Abgewiesene Medizin-Studentin aus Bielefeld startet in Polen durch

Bielefeld. Ärztemangel in Deutschland? Caroline Zurbel muss sich zusammenreißen, um nicht zu zynisch zu werden. Die 28-Jährige will seit zehn Jahren Ärztin werden. Und hat eine Odyssee hinter sich. Eine, die von extremer Leidenschaft für die Medizin erzählt. Die jetzt ein Happy End zu finden scheint, nach Jahren des Frustes. Die Odyssee trieb sie in tiefe Selbstzweifel. "Ich war vor lauter Absagen total weich gekocht, psychisch völlig ausgebrannt", sagt die junge Frau. Alles nur, weil ihr Abitur einfach zu mies ist. So mies, dass sie fünf Bewerber-Runden an Deutschlands Universitäten chancenlos durchlief. Was heißt eigentlich mies? "Ich habe ein Abi von 1,9", sagt sie - und erzählt ihre Geschichte, die nachdenklich macht. In Deutschland am Boden liegend startete sie ihren letzten Versuch. Heute steht sie glücklich im Leben - und wird Ärztin, mit besten Noten. Sie lebt im polnischen Bialystok, 20 Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt, 140 von der ukrainischen. An der Uni war sie nach ihrem dritten Jahr Jahrgangsbeste, in Polen erhielt sie 2022 einen Preis für internationale Studierende. Endlich ist sie angekommen im Medizinstudium. Klinikum Mitte, EvKB, Bethel Davor stand 2013 das Abi am Max-Planck-Gymnasium, dann ein Praktikum am Klinikum Mitte (Gefäß- und Thoraxchirurgie), der Bundesfreiwilligendienst am Klinikum Mitte (Orthopädie/Unfallchirurgie), weitere Praktika, die Ausbildung an Bethels Gesundheitsschulen zur Gesundheits- und Krankenpflegerin, ein Jahr als Pflegerin in der Kardiologie am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB). Kurz: Die junge Frau lebte die Medizin, "ich brenne dafür". Zurbel: "Am EvKB haben sie immer wieder zu mir gesagt: ,Wer, wenn nicht Du?!'" Nur an den Unis, da hieß es immer: "Mit Ihrem Abi? Keine Chance." Jahrelang. Auch an Unis, die Berufsausbildungen berücksichtigen, "entschied am Ende der Abi-Schnitt - und lag dann bei 1,5". Zurbel: "Ich fühlte mich, als wäre ich nichts wert in diesem System. Das war schrecklich." Irgendwann hatte sie das Gefühl, dass Deutschland "nicht mein Land ist". Folgerichtig landete sie bei einer Agentur, die Studienplätze im Ausland vermittelt. Es hätte auch nach Rumänien, Bulgarien oder Ungarn gehen können, wo sich private Unis auf Deutsche spezialisiert haben, für 8.000 bis 15.000 Euro im Jahr kann auf Deutsch Medizin studiert werden. Die junge Frau landet in Polen Doch Zurbel landete in Polen. "Die Aussicht, an einer normalen Uni auf Englisch studieren zu können, fand ich reizvoll." Die Uni in Bialystok bietet internationalen Studenten Medizin auf Englisch an, polnischen auf Polnisch. Die internationalen zahlen 10.000 Euro im Jahr. Zurbel erinnert sich: "Ich habe da angefragt, ohne meine Eltern zu fragen." Die Zusage kam - und noch heute ist sie ihren Eltern dankbar: "Sie haben mir die Chance gegeben." Das könne nicht jeder stemmen; und das macht sie noch ärgerlicher beim Blick auf ein System, das fast nur nach der Abi-Note geht. "Alle anderen Verfahren wären teurer", ahnt sie, warum die Abi-Note so viel Gewicht hat. 2019 fing sie das Studium an. Die heimliche Sorge ihrer Eltern, ob sie sechs Jahre nach dem Abi vielleicht "das Lernen verlernt" habe, seien längst verflogen. Zurbel geht ihren Weg, hat einen Studienkredit aufgenommen und arbeitet in allen Ferien, um ihren Teil zum Studium beizutragen. Wo? Natürlich in der Medizin. "Ich habe das Glück, dass ich im EvKB in der Kardiologie als Krankenschwester arbeiten kann." Rückkehr nach Bielefeld? Und, wer weiß, vielleicht landet sie hier ja auch einmal als Ärztin? Innere Medizin und Kindermedizin findet sie spannend, naheliegend, dass sie den Neubau des Kinderzentrums gespannt verfolgt. Im Juni 2025 wäre sie fertig, ein Nadelöhr ist noch ein sechsmonatiges Praktikum, das sie nach dem Studium absolvieren muss. Auch hier verhalte sich Deutschland sperrig, dabei sei das Studium absolut gleichwertig, auch von den europäischen ECTS-Punkten her. "Das war wie eine Flucht" Blickt sie auf all die Hürden, die sie auf ihrem Weg zu einer guten Ärztin bereits überspringen musste, wird sie richtig ärgerlich. "Manche mit 1,0-Abi gehen in ihr erstes Praktikum und sagen dann ,och nee, das ist es nicht' - und hier gibt es Studenten, denen unendlich viele Steine in den Weg gelegt worden sind, die aber echt brennen für die Medizin, die sicher gute Ärzte werden." Viele aber könnten diesen kraftraubenden und teuren Weg gar nicht gehen. Schuld seien in Deutschland weniger die Kliniken, sondern die Unis, die Politik und die Landesprüfungsämter. Zeitweise, so Zurbel, "war ich so sauer auf Deutschland, dass ich gar nicht mehr zurück wollte". Der Gang nach Polen "war wie eine Flucht". Doch jetzt, wo sie "endlich lernen" dürfe, wo sie Erfolg habe und zufrieden sei, könne sie sich auch beruflich wieder mit der Heimat anfreunden. Gerne auch in der Lehre. Sie kann positiv nach vorne blicken. Endlich.

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