Kommentar Viele Bielefelder sind enttäuscht vom neuen Jahnplatz. Zu Recht.

Bielefeld. Der Traum vom Jahnplatz als schicke Premium-Version ist geplatzt. Die FDP spricht inzwischen sogar von &bdquo;Drecksecken“, die schon vor der Eröffnung sichtbar seien. Viele Bielefelder sind enttäuscht. Sie hofften darauf, dass der Platz sich zu einem Ort mausern würde, auf dem man gerne Zeit verbringt. Wo man zufrieden und trocken auf den Bus wartet oder sich entspannt auch mal hinsetzen kann. Für den arglosen Bielefelder war das Ziel klar gesteckt: Der Schmuddelplatz sollte sich wandeln in einen Vorzeigeplatz. Die Quadratur des Kreises sollte gelingen: Ein attraktiv gestalteter Verkehrsknotenpunkt mit viel Grün und Aufenthaltsqualität. Nicht mehr und nicht weniger. Kaugummis, Schmierereien und Graffiti Nun ist die Ernüchterung groß: Jeder, der den Platz überquert, sieht es mit eigenen Augen: Das neue Pflaster ist an vielen Stellen schon verdreckt. Schuld daran sind allerdings Leute, die überall Kaugummis ausspucken und ihren Siff hinterlassen. Sogar Graffiti-Schmierereien sind zu sehen. Darüber kann man sich aufregen. Stadtplanerisch ging man die Sache nüchterner an: Vorrangig sollte ein Verkehrsknotenpunkt so verändert werden, dass er den Ansprüchen einer Verkehrswende genügt. Und: Das Problem mit der Stickoxid-Belastung sollte endlich abgeräumt werden. Fördergeld wurde zum Sargnagel Ist dieses Ziel erreicht worden? Leider auch nur bedingt. Denn letztlich sollte das Geld, das man für die Umgestaltung brauchte, aus einem Topf für den Klimaschutz kommen. Das Land hatte Bielefeld immerhin 15,5 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Für die Stadt eine Chance, den Einstieg in eine emissionsfreie Innenstadt zu schaffen. Heute weiß man, dass dieser Fördertopf Fluch und Segen zugleich war. Er verursachte enormen Zeitdruck und wurde so zum Sargnagel einer durchdachten und ausgeruhten Verkehrsplanung auf dem Platz. Stattdessen suchten Menschen kurz nach der Freigabe der Haltestellen verwirrt ihren Bus. Denn diese fahren nun an sieben verschiedenen Orten ab. Fahrradfahrer und Fußgänger kommen sich auf dem Platz gefährlich in die Quere. Bei Regen tröpfelt es durch die Dächer der Haltestellen und der neue Name &bdquo;Betonwüste“ schmeichelt dem Umbau auch nicht gerade. Viele Probleme auf dem Jahnplatz kommen nicht überraschend Vieles wird sich vielleicht noch einspielen: Das Finden der richtigen Haltestelle, die Rücksichtnahme der Fußgänger und Fahrradfahrer. Allerdings müssten dafür dringend die Müllcontainer verschwinden, die ständig mitten auf der Fahrradspur stehen, stören und unschön aussehen. Doch viele Probleme kommen nicht überraschend. In einem NW-Artikel vom 2. November 2018 heißt es, dass sich Politiker mit dem so genannten Kopenhagener Model, das Radfahrern Vorfahrt gibt, nicht anfreunden können. Vorgeschlagen hatte es Klaus Bockermann, Geschäftsführer des Planungs- und Beratungsbüros Bockermann Fritze. Die Idee war gut, die Umsetzung nicht. Chaotische Verkehrsführung Das Problem: Das Konzept ist in Bielefeld eigenwillig interpretiert worden. Die Radspur führt nun durch den Wartebereich der Bushaltestellen – eingeklammert vom Wartebereich auf der einen Seite und dem Einstiegsbereich zu den Bussen auf der anderen. Mit Kopenhagen hat dieses Modell nichts zu tun. Dort sind 82 Prozent der Fahrradwege baulich von den Hauptstraßen getrennt. Reine Begrenzungslinien – heißt es vom dortigen Fachkoordinator – würden Verkehrsteilnehmer oft schlecht verstehen. Außerdem gibt es Fahrradautobahnen und Fahrradbrücken in der gesamten Stadt. In Kopenhagen haben Fahrradfahrer wirklich Vorfahrt. Umstrittenes Konzept In Bielefeld wurde trotz aller Bedenken das umstrittene Konzept für den Jahnplatz von der Ratsmehrheit (mit einer Stimme des Oberbürgermeisters) durchgedrückt. Dafür gestimmt hatten SPD, Grüne, Bürgernähe, Piraten und LiB. Es war eine falsche Entscheidung. Schon vorher passierte aber der entscheidende Fehler: Im Juni 2018 schlossen CDU und die Paprika-Koalition einen Kompromiss. Der ursprünglich autofrei geplante Jahnplatz wurde auf Druck der CDU und BfB zu einem Platz mit &bdquo;reduziertem Individualverkehr” umgeplant. Es wäre sinnvoller gewesen, die Sache autofrei durchzuziehen. Die Umbauphase hat bewiesen, dass diese Variante ohne Verkehrsstörungen funktioniert hätte. Ständige Meckerei hilft nicht weiter Doch der Konjunktiv hilft nicht weiter. Und ständige Meckerei ebenso wenig. Es gibt auch positiven Veränderungen. Der Platz wirkt moderner und weitläufiger. Der Belag absorbiert Schadstoffe. Die neuen weißen Haltestellen sehen deutlich besser als die Wellblechdächer der Vergangenheit. Die neue Beleuchtung mit riesigen schwebenden Sonnen wird beeindruckend sein. Außerdem verbindet das neue Pflaster nun optisch die Übergänge zum Niederwall und zur Friedrich-Verleger-Straße. Wichtig ist jetzt, dass die Menschen, die die umstrittenen politische Entscheidungen zum Umbau getroffen haben, Farbe bekennen. Sie müssen sich auf den Platz stellen und sinnvolle Verbesserungsvorschläge machen. Gelingt ihnen das nicht, sollten sie sich in Zukunft bei Fragen der Stadtgestaltung und Verkehrsplanung lieber raushalten und das Thema Menschen überlassen, die mehr Mut beweisen bei ihren Entscheidungen.

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