Tarnnetze und Kerzen aus Bielefeld für die Front in der Ukraine

Bielefeld. Kartonweise Kerzen. Große, kleine, unbenutzte, halb abgebrannte, Weihnachtskerzen, Dekokerzen. Oksana Antypova und Nataliia Merentsova nehmen die Kerzen und erhitzen sie in einem Kessel auf einer kleinen elektrischen Herdplatte. Das flüssige Wachs füllen sie in mit Pappe ausgelegte Blechdosen. Ein eingewachstes Stück Pappe lugt als Docht aus jeder Dose heraus. Ist das heiße Wachs erkaltet, werden die silbernen Blechbehälter wieder in Kartons gepackt. Bereit zum Abtransport in die Ukraine. &bdquo;Diese Dosen gehen an die Front“, sagt Tanja Schuh, Vorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft Bielefeld. &bdquo;Oder sie gehen an Menschen, die keinen Strom und keine Heizung mehr haben.“ Es gibt inzwischen weit verzweigte Netzwerke in der Ukraine und in Deutschland, über die solche Hilfegesuche gesteuert werden. Anfang 2022 war die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft Bielefeld ein kleiner Kreis aus 20 Mitgliedern. Dort trafen sich Menschen wie Tanja Schuh, eine deutsche Staatsbürgerin, die aus der Ukraine stammt und schon lange hier lebt. Jetzt hat die Gesellschaft 120 Mitglieder. Ukrainer und Deutsche. Die meisten von ihnen sind engagiert in der Hilfe für das Land, das vor einem Jahr von russischen Truppen überfallen worden ist. Die mit Wachs gefüllten Blechdosen sind Teil dieser Hilfe. Sie sorgen für ein bisschen Licht und Wärme in Schützengräben oder in kalten Wohnungen. Kerzen werden geschmolzen, das Wachs in Dosen gefüllt Kalt ist es auch in der ehemaligen Lagerhalle der britischen Streitkräfte in Stieghorst. Es gibt zwar einen Heizlüfter, aber der läuft an diesem Nachmittag nicht. Hier werden die Kerzen eingeschmolzen. Hier werden auch die Spenden sortiert, die die Deutsch-Ukrainische Gesellschaft und die Ukrainische Gemeinde für die Geflüchteten erhalten haben. Ukrainer, die in Bielefeld eine Zuflucht gefunden haben, kommen dorthin, wenn sie etwas brauchen. Es gibt Kleider, Hygieneartikel, Matratzen, Geschirr. 4.000 Menschen aus der Ukraine sind in den vergangenen zwölf Monaten nach Bielefeld gekommen. Die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Die triste Halle ist ein beliebter Treffpunkt. Hier kann man sich austauschen. Sonntags wird auch schon mal eine heiße Suppe serviert. Aber irgendwie ist der leicht heruntergekommene Zweckbau auch so etwa wie ein kleines Stück ukrainischer Heimatfront mitten in Ostwestfalen. Natalia Matsula, Nadia Hudchenko und Liubov Meksymenko sitzen dick eingepackt in Mänteln und mit Mützen um einen Tisch in einem anderen Teil des Gebäudes. Sie zerschneiden Stoffreste, alte Hemden oder Bettwäsche in lange Streifen. Ein paar Schritte entfernt knüpft Valantyna Romanova daraus ein großes Tarnnetz. Daneben hängen bereits ein paar fertige Exemplare. Auch die sind für das Kriegsgebiet bestimmt. Die Netze werden über Fahrzeuge gelegt, mit denen das Rote Kreuz Menschen aus umkämpften Dörfern bei Charkiw holt. Aber natürlich sollen sie auch Militärfahrzeuge ein bisschen unsichtbarer machen. &bdquo;Die Stoffreste sollten möglichst aus Baumwolle sein“, sagt Tanja Schuh. Die sei nicht so schnell entflammbar wie Stoffe aus Kunstfasern. Die 45-Jährige arbeitet eigentlich als Personalreferentin. Seit einem Jahr ist sie auch noch Krisenmanagerin. Genauso wie Roxana Lange. Die 29-jährige Lehramtsstudentin ist die stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft, hat ebenfalls ukrainische Wurzeln. Im Sommer ist sie in der Ukraine gewesen, hat Hilfsgüter dorthin gebracht. Wer immer von Bielefeld nach dort aufbricht, nimmt etwas mit. Blechkerzen, Tarnnetze. Dringend gebraucht werden auch Taschenlampen, Batterien, Babywindeln, Konserven. Manchmal ist es nur ein Kofferraum voll, oft starten auch Lkw Richtung Osten. &bdquo;Die ersten Bielefelder Freiwilligen waren Männer mit ukrainischem Pass. Sie wussten, dass sie nicht wieder ausreisen durften“, sagt Roxana Lange. &bdquo;Viele von ihnen kämpfen heute an der Front.“ Gebraucht werden Taschenlampen, Batterien, Konserven Die blau-gelbe ukrainische Fahne am Eingang der Halle am Jagdweg ist inzwischen ein wenig ausgeblichen. Die Hilfsbereitschaft habe gegenüber den ersten Kriegsmonaten etwas nachgelassen, sagt Tanja Schuh. &bdquo;Aber sie ist immer noch vorhanden.“ Die Hilfe im Kleinen ist wichtig, aber auch die im Großen. &bdquo;Auf die Lieferung der Leopard-Panzer haben wir mit Nachdruck gewartet“, sagt Nataliia Zharkova, die auch aus der Ukraine nach Bielefeld geflüchtet ist. Als die Zusage kam, hätten viele in der Ukraine und auch einige Helfer in Bielefeld Leopardenmuster getragen. Mancher mag das unpassend finden, handelt es sich doch bei den Panzern um schweres und tödliches Kriegsgerät. Vielleicht war es aber auch einfach Ausdruck der Erleichterung und der Dankbarkeit.

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