"Ladehemmungen": Bielefelder Gastronomie hadert mit der neuen Mehrwegpflicht

Bielefeld. Die neue Mehrwegpflicht, die seit dem Jahreswechsel bundesweit gilt, macht viele Bielefelder Gastronomen offenbar vor allem eines – ratlos. Eigentlich sollen größere Restaurants und Co. ihren Kunden jetzt Mehrwegbehälter für To-go-Gerichte anbieten. Mehrwegbecher sind grundsätzlich Pflicht. Doch ein NW-Test in der City offenbart große Probleme bei der Umsetzung. Bettina Willner von der Verbraucherzentrale sieht dafür zwei Hauptgründe. Beim Gaststättenverband verwehrt man sich unterdessen gegen jede Kritik. Seit dem 1. Januar sind Restaurants, Cafés, Bäckereien, Supermärkte, Bistros, Gastroketten, die Gerichte außer Haus verkaufen, gesetzlich dazu verpflichtet, ihren Kunden eine Alternative zum Plastik-Einwegverpackungsmüll anzubieten. Ausgenommen sind Betriebe mit einer Fläche unter 80 Quadratmetern und maximal fünf Mitarbeitern. Doch trotz Vorlaufzeit, Medienberichten, Infoveranstaltungen und drohenden Bußgeldern von bis zu 10.000 Euro – in der Bielefelder Restaurantszene überwiegen beim ersten stichprobenhaften Rundgang der NW die Zauderer. In sieben bekannten Gastronomien in der City bekommen wir von "McDonalds" über L'Osteria und "Peter Pane" bis hinzu "Glückspilz" und "Kachelhaus" nicht einen Mehrweg-Essbehälter zu Gesicht. Positive Beispiele muss man gezielt suchen. Woran liegt’s? Auf Nachfrage geht Regine Tönsing, Hauptgeschäftsführerin des hiesigen Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga Ostwestfalen), sofort zum Angriff über: Die Medien hätten über die Umstellung vorab nicht ausreichend berichtet. Man merkt: Es ist Druck im Kessel. Die Bielefelder Restaurantszene hat genug andere Baustellen und fürchtet den Aufwand &bdquo;Die Gastronomen haben gerade genug andere Baustellen. Erst kam Corona, dann folgten Personalmangel und Energiekrise, und bei alldem musste auch noch das Weihnachtsgeschäft bewältigt werden“, verteidigt Tönsing die Branche. Da sei es erwartbar gewesen, dass die Umstellung nicht sofort klappen würde. Sie betont: &bdquo;Das sind Ladehemmungen und kein Unwillen.“ Die Dehoga Ostwestfalen habe frühzeitig informiert und Kooperationsverträge mit zwei großen Anbietern von Mehrwegsystemen abgeschlossen, um diese den Mitgliedern anbieten zu können. Doch für die Gastronomen bedeute Mehrweg auch eine Mehrbelastung, so Tönsing. &bdquo;Die Betriebe müssen sich über die verschiedenen Systeme informieren und die Behälter ordern, die tägliche Logistik organisieren, Pfand kassieren, die Gefäße zurücknehmen, reinigen, aufbewahren und für all das Mitarbeiter beschäftigen.“ Lieferschwierigkeiten kämen hinzu, weil nun viele Betriebe bundesweit neue Behältnisse kurzfristig anschaffen wollten. Und dann sei noch offen, ob Mehrweg überhaupt von den Kunden nachgefragt werde. Tönsing: &bdquo;Da bin ich gespannt wie ein Flitzebogen.“ Die Verbraucherzentrale erklärt, wann Gastronome ihren Kunden jetzt Mehrweg anbieten müssen - und wo es hakt Das neue System müsse sich erst einspielen, auch bei den Verbrauchern, so die Einschätzung von Umweltberaterin Willner von der Bielefelder Verbraucherzentrale. &bdquo;Das größte Problem ist, dass das Gesetz so schwammig ist.“ Die neue Mehrwegregelung verpflichte nämlich zunächst einmal nur alle Betriebe dazu, mitgebrachte Behälter von Kunden zu befüllen sowie Mehrwegbecher anzubieten und beides sichtbar zu bewerben. &bdquo;Da gibt’s keine Ausflüchte mehr.“ Doch dann werde es kompliziert: So seien Pizzakartons, Papp- und Papierbehälter, sofern sie unbeschichtet sind und keine Plastikdeckel haben, sowie die extrem umweltschädlichen Aluminiumbehälter ausreichend, um die Mehrwegpflicht für Gerichte &bdquo;to go“ komplett zu umgehen. Dabei sei das vermeidlich umweltfreundliche Papier ressourcenintensiv und erhöhe den Druck auf die Wälder, kritisiert Willner. &bdquo;Das ist keine nachhaltige Lösung.“ Gleichzeitig seien Verpackungs- und Papierpreise für die Gastronomie extrem gestiegen. Dass das Mehrwegsangebot in Bielefeld dennoch nur zögerlich wächst, liege auch an der Anbieterlandschaft, so die Expertin. &bdquo;Es gibt im Moment verwirrend viele Parallelsysteme.“ Lesen Sie auch: Ikea führt Mehrwegsystem für Speisen und Getränke ein Ein Markt-Check der Verbraucherzentrale soll bald kommen, die Stadt plant Kontrollen Die Verbraucherzentrale will den Bielefelder Gastronomen jetzt mit einem Mehrweg-Marktcheck auf den Zahn fühlen – aber erst im März. &bdquo;Bis dahin gewähren wir eine Schonfrist.“ Mit Kontrollen vonseiten der Stadt Bielefeld muss die Gastronomie ebenfalls noch nicht rechnen. &bdquo;Wir klären gerade, in welchen Zuständigkeitsbereich die Überprüfung fällt“, so Birgit Reher, Leiterin für Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Umweltamt. Die Mehrwegpflicht falle unter das Gewerbeabfallrecht. Dass das Gesetz in vielen Bereichen nicht eindeutig sei, erschwere die Einführung, sagt auch sie. Reher ist zudem zuständig für das Förderprogramm &bdquo;Mehrwegpioniere“: Mit bis zu 1.500 Euro unterstützt die Stadt die Mehrwegumstellung in kleinen Betrieben, die von der Mehrwegpflicht ausgenommen sind. Doch trotz großer Werbekampagne in 2022: &bdquo;Bisher ist bei uns nur ein einziger Antrag eingegangen.“

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