Jetzt als Podcast: Die Entführung des Richard Oetker

Bielefeld. Der Bielefelder Unternehmersohn Richard Oetker ist gerade Student der Brau- und Agrarwissenschaften, als der 25-Jährige am 14. Dezember 1976 auf einem Parkplatz in Freising bei München nach einer Abendvorlesung in den Lauf einer schallgedämpften Pistole blickt. &bdquo;Das Ding macht nur Klack", sagte Automechaniker Dieter Zlof. Mit diesen Worten zwang er den 1,94 Meter großen Unternehmersohn in eine enge Kiste, in der Oetker später durch einen Stromschlag lebensgefährlich verletzt wurde. 46 Jahre nach seiner Entführung spricht der ehemalige Chef des Weltkonzerns Dr. Oetker für die neueste Folge des NW-Podcasts &bdquo;Ostwestfälle" mit Simon Schulz über die Tat, seine erstaunlich rationellen Gedanken in Gefangenschaft und über die selbst erlebte Leidensfähigkeit. Es ist das erste Mal, dass Richard Oetker persönlich mit der NW über den berühmten Fall spricht. Und es ist das erste Mal, dass dazu ein Podcast entstanden ist. Knapp zwei Stunden nahm sich der bekannte Bielefelder Unternehmer für die Aufnahmen in der Oetkerwelt im Raum Budapest Zeit. Der Entführungsfall des Richard Oetker im Überblick: Am 14. Dezember 1976 wird Richard Oetker entführt. Er wird zwei Tage in einer kleinen Holzkiste gefangen gehalten. Durch einen Stromstoß erleidet der Millionenerbe lebensgefährliche Verletzungen. Am 16. Dezember 1976 übergibt Bruder August Oetker 21 Millionen Mark Lösegeld an den Entführer. Richard Oetker wird freigelassen. Am 29. Januar 1979 wird der tatverdächtige Dieter Zlof festgenommen. Am 9. Juni 1980 wird Zlof zu 15 Jahren Haft verurteilt. Die Entführung 14. Dezember 1976: Richard Oetker wird am Abend vor der Universität in Freising mit einer Waffe bedroht und entführt. Er studiert zu diesem Zeitpunkt Brau- und Agrarwissenschaften und möchte nach einer Abendvorlesung mit dem Auto nach Hause fahren. Der Täter zwingt ihn in einem VW-Kastenwagen in eine extra für ihn vorbereitete, kleine Kiste. Das Perfide: Laute Geräusche lösen in der Kiste einen Stromschlag aus. &bdquo;Mein ganzer Körper bebte, als ich in dieser Kiste lag." Die Holzkiste war schulterbreit und 1,44 Meter lang. Wie ein Embryo lag der 1,94 Meter große Mann an Handschellen gefesselt in dem &bdquo;Sarg", wie die NW später über die Holzkiste schreiben sollte. Er war gefangen. &bdquo;Über ein Babyfon nahm der Entführer Kontakt mit mir auf." Oetker betont, dass er auch in dieser Situation seinen Optimismus nie verlor. Um Nähe zum Entführer aufzubauen, wollte er ihn duzen, nannte den Unbekannten &bdquo;Checker". Das war eigentlich der Spitzname seines besten Freundes. Bielefelder Entführungsopfer reagiert erstaunlich &bdquo;Nach der ersten Schockphase habe ich mich gefragt, was kann ich tun?", erinnert sich Richard Oetker an die Entführung. &bdquo;Ich konnte hören, riechen, nicht viel sehen. Ich bin nicht in Selbstmitleid zerfallen, sondern ich wurde aktiv. Ich konzentrierte mich darauf, alles in meinem Gedächtnis einzuprägen." So bemerkte er nur durch sein Gehör, dass Zlof einen sechszylindrigen Mercedes fuhr, gesehen hatte ihn Oetker nie. Der 25-Jährige merkte sich sogar die Handschrift und den Preis auf dem Schaumstoff, den der Entführer ihm in die Holzkiste gelegt hatte. Die Polizei machte die Verkäuferin dadurch ausfindig. Sie konnte Zlof beschreiben. &bdquo;Man kann sich in einem solchen Zustand mehr merken, als viele glauben." Ein Stromschlag verletzt Richard Oetker lebensgefährlich 15. Dezember 1976: Der Entführer berührt mit der Garagentür den Kastenwagen und löst damit einen Stromschlag aus. Weil Oetker eng gefesselt ist, bricht er sich den 7. und 8. Brustwirbel sowie beide Hüftgelenke, als