Bielefelder AWO-Berufskolleg vor dem Aus: Jetzt sprechen die Schüler

Bielefeld. &bdquo;Ich dachte erst, es sei ein schlechter Scherz“, sagt Rainer Kanzow. Dann merkte er, es ist ernst. Von der geplanten Schließung des AWO-Berufskollegs wird er getroffen, so wie viele seiner Mitschüler. Ohne Schule keine Ausbildung, ohne Ausbildung kein Geld. Doch das brauche ich zum Leben.“ Mit einer Mischung aus Wut, Trauer und Hoffnung kämpfen die Schülerinnen und Schüler des AWO-Kollegs, an dem unter anderem Erzieher ausgebildet werden, gegen die Schließung ihrer Schule. &bdquo;Einigen Lehrern standen bei der Verkündung Tränen in den Augen“, sagt Jule Philipsen. Sie ist eine der 480 Betroffenen, die derzeit um ihre Ausbildung bangen. Diese Woche wurde überraschend bekannt, dass die Einrichtung im kommenden Sommer schließen soll.Der Sozialträger Arbeiterwohlfahrt (AWO) muss sich für die Zukunft neu aufstellen, Immobilien werden verkauft, Einrichtungen geschlossen und Stellen gekürzt. &bdquo;Wir müssen kostendeckend sein und unsere Angebote auskömmlich finanziert bekommen“, sagte AWO-Vorstandsvorsitzender Thomas Euler in dieser Woche. Kurz nach Bekanntwerden der Schließung organisierte sich die Schülerschaft – ein Orga-Team gründete sich. An dessen Spitze steht Hülya Arslan (38), sie ist im zweiten Jahr der Erzieherausbildung. Wie viele der Azubis steht sie längst mitten im Leben. Die Mutter fragt sich: &bdquo;Was passiert mit mir und meinen drei Kindern?“ Trotz, oder gerade wegen der schlechten Nachrichten, hielte die Schülerschaft solidarisch zusammen und beweise Kämpfergeist, erzählt sie. Einige träfe es besonders hart, mit der Schließung der Einrichtung würden sie vor dem finanziellen Aus stehen. So gäbe es viele alleinerziehende Mütter, die auf das Geld aus der Ausbildung angewiesen seien. Die meisten müssen davon ihren Lebensunterhalt bestreiten.Für Marie-Sophie Prodinger (21) hat vier Jahre darauf hin gearbeitet, das Berufskolleg besuchen zu können – absolvierte ihren Haupt- und Realschulabschluss, machte eine Ausbildungs zur Sozialassistentin. Seit Anfang des Monats arbeitet sie n einer Kita, begann in dieser Woche mit dem schulischen Teil der Ausbildung. Jetzt droht ein Lebenstraum zu platzen. Von der geplanten Schließung erfuhr sie am ersten Schultag übers Handy. Ich habe geweint &bdquo;Ich habe die Nachricht gelesen und geweint“, erzählt sie mit leicht brüchiger Stimme. Sie habe sich aus bestimmten Gründen bei dem AWO Berufskolleg angemeldet, da der Praxisteil dort sehr hoch sei. Sie ergänzt: &bdquo;Ich möchte keine bezahlte Praktikantin sein.“Sich bei anderen Erzieher-Schulen anzumelden sei im Moment schwierig, da auch Bethel und weitere Träger kaum Plätze anbieten würden. Neben der fehlenden Ausbildung beklagt sie die finanzielle Ungewissheit, die auf viele Schüler zukommt. &bdquo;Ich habe eine eigene Wohnung, ein Auto. Wir alle haben uns auf die nächsten drei Jahre finanziell eingelassen“, so Prodinger. Das sagt auch die Schülerin Jule Philipsen. Von der Schließung wäre die 24-Jährige zwar nicht betroffen, denn im kommenden Jahr endet ihre Ausbildung planmäßig. Dennoch solidarisiert sich die angehende Erzieherin mit ihren Mitschülern. &bdquo;Es ist ungerecht“, so ihr erster Gedanke, als sie die Nachricht ereilte. &bdquo;Ich möchte später im sozialen Bereich arbeiten. Dort gibt es jetzt schon zu wenig Personal“, erzählt sie. Ein Aus für das Berufskolleg würden dazu führen, dass der ohnehin schon unterbesetzte soziale Bereich noch unattraktiver für potenzielle Bewerber werde, befürchtet sie. Imageschaden für AWO Welchen Imageschaden die Arbeiterwohlfahrt durch die geplante Schließung der Schule erlitten habe, zeige sich an den Reaktionen einiger fest angestellter Erzieherinnen in Kitas des Trägers. Aus Solidarität mit den bangenden Schülern hätten sich einige bereits bei anderen Kindertagesstätten beworben, haben sie gehört. &bdquo;Wir bekommen keine Wertschätzung in der Gesellschaft für das, was wir leisten“, moniert Schülerin Marie-Sophie Prodinger. &bdquo;Was viele nicht realisieren, ist, wie wichtig die Betreuung von Kindern ist. Wir setzen den Grundstein für die spätere Zukunft“, so Jule Philipsen. Auch Unternehmen in der Region müssen doch ein großes Interesse daran haben, dass weiterhin Erzieher ausgebildet werden, damit die Betreuung der Kinder von erwerbstätigen Eltern gesichert sei, betonen die Schüler. Über die endgültige Schließung der Schule wird im Oktober entschieden. Zuvor soll es Gespräche mit Stadt und dem Land geben. Eine Petition der Schüler und eine Spendenaktion sollen die Entscheidung zum Positiven wenden. Um das Kolleg und somit die Ausbildungsplätze zu retten, sei ein hoher sechsstelliger Betrag nötig. Bis Montagnachmittag unterzeichneten 10.000 Unterstützer die Petition im Internet. Außerdem wirbt die Schülerschaft um Spender, um Geld für den Erhalt des Kollegs zu sammeln. Hierfür wird bereits händeringend nach Sponsoren gesucht. Die Zukunft des AWO-Berufskollegs ist laut Vorstand noch nicht endgültig beschlossen.

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