Strafunmündig bei Brandstiftung in Bielefeld: Kinder haften trotzdem für Millionenschaden

Bielefeld. Dass der Schaden nach der Brandstiftung im unterirdischen Jahnplatz-Forum groß sein würde, damit haben viele gerechnet. Dass nach der ersten Versicherungsbilanz die Summe von Experten nun auf 11,1 bis 13,4 Millionen Euro taxiert wird, ist aber eine Überraschung. Gleichzeitig hat die Kripo – wie berichtet – eine vierköpfige Gruppe von drei Kindern und einem Jugendlichen als dringend tatverdächtig identifiziert. Mutmaßlicher Haupttäter soll noch ein Kind sein Wie Polizeisprecher Fabian Rickel nun mitteilte, ist nach den bisherigen Erkenntnissen der Kripo davon auszugehen, dass eines der drei Kinder das Feuer im Tedi-Shop entzündet hat. Wie berichtet, breiteten sich die Flammen am späten Nachmittag des 14. Dezember von einem Stand mit Pampasgras (Deko-Artikel) rasend schnell in dem Geschäft aus. Inzwischen gelten drei Kinder (zwei Jungen und ein Mädchen) sowie ein jugendlicher Intensivtäter offiziell als beschuldigt. Einem der Kinder wird die Brandstiftung direkt vorgeworfen. Welche strafrechtliche Rolle die beiden anderen Kinder und der Jugendliche bei der Tat spielten, sei aktuell noch Bestandteil der Ermittlungen, hieß es von der Polizei. Die ermittelnde Staatsanwältin Claudia Bosse gibt zu bedenken: &bdquo;Auch wenn nur ein Kind das Feuer entzündet haben dürfte, könnte es dennoch eine gemeinschaftlich begangene Tat sein oder es seien untereinander Absprachen getroffen worden. Unter 14 Jahren nicht strafmündig Wer unter 14 Jahre alt ist, gilt juristisch als Kind und ist damit automatisch strafunmündig. Eine Strafverfolgung wegen schwerer Brandstiftung muss der mutmaßliche Brandleger also nicht fürchten. Doch Rechtsanwalt Sven Karsten, der als Strafverteidiger Erfahrung mit Jugendstraftätern hat, gibt zu bedenken, dass es auch ohne Strafverfahren trotzdem eine Bestrafung geben könne. Die Behörden könnten auch mehrstufig tätig werden und sogar die Eltern dabei mit einbeziehen. Sollten diese gar keinen Einfluss mehr auf ihr Kind haben, könnte als härteste Strafe bei Wiederholungstätern sogar eine Inobhutnahme durch das Jugendamt in Frage kommen. Es droht trotzdem eine Schadenersatzforderung Doch damit nicht genug. Auch ohne Strafverfahren drohen noch zivilrechtliche Ansprüche. Die Eigentümer des schwer beschädigten Jahnplatztunnels, des kaum weniger betroffenen Sportscheck-Gebäudes (der Rauch zog vom Tedi-Markt direkt in den darüber liegenden Sportklamottenladen) sowie die verschiedenen Ladenbesitzer können trotz des jungen Alters des mutmaßlichen Haupttäters Schadenersatz fordern. Wer das siebte Lebensjahr vollendet hat und intellektuell erkennen kann, dass sein Verhalten (etwa das Anzünden fremden Eigentums) falsch oder schädlich ist, ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch deliktfähig und damit für Schadenersatz haftbar, erklärt der Jurist. Diese Frage nach der Einsichtsfähigkeit stelle sich zum Beispiel, wenn ein Zehnjähriger seinem Kumpel das Kokain vom großen Bruder zum Schnupfen anbietet und betont, dass es sich um ganz harmloses Pulver handele. &bdquo;Dabei geht es um die Frage, ob der Zehnjährige verstehen konnte, welche Wirkung Kokain hat, und ob er die Einsicht hatte, dass er mit seiner Handlung bei dem Opfer Schaden anrichtet.“ Sei diese Einsichtsfähigkeit vorhanden, kann der Zehnjährige für sein Tun zur Rechenschaft gezogen werden. Das Oberlandesgericht Köln entschied 2010, dass ein Neunjähriger alt genug gewesen ist, um zu beurteilen, dass ein kleines Strohfeuer die darunter liegenden Ballen und schließlich auch die gesamte Scheune eines Reiterhofes in Brand setzen könnte. Das Gericht betonte, dass der Neunjährige die Gefährlichkeit habe erkennen können und dass es zumutbar gewesen sei, sich entsprechend anders zu verhalten. Müssen in so einem Fall die Eltern geradestehen? Je älter ein Kind sei, desto weniger erwartet der Gesetzgeber von den Erziehungsberechtigten, dass sie es beaufsichtigen, erklärt Karsten. &bdquo;Ein zwölfjähriges Kind muss schließlich nicht ununterbrochen kontrolliert werden.“ Im Fall einer solchen Brandstiftung liege also nicht unbedingt eine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern vor. Nur dann aber haften Eltern. Wenn die Täter 12 bis 13 alt sind, können sie sich für gewisse Zeit unbeaufsichtigt in der Stadt aufhalten. Dann haften auch die Eltern nicht für einen verursachten Brandschaden, sondern allein das Kind. Anders sehe es aus, wenn das Kind etwa durch fehlende Reife oder bestimmte Krankheitsbilder wie ADHS zu Grenzüberschreitungen neige. Zahlt dann die Haftpflichtversicherung? Strafverteidiger Sven Karsten warnt davor, sich darauf zu verlassen: &bdquo;Wenn Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht verletzen, zahlt oft auch die private Haftpflichtversicherung nicht.“ Sollten sich die vom Brand Betroffenen deshalb auf eine Zivilklage gegen das Kind einlassen, verjährt der erwirkte Vollstreckungstitel übrigens erst nach 30 Jahren. Die Gerichtskosten und das damit einhergehende Prozesskostenrisiko sind angesichts der enormen Schadenshöhe allerdings hoch. Eine Klage birgt also auch für die Geschädigten ein hohes Risiko. Zusatzbaustein für kleine Kinder Kinder unter 7 Jahren sind zwar deliktunfähig (im Straßenverkehr gilt es für Kinder unter 10 Jahren) und damit auch nicht haftbar. Aber auch sie können mit Kleinigkeiten großen Schaden anrichten – etwa die kaputte Fensterscheibe beim Nachbarn. War das Kind nur kurz vor der Tür, wurde die Aufsichtspflicht nicht verletzt. Dann übernimmt niemand die Rechnung. Die privaten Haftpflichtversicherungen bieten für die Begleichung solcher Schäden Zusatzbausteine an, damit aus der kaputten Fensterscheibe kein nachhaltiger Nachbarschaftsstreit entsteht.

Meistgelesen