Staatsanwaltschaft arbeiten. "Wer die entsprechenden Zeugnisse vorlegt, hat derzeit große Chancen, bei einer Bewerbung auch genommen zu werden", ergänzt Jens Gnisa. Durch die Corona-Zeit sei das Gericht gut gekommen, bilanziert der Direktor abschließend. Nicht zuletzt habe die Pandemie dafür gesorgt, dass sich auch in der Justiz die Bereiche IT und Digitalisierung beschleunigt hätten: "Das Schiff Amtsgericht Bielefeld ist relativ stabil."

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