Autor Abbas Khider: Der Fachmann fürs Leichte im Schweren

Bielefeld. Welche Erinnerungen machen uns zu den Menschen, die wir sind? Die Antwort ist vielfältig, dürfte aber beinahe jeden früher oder später beschäftigen. Wie gut, dass die Macher der Bielefelder Literaturtage diese Frage für ihre 27. Ausgabe in den Blick genommen haben. &bdquo;Von der Wandelbarkeit des Erinnerns“ ist das Motto der größten Lesungsreihe der Stadt, die mit bekannten Autorinnen und Autoren bis zum 28. Oktober über die Lesebühne der Stadtbibliothek geht. Mit Abbas Khider (49), dem vor fast 30 Jahren nach Haft und Folter aus dem Irak geflohenen, beeindruckend eloquenten Schriftsteller und Träger etlicher Autorenpreise, ist nun ein bestmöglicher Auftakt gelungen. Locker und humorvoll, dazu mit ansteckendem Lachen gesegnet, ließ er keinen Zweifel daran, auch zum dritten Mal gerne nach Bielefeld zu den Literaturtagen gekommen zu sein. Iulia Capros, kommissarische Bibliotheksleiterin, und Klaus-G. Loest vom Förderverein hatten ihm zuvor eine launige Begrüßung bereitet, weswegen einem unterhaltsamen Abend im voll besetzten Haus nichts mehr im Wege stand. Die eigene Erinnerung einfach selbst erfinden Khiders im Januar erschienenes Werk &bdquo;Der Erinnerungsfälscher“ passte natürlich thematisch genau ins Programm: Es ist die Geschichte seines Alter Egos Said Al-Wahid (&bdquo;Alle meine Bücher sind autobiografisch“), der sich nach Jahren im Exil wieder in die alte Heimat Bagdad aufmacht, da seine Mutter im Sterben liegt. Widerstrebend, denn die Erinnerung an seine politisch aktive Zeit unter Saddam Husseins repressiven Regime sind nicht die besten. Elfmal Haft und Folter haben Khider ebenso wie Said geprägt, der in Deutschland Fuß gefasst hat. Was also tun, wenn zugleich die emotionalen Bande zur kurzzeitigen Rückkehr zwingen? Khider und seine Romanfigur Said finden eine Lösung: einfach die Erinnerung selbst gestalten, vielleicht sogar neu erfinden. Ihr eine lehrreiche, das persönliche Wachstum fördernde Grundierung geben und selbst dem Schmerzhaften eine unverhoffte Wendung verpassen. Mit Schönfärberei hat das nichts zu tun. Eher entdeckt die Romanfigur an sich eine Unfähigkeit, korrekt zu erinnern: &bdquo;Was früher einmal in seinem Kopf gefangen war, fand nicht mehr heraus“, lässt Khider seinen Protagonisten sinnieren. &bdquo;Die einen wählen den Freitod, die anderen werden richtig alt“ Und in Sorge um seinen Geisteszustand ein Behandlungszentrum für Folteropfer aufsuchen: &bdquo;Wenn etwas passiert, was man sich in Deutschland nicht erklären kann, nennt man es Trauma“, beobachtet Said amüsiert. Und da ist sie wieder – diese für Abbas Khider so typische Verknüpfung von ernstem Hintergrund und amüsierter Beobachtung der Realitäten seiner Wahlheimat. Schon in dem Band &bdquo;Die Ohrfeige“ und besonders in seiner humorvollen Sprachbetrachtung aus Sicht eines Orientalen, &bdquo;Deutsch für alle“, hat der Autor mit seiner gradlinigen Sprache und unvermittelt aufscheinenden Poesie für sich eingenommen. Sein virtuoser Umgang mit den Möglichkeiten der Ironie in einer für ihn zunächst fremden Sprache, ist nach wie vor ein Phänomen. Um das Brutale seiner Erfahrungen im Irak zu ertragen, hilft sich das Gedächtnis mit Erinnerungslücken und Umdeutungen. Skurrile Behördenvorgänge, Alltags-Rassismus, dazu wiederkehrende Begegnungen mit Patrick Süßkinds Buch &bdquo;Die Taube“ finden im schmalen Bändchen mit dem großen, lebensbejahenden Inhalt Platz. Im erhellenden Gespräch mit Klaus-G. Loest rückte der Autor durch profunde Freundlichkeit und Humor dem Publikum noch ein Stückchen näher. Daran änderte auch die schroffe, zugleich typische Khider-Gewichtung nichts: &bdquo;Es gibt zwei Arten von Exilautoren – die einen wählen irgendwann den Freitod, die anderen werden richtig alt.“

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