der Stromschlag alle Muskeln zusammenzieht. Aufgrund einer Lungenquetschung schwebt er in akuter Lebensgefahr. &bdquo;Es tat höllisch weh. Ich dachte, ich sterbe", sagt er. Durch den hohen Adrenalinspiegel im Körper hielt Oetker die Schmerzen aus, aber &bdquo;ein Teil meiner Lungen war inaktiv. Wäre ich gezwungen worden, weiterhin in dieser Embryonalstellung zu liegen, hätte ich nicht überlebt", weiß Oetker heute. Die Geldübergabe durch seinen Bruder August Oetker 16. Dezember 1976: Richards Bruder August übergibt gegen 13.45 Uhr in einem Untergeschoss des Münchner Stachus (Karlsplatz) 21 Millionen Mark. Die Zivilfahnder scheitern bei der Verfolgung des Täters an einer verschlossenen Stahltür. Oetker wird kurz nach 19 Uhr in einem Opel Commodore gefunden. Die Qualen und die Kräfte des Richard Oetker &bdquo;Wenn man mir vorher gesagt hätte, was ich da durchmachen müsste, hätte ich gesagt: Das schaffe ich nicht. Ich war erstaunt, welche Kräfte auf einmal in mir wach wurden." Wegen des Lungenschadens konnte der 25-Jährige nach der Befreiung nicht in Narkose operiert werden. Bei vollem Bewusstsein bohrten die Ärzte Löcher in seine Kniescheiben, um die Hüftgelenke mit Gewichten herunterzuziehen. &bdquo;Seitdem habe ich die Gewissheit, dass Menschen viel mehr aushalten, als wir glauben." 21. Dezember 1976: Richard Oetker schwebt nicht mehr in Lebensgefahr. Die Ärzte retten seine Lunge. Bielefelder spürt heute noch weitreichende Spätfolgen &bdquo;Seelische Wunden habe ich nicht", sagt Richard Oetker später bestimmt. In den unzähligen Befragungen der Polizei zu seiner Entführung habe er sich vieles von der Seele geredet. &bdquo;Deswegen hatte ich nie psychische Probleme." Trotzdem schickte man Oetker nach seiner Befreiung einen Psychiater, der ausgerechnet Dr. Angstwurm hieß. &bdquo;Nach zwei Sitzungen war klar, dass ich keine professionelle Hilfe mehr brauchte. Nach wie vor bin ich Optimist und empfinde keine Angst oder Misstrauen gegenüber Menschen. Ich finde es selbst erstaunlich, dass ich nicht daran zerbrochen bin." Schwerer wiegen die körperlichen Folgen. Vier Jahre lang hatte er ausschließlich mit Gehstützen gehen können. Bis 1994 wurde er immer wieder operiert. &bdquo;Ich bin in meinen Bewegungsradius eingeschränkt, kann weder lange stehen noch sehr weit laufen", sagte Oetker im Alter von 59 Jahren in einem Interview mit der "Welt" 2010. Bis heute ist der Millionenerbe gehbehindert. Verdächtigungen in der eigenen Familie Richard Oetker berichtete einem Polizisten, der ihn damals im Wald bei München befreit hatte, all seine Beobachtungen. &bdquo;Der Beamte konnte gar nicht so schnell mitschreiben", wie er mit Details gefüttert wurde. &bdquo;Später haben sich Widersprüche zwischen meinen Aussagen und dem Gedächtnisprotokoll dieses Beamten ergeben. Da merkte ich, dass selbst ich dadurch in den Kreis der möglichen Täter geriet." Auch damit ging der Industriellensohn mit erstaunlicher Sachlichkeit um: &bdquo;Mein Ziel war einzig die Aufklärung der Tat. Beleidigt sein, kam nicht infrage. Aufgeben auch nicht." Der damals 25-Jährige ertrug also auch scheinbar dumme Fragen. Die Polizeibeamten kamen jeden Tag: &bdquo;Ich lernte dadurch, mit dem Fall sachlich umzugehen. Trotzdem belastete es mich, dass ich niemanden aus meinem Freundeskreis oder der Familie ausschließen durfte. Da wird man wahnsinnig. Man kann diesen Menschen nicht so lange mit Misstrauen gegenübertreten." Der entscheidende Tipp auf Täter Dieter Zlof nach zwei Jahren 6. Januar 1977: Die ersten 1.000-DM-Scheine aus dem Lösegeld tauchen in Österreich auf. Inzwischen ermittelt eine 90-köpfige Sonderkommission. Bis Dezember 1978 sammelt sie mehr als 5.600 Spuren und überprüft jede einzelne. 