Schuss auf jungen Mann - Bielefelder Vater bleibt trotzdem auf freiem Fuß

Bielefeld. Mitten in Bielefeld ist kurz nach Ladenschluss vor dem damaligen Real-Markt an der Teutoburger Straße ein Streit zwischen drei Personen so eskaliert, dass schließlich ein bisher unbescholtener Vater sich eine Schusswaffe greift und auf den Ex-Freund seiner Tochter schießt. Das ist jedenfalls das Ergebnis der Ermittlungen in dem ungewöhnlichen Fall. Gestern standen die Beteiligten vor dem Amtsgericht. Das Urteil mag &bdquo;auf den ersten Blick“ überraschen, sagte der Richter: Trotz des lebensgefährlichen Potenzials eines solchen Schusses blieb der Angeklagte nach dem Urteil auf freiem Fuß. &bdquo;Wer im öffentlichen Raum eine Schusswaffe einsetzt, begeht eine Tat, die danach schreit, dass der Täter danach ins Gefängnis muss“, betonte Amtsrichter Lars Herzog. Doch dem Angeklagten wurde weder Totschlag vorgeworfen, noch musste er nach der Verhandlung hinter Gitter. Was war passiert? Streit im Eskalationsmodus: Beleidigungen, Bedrohungen, Flaschenwürfe Samstag, der 18. September 2021: Die damals 30-jährige Tochter des Angeklagten und ihr Ex-Freund (28) – mit Alkohol- und Drogenproblemen – geraten im Laufe des Abends bereits mehrfach verbal am Telefon und später auch persönlich aneinander. Sie beschimpfen sich, beleidigen sich übel, der stark betrunkene 28-Jährige soll sogar der Familie der 30-Jährigen mit Mord gedroht haben. Schließlich kippt der Mann Bier in das Auto, in dem die Ex-Freundin sitzt. Diese erwidert die Bierattacke mit einem Wurf mit einer Glasflasche. Sie trifft nicht. Für den Wurf wird aber auch sie angeklagt: wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Die Streitparteien gehen zwar auseinander. Doch für den unter Drogen höchst aggressiven und gewalttätigen Ex-Freund war der Streit noch nicht beigelegt: Er ruft den Vater seiner Ex an und droht ihm, das Haus der Familie anzuzünden, wenn er nicht zur Aussprache auf den Parkplatz des Real-Marktes komme. Sebastian Nickel, Verteidiger des 62-jährigen Vaters, sagte nun vor Gericht: &bdquo;Es wäre das Beste gewesen, er wäre zu Hause geblieben.“ Doch der in der Türkei geborene Bielefelder, ein schmaler, schüchterner Mann, der als ungelernter Eisenflechter seinen Lebensunterhalt verdient, empfindet die Situation für Tochter und Familie als so bedrohlich, dass er losfährt. Dann geht der Bielefelder Vater zu seinem Auto, nimmt die Pistole und schießt Vor Gericht gestand er nun, damals seine alte tschechische Pistole (eine "CZ 75b 9 Millimeter Luger") mit einem Projektil im Lauf mitgenommen zu haben. Er wollte den Ex-Freund im Ernstfall damit beeindrucken und zurückdrängen. Dass er sie einsetzen würde, habe er nie vorgehabt. Doch genau dazu kommt es, als plötzlich seine Tochter wieder an Ort und Stelle auftaucht. Wieder kommt es zu wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen. Erneut schmeißt die 30-Jährigen Gegenstände – dieses Mal eine halb volle Dose. Der Ex hatte zuvor in seiner Rage gegen den Außenspiegel des Autos getreten. In dieser eskalierenden Situation, so gab es der Vater vor Gericht zu, sei er zu seinem Auto gegangen, habe seine Waffe gegriffen und habe gezielt auf den 28-Jährigen geschossen. Auf Nachfrage, wohin er geschossen habe, sagte sein Verteidiger &bdquo;auf die unteren Extremitäten“. Weil er mit dem Umgang der Waffe nicht bewandert sei – er habe sie noch nie benutzt – durchschlug das Projektil den Körper des Opfers am Beckenkamm (an der Hüfte). Staatsanwältin Ina Leinkauf betonte: "Es war allein dem Zufall zu verdanken, dass es hier nicht zu viel schwereren Verletzungen gekommen ist.“ Kein Interesse, einen älteren Mann ins Gefängnis zu schicken Bleibende Schäden habe der heute 30-Jährige nicht davongetragen ("Da habe ich Glück gehabt"), sagte der Nebenkläger vor Gericht, der sich noch am Tattag selbst aus dem Krankenhaus entließ. Schmerzen habe er durch seinen Rausch und das Adrenalin er viel später verspürt. Und dann ergänzt sein Anwalt Martin Mauntel etwas Bemerkenswertes: &bdquo;Mein Mandant hat kein Interesse, dass hier ein älterer Mann ins Gefängnis muss. Er möchte aber auch nicht, dass auf ihn geschossen wird. Er möchte, dass jetzt endlich Frieden und Ruhe herrscht.“ Um diesen Frieden unter den Streitparteien herzustellen, verständigten sich die Beteiligten (Gericht, Staatsanwältin, Nebenklage und Verteidiger) in einem Rechtsgespräch auf einen Deal: Die Angeklagten gestehen die Tat, dafür sei für den Vater eine Bewährungsstrafe möglich. Einzige Bedingung: Das Opfer, das derzeit seine Alkohol- und Drogenprobleme in den Griff zu kriegen scheint, erhält dafür ein Schmerzensgeld. Weil sich alle Parteien über den Nutzen dieser Verständigung waren, fiel fiel das Urteil des Vorsitzenden Richters Herzog entsprechend aus: Er verurteilte den Vater wegen seines Geständnisses, weil er außerdem noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten war und wegen der Umstände der Tat (auch das Opfer habe viel zu dem Streit beigetragen) nur zu einem Jahr und neun Monaten Freiheitsstrafe. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Ohne Geständnis wäre eine Bewährung hier nicht denkbar gewesen, betonte Herzog. Als Auflage muss der 62-Jährige 2.500 Euro an das Opfer zahlen. Seine arbeitslose Tochter wurde für ihre zweifache versuchte gefährliche Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 2.250 Euro verurteilt. Der Streit zwischen den beiden Seiten scheint damit wirklich ausgeräumt. Der verurteilte Vater hatte am Ende des Verfahrens das letzte Wort. Er lächelte kurz und sagte: &bdquo;Alle mögen gesund bleiben.“

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