Bielefelder Pflegedienste reihenweise pleite: 90 Dienstwagen fahren am Rathaus vor

Bielefeld. Die schlechten Nachrichten für den Pflegebereich reißen nicht ab. Die Liste der Insolvenzen in Bielefeld wird immer länger, zuletzt ist Anfang März der Verein "Rückenwind" dazugekommen. Passend dazu hat der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) ein Umfrageergebnis veröffentlicht: Von knapp 2.500 Pflegeheimen, ambulanten Diensten und teilstationären Einrichtungen haben fast 70 Prozent ausgesagt, dass sie ihre Existenz wirtschaftlich bedroht sehen. Um den Folgen und Herausforderungen auf dem Sektor zu begegnen, soll in Bielefeld am Mittwoch, 17. Mai, ein großer Pflegegipfel stattfinden. Schon diese Woche gegen 14 ambulante Pflegedienste in Bielefeld auf die Barrikaden. Am Mittwoch, 29. März, treffen sich um 13.30 Uhr die Pflegerinnen und Pfleger der privaten ambulanten Dienste, die sich in einer Initiative zusammengeschlossen haben, an der Radrennbahn, um dann in 80 bis 90 Dienstwagen zum Rathaus zu fahren und dort gegen die aus ihrer Sicht bislang bestehende Ungleichbehandlung zu den Pflegediensten der Wohlfahrtsverbände zu demonstrieren. Sie werfen der Stadt Missachtung und fehlende Transparenz vor, dabei sei die ambulante Pflege ohne die insgesamt 30 privaten Dienste aufgeschmissen. Sie fordern eingebunden zu werden, nicht nur bei Krisentreffen, sondern auch bei den regulären Pflegekonferenzen oder Treffen verschiedenster Arbeitsgruppen zum Thema Pflege. Insolvenzen und wirtschaftlich begründeter Rückzug Neben "Rückenwind", der unter anderem in der Pflege von behinderten und chronisch Kranken aktiv ist, gab es Insolvenzen einer Wohnungsgesellschaft und eines Seniorenheimes beim Deutschen Roten Kreuz, der Pflegedienst Alt und Jung Nord-Ost mit 400 Kunden ist ebenfalls betroffen und mit ihm auch das "Bielefelder Modell" der BGW, der Bielefelder Gesellschaft für Wohnen und Immobiliendienstleistungen. Im Dezember bereits hatte sich der AWO-Kreisverband als Pflegepartner der BGW aus der 24-Stunden-Betreuung am Standort Jöllenbecker Straße zurückgezogen. Die Idee des Modells mit bisher 13 Standorten ist es, älteren Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Wohnen bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die Gesellschaft für Sozialarbeit (GfS) hatte ebenfalls im Dezember verkündet, ihr ambulantes Pflegeangebot aus wirtschaftlichen Gründen aufgeben zu wollen. Sozialdezernent Ingo Nürnberger hatte Ende vergangenen Jahres noch von einigen Einzelfällen gesprochen, deren Probleme jeweils unterschiedlich gelagert seien. &bdquo;Wir haben in Bielefeld eine Anbieterlandschaft, die relativ stabil ist", hatte er damals gesagt. Höhere Kosten, Löhne und Fachkräftemangel Drei große Problemfelder sind es, die den Pflegesektor arg belasten: Da sind zum einen erhebliche Kostensteigerungen durch anhaltende Pandemiefolgen, hohe Energiekosten und die allgemeine Inflation. Zum anderen gelten seit September 2022 gesetzlich vorgeschriebene Mindestlöhne in ambulanter und stationärer Pflege (Tariftreuegesetz). Und nicht zuletzt ist es der Fachkräftemangel, der allen gleichermaßen zu schaffen macht. "Die Kostensteigerungen konnten trotz monatelanger Verhandlungen mit den Kranken- und Pflegekassen nicht überall angemessen refinanziert werden", kritisiert der bpa. Michael Siering, Landesbeauftragte der bpa für ambulante Pflegedienste in NRW, macht noch auf einen weiteren Umstand aufmerksam: Die Leistungen der Pflegedienste, die nach einem komplexen Punktesystem von den Pflegeversicherungen der Kunden erstattet werden, seien deutlich teurer geworden. Die Beträge, die den zu Pflegenden zur Verfügung stehen, seien aber nicht angepasst worden, was dazu führe, dass die Budgets der Kunden früher aufgebraucht seien und in der Folge Einsätze abgesagt würden, obwohl sie eigentlich vonnöten seien. Warnung: Pflegekrise greift auf andere Branchen über "Wir können diese Probleme großteils in der Kommune nicht lösen", erklärt Sozialdezernent Nürnberger. "Trotzdem wollen wir uns damit befassen." Denn die Folgen bekommen auch die mehr als 5.200 Bielefelderinnen und Bielefelder zu spüren, die derzeit auf ambulante Pflege angewiesen sind. "Wer für die pflegebedürftige Mutter keinen Pflegedienst oder Heimplatz findet, kann selber morgen nicht zu Frühschicht erscheinen", hatte bpa-Präsident Bernd Meurer im März gemahnt, dass die Pflegekrise auch auf andere Branchen übergreift. Die Politik in Bund und Land müsse jetzt aktiv werden und Nachbesserungen auf den Weg bringen. Versprechen: Auch kleine Pflegedienste sollen mitberaten Zum Bielefelder Pflegegipfel soll breit eingeladen werden, bis dahin werde man sich im Sozialdezernat mit den Herausforderungen weiter beschäftigen. Auch private und kleine ambulante Dienste, die die Stadt zuletzt heftig kritisiert hatten, dass sie zu einem ersten Krisengespräch und zu den regelmäßig stattfindenden Pflegekonferenzen in Bielefeld nicht eingeladen worden sind, sollen dann dabei sein. Im Hinblick darauf, wie das "Bielefelder Modell" zukunftsfest gemacht werden kann, sieht Ingo Nürnberger die Stadt in guten Gesprächen. "Bei diesen Gesprächen beziehen wir auch die Nachfolge-Dienste von Alt und Jung ein." Voraussichtlich im April will die Verwaltung den Ratsgremien konkrete Vorschläge machen. Aktuell ist nach Information des Sozialamtes davon auszugehen, dass zwei Träger im Rahmen eines Betriebsüberganges die Aufgaben übernehmen werden. Dabei sollen zukünftig die Leistungen der Eingliederungshilfe von einem neu gegründeten Verein und die Leistungen der Pflege von einem neuen Pflegedienstanbieter erbracht werden.

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