15.000 Zeugen werden vernommen. Doch alles ist ohne Erfolg. Wer hatte Richard Oetker entführt? Drei anfänglich festgenommene Männer stellen sich als unschuldig heraus. Am 29. Januar 1979 taucht erneut ein Tausender aus dem Lösegeld in einem Münchener Geldinstitut auf. Ein Bankangestellter kann den Kunden beschreiben. Es ist der entscheidende Tipp zur Aufklärung des Falles. Nur einen Tag später verhaftet die Kripo den dringend tatverdächtigen Dieter Zlof. Der Oetker-Prozess 26. November 1979: Der Prozess gegen Dieter Zlof beginnt vor dem Landgericht München II. Richard Oetker erscheint nach zwei frischen Operationen auf Krücken im Gerichtssaal. Anfangs sitzt er im vollen Blitzlichtgewitter der Pressefotografen. &bdquo;Doch plötzlich drehten sich alle um, als der Angeklagte in den Gerichtssaal geführt wurde. Und ich saß da wie ein bestelltes Zootier", erinnert sich der Bielefelder. Auf Anfrage sagt er 2016: &bdquo;Die damalige Berichterstattung in den Medien war sehr auf den Täter fokussiert. Darüber war ich frustriert und enttäuscht. Den Umgang mit mir als Tatopfer habe ich trotzdem vorwiegend als respektvoll empfunden." 15 Jahre Haft für den Oetker-Entführer 9. Juni 1980: Der Angeklagte wird in einem langen Indizienprozess wegen erpresserischen Menschenraubs zur Höchststrafe von 15 Jahren Haft verurteilt. Wegen der fehlenden Beweise wird Richard Oetker angefeindet, weil man glaubte, er sei mit dafür verantwortlich, dass Zlof unschuldig hinter Gittern sitze. Das machte den Unternehmersohn wütend. Für Richard Oetker ist die Suche nach dem endgültigen Beweis gegen seinen Peiniger weiterhin von hoher Priorität. &bdquo;Die einzige Möglichkeit war also, eine Verbindung zwischen dem Täter und dem Lösegeld herzustellen. Mein Albtraum war, dass er noch in den Genuss des Geldes kommen könnte." Richard Oetker hielt daher über Jahre engen Kontakt zum Leiter der damaligen Sonderkommission, gemeinsam ermittelten sie weiter. Das Lösegeld: Scotland Yard verschafft Oetker &bdquo;enorme Genugtuung" Der Industriellensohn sprach von einer bemerkenswerten Zusammenarbeit: &bdquo;Ich habe daraus gelernt, nicht verbissen, aber kontinuierlich ein Ziel zu verfolgen." Am 26. Januar 1994 wird Dieter Zlof nach dem Absitzen seiner gesamten Haftstrafe entlassen. Doch es wird weitere zwei Jahre dauern, bis der Kripo endlich der belastende Beweis gelingt. 17 Jahre nach dem Urteil lockt Scotland Yard Oetkers Kidnapper Dieter Zlof im Mai 1997 mit 12,4 Millionen Mark in eine Falle: Beim Versuch, Teile des Lösegelds umzutauschen, wird er in London festgenommen. Er muss schließlich wegen versuchter Geldwäsche und Betruges in England für zwei weitere Jahre hinter Gitter. Eine &bdquo;enorme Genugtuung", sagte Richard Oetker 2011 in der "FAZ". Richard Oetker als Speerspitze des Opferschutzes Seit den 1980er Jahren engagiert sich Richard Oetker, der wegen seines Kidnappers bis heute gehbehindert ist, für die Opferschutzorganisation Weißer Ring. &bdquo;Ich habe erlebt, was es heißt, ein Opfer zu werden." Und er kennt die Einsamkeit in einem Verfahren, das sich hauptsächlich dem Täter widmet. Mit seinem Engagement wolle er anderen Opfern Mut machen und ihnen mehr Aufmerksamkeit verschaffen. &bdquo;Mit meinem Namen und meinem Schicksal hoffe ich auch, die Bekanntheit des Weißen Rings zu steigern." Richard Oetker lehnte Interviewanfragen zu seiner Entführung immer wieder ab. Seine hier veröffentlichen Zitate stammen aus seinem ausführlichen Vortrag beim Deutschen Präventionstag 2013 in Bielefeld. Den ersten Podcast, in dem Richard Oetker über seine Entführung spricht, finden Sie hier.

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