Bielefelder Wirtschaft kritisiert Stadt und Politik

Bielefeld. In dieser Woche feiert das älteste Familienunternehmen Ostwestfalens sein 300-jähriges Bestehen. Das ist etwas Besonderes und verdient Anerkennung. Zumal die Zeiten für Delius als Textilunternehmen längst nicht immer einfach waren in einer Branche, die stark geprägt ist von der Globalisierung der Märkte. Der Applaus war intensiv und währte aufrichtig lange. Einige Minuten vorher hatte Friedrich Wilhelm Delius die feierliche Stunde auch für deutliche, kritische Worte genutzt. Sie waren gerichtet an Stadt und Politik. Es sei traurig, dass der Mittelstand in Bielefeld nicht die Wertschätzung erhalte, die er verdiene, sagte er auf der Bühne. Bürgermeister Andreas Rüther (CDU), der als Vertreter für Pit Clausen (SPD) am Abend zu den Gästen gehörte und eine Rede als Repräsentant der Stadt hielt, versicherte das Gegenteil. Doch der Unmut vieler Unternehmer steht seit Jahren wie ein Elefant im Raum. Vor allem der Politik und der Verwaltungsspitze wird von Unternehmern vorgeworfen, zu wenig für den Wirtschaftsstandort Bielefeld zu unternehmen. &bdquo;Man fühlt sich als Unternehmer in Bielefeld wohl, doch zunehmend weniger weiß man warum“ Der frühere Konzernlenker August Oetker drückte es einst so aus: &bdquo;Man fühlt sich als Unternehmer in Bielefeld wohl, doch zunehmend weniger weiß man warum.“ Es ist inzwischen fast sieben Jahre her, dass eine IHK-Studie zur Unternehmenszufriedenheit in Bielefeld einschlug wie eine Bombe. 2015 war die Stimmung der Unternehmen trotz ordentlicher Wirtschaftsdaten im Keller. Eine erneute Umfrage der IHK, die erst letzte Woche veröffentlicht wurdem ergab ein ähnliches Bild. Die Stimmung ist immer noch im Keller. Die Industrie- und Handelskammer hat aktuell 500 Unternehmen in der Stadt nach ihrer Stimmung befragt. Zuvor hatte sie das gleiche 2015 mit 1.000 Unternehmen gemacht. Das Ergebnis war 2015 und ist 2022 vor allem für den Oberbürgermeister und den Wirtschaftsdezernenten desaströs. Die Stadt punktet in Bezug auf die medizinische Versorgung oder der Verkehrsanbindung an die Autobahnen. Auch die Einkaufsmöglichkeiten und die Nähe zu den Zulieferern werden gelobt. Die Stadt gerät aber in die Kritik, wenn es um die Höhe der Gewerbesteuern, um die Dauer von amtlichen Genehmigungen oder den Breitbandausbau ging. Hochgradige Unzufriedenheit herrscht bei der Verfügbarkeit der Flächen. Funke zwischen Dezernent und Wirtschaft nicht übergesprungen Ist die Kritik berechtigt? Der Breitbandausbau kommt voran – aber langsam. Bis 2024 werden 20 Prozent der Gebäude in der Stadt mit Glasfaserleitungen ans Internet angeschlossen sein. Weiterhin werden in den nächsten Jahren immer mehr Gewerbegebiete erschlossen. Eine Folge der IHK-Studie 2015 war außerdem, dass Clausen einen Wirtschaftsdezernenten und einen Ausschuss für Wirtschaftsförderung in der Stadt etablierte. Seit Oktober 2016 ist Baudezernent Gregor Moss, der auch Geschäftsführer der Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft WEGE ist, Beigeordneter für das Thema Wirtschaft. Damit gibt es also inzwischen einen Kümmerer an der Spitze der Verwaltung. Doch der Funke scheint in all den Jahren nicht so recht übergesprungen zu sein, viele Unternehmer fühlen sich noch immer nicht mitgenommen und ihre Belange zu wenig berücksichtigt. Das sagte zuletzt auch der ehemalige IHK-Präsident Wolf D. Meier-Scheuven ganz deutlich. In Bielefeld stehen stehen genau null Hektar Gewerbeflächen frei Das liegt auch daran, dass sich bei einem der größten Kritikpunkte kaum etwas getan hat. In Bielefeld stehen stehen genau null Hektar Gewerbeflächen frei. Seit Jahren leidet Bielefeld darunter, dass den Betrieben für Erweiterungen oder Neuansiedlungen keine Flächen zur Verfügung gestellt werden können. Und das obwohl es im vergangenen Jahr 121 Anfragen von Unternehmen gegeben hat. Das hemmt die wirtschaftliche Entwicklung. Es bleibt der Stadt nur die Möglichkeit, private Flächen aufzuspüren und interessierte Unternehmen mit verkaufsbereiten Eigentümern in Kontakt zu bringen. Doch dabei geht es schlecht voran. Und noch eine Sache ist und bleibt Unternehmern ein Dorn im Auge. Die Höhe der Gewerbesteuer. Schaut man auf das Städteranking der Wirtschaftswoche und IW Consult, das 71 Großstädte miteinander verglichen hat, stellt man fest, dass Bielefeld bei allen Werten der Wirtschaftsstruktur unter dem Mittelwert liegt und in diesem Bereich den Rang 50 belegt. Bei den Gewerbesteuersätzen lag die Stadt 2020 bei 480 Prozent. Der Mittelwert aller 71 Städte liegt bei 454 Prozent. Lösungen sind nicht in Sicht Solche Zahlen sprechen Wahrheiten aus. Und wenn über Jahre die Stimmung so schlecht ist, muss es Gründe dafür geben. Lösungen sind aber leider nicht in Sicht. Und das in einer zeit, in der die großen Herausforderungen wie explodierende Energiekosten, Fachkräftemangel, Materialnot und Corona noch oben drauf kommen. Dass bei vielen die Nerven blank liegen, ist nachvollziehbar.

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