Bielefelder Krankenhaus-Geschäftsführer: „Die Lage ist so dramatisch wie nie“

Nach zwei Jahren maximaler Belastung durch den Vergewaltigungsfall und die Corona-Pandemie wartet auf Ihr Haus jetzt eine weitere Herausforderung: die exorbitante Preissteigerung. Wie wirkt sich die Preisexplosion bei Energie, Medikamenten, Medizinprodukten und Lebensmitteln auf das EvKB aus? Die gesamte Situation kann man gut an einer Schere der Kosten und Erlöse darstellen, die immer weiter auseinandergeht. In den vergangenen drei Jahren ist sie um 10 bis 15 Prozent aufgegangen. Wir können Kostensteigerungen nicht über Preise an den Markt weitergeben. Diese deckelt das Land. Ich kenne kein Krankenhaus, das vorher eine Rendite von 15 Prozent hatte. Das heißt, dass jedes Krankenhaus aktuell defizitär sein muss. Wenn jetzt kein Inflationsausgleich kommt und die Schere sich noch weiter öffnet, kann das kein Krankenhaus dieser Welt schaffen. Sie fordern die Politik auf, das zu verhindern? Ja, an dieser Stelle ist die Politik gefordert, einen Inflationsausgleich zu schaffen. Energiekosten, medizinischer Sachbedarf, Corona. Wir haben überall diese Kostensteigerungen. Die Rechnung geht einfach nicht auf. Die Politik hat uns mit dem Finanzierungssystem über Leistungen mit festen Gebührensätzen in diese Lage gebracht. Man ist ja inzwischen das Jammern über die Unterfinanzierung im Gesundheitswesen gewöhnt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft spricht jetzt von einer Alarmstufe Rot. Was bedeutet das? Ja, natürlich wird gejammert. Aber wo stehen wir denn jetzt? Nun summieren sich Rationalisierungsmaßnahmen, Investitionsstau, Fachkräftemangel, Inflation und Coronabelastungen auf. Eine Krise folgt der anderen. Durch die verschieden wirkenden Kräfte braut sich da ein perfekter Sturm zusammen. Die Zitrone ist also ausgepresst. Was folgt daraus? Die Kolleginnen und Kollegen sind müde, sind erschöpft. Wir fahren auf der letzten Rille. Wir sind nicht mehr in der Lage, vollumfänglich versorgungsfähig zu sein. Das bedeutet, dass wir nicht mehr alle Betten, alle Stationen voll besetzt haben. Die Krankenhäuser müssen uns jetzt im ganzen Land fragen, wie Versorgung aussehen soll und mit welchen Einschränkungen wir leben wollen. Sie sprechen damit den enormen Fachkräftemangel in der Pflege an? Ja, das politisch gewollte Gesundschrumpfen der Krankenhauslandschaft hatte gravierende negative Folgen für die Versorgungsstruktur. Das Pflegepersonal wächst nicht wie Blätter am Baum. Es gibt einfach kein Pflegepersonal mehr. Wir können Betten zum Teil nicht belegen, weil uns das Pflegepersonal fehlt. Um die Pflege dreht sich alles. Wie viel Personal fehlt Ihnen? Etwa 220 bis 250 Köpfe fehlen uns aktuell in der Pflege. Das sind 180 unbesetzte Vollzeitstellen. Man muss an dieser Stelle sagen, dass die Mitarbeitenden aller Berufsgruppen Unermessliches leisten. Sie können die fehlenden Köpfe natürlich nicht kompensieren, aber sie zeigen in ihrer Bereitschaft und Schichtarbeit ein riesiges Engagement. Sie investieren aktuell in einen neuen Gesundheitscampus 15 Millionen Euro. Dort sollen auch Pfleger und Pflegerinnen akademisch ausgebildet werden. Kann das die Situation verbessern? Die Gesundheitsschulen sind für uns elementar. Im Haus Sarepta wollen wir künftig an einem modernen Campus die verschiedenen Berufsgruppen miteinander verzahnen. Es ist ein gemeinsames Haus für Medizinstudenten als auch für die pflegerischen Berufe. Das macht beide Berufsbilder attraktiver und lässt die Teams besser zusammenwachsen. Wie sieht es mit dem neuen Krankenhausplan aus? Das Ziel des Landes ist, Doppelstrukturen der Krankenhausversorgung zu verhindern. In der Konsequenz müssen Standorte geschlossen werden. Beschäftigen Sie sich damit? Der Landeskrankenhausplan hat seine Bedeutung. Aber man muss sich fragen, ob er überhaupt noch zum Tragen kommt. Wir haben eine solche Verschärfung der wirtschaftlichen Krise, dass die Bedarfsorientierung ad absurdum geführt wird. Vielleicht müssen viele Krankenhäuser schon vorher aufgeben. Die Lage ist so dramatisch, wie sie noch nie war. Wenn Krankenhäuser keinen Inflationsausgleich bekommen, dann werden wir morgen andere Versorgungsstrukturen haben als heute. Einige Häuser werden aufgeben müssen, weil sie ihre Leute nicht mehr bezahlen können und Insolvenz anmelden müssen. Vielleicht ist das sogar politisch gewollt. Politisch gewollt war in jeden Fall das Auslaufen der Coronahilfen. Sie bekommen keine finanzielle Unterstützung mehr bei der Bewältigung der Pandemie. Wie sehen Sie denn dem Herbst entgegen? Das ist jetzt ein bisschen Kaffeesatzleserei. Aber wir rechnen damit, dass es nicht mehr so sein wird wie in den vergangenen Jahren. Was mit dem neuen Impfstoff auf uns zukommt, stimmt uns positiv. Bei uns kommen die Patienten nicht mehr wegen, sondern mit Corona. Allerdings fehlt uns ansteckungsbedingt immer noch viel Personal. Sie haben jüngst gut elf Millionen Euro aus dem Krankenhauszukunftsgesetz bekommen. Das müsste doch an einigen Stellen helfen? Natürlich sind solche Unterstützungen wichtig und hilfreich. Aber zunächst geht es darum, einen Investitionsstau abzubauen. Wir haben zudem selbst einiges draufgelegt. Wir nehmen zusätzlich eine größere Summe in die Hand, um in den nächsten Jahren in eine Reihe Radiologie-Geräte der neuesten Generation zu investieren. Mit modernster Medizintechnologie werden wir sicherlich ganz vorne mit dabei sein. Dafür haben wir mit dieser Investition gesorgt.

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