Dieser Bielefelder Lehrer macht seinen Job blind – im wahrsten Sinne des Wortes

Bielefeld. Ein gewaltiger Klangteppich erfüllt den Musikraum im Nebengebäude der Bielefelder Sudbrackschule. Lehrer Thorsten Petersen-von Knebel hebt beide Hände. Für die 21 Jungen und Mädchen der Klasse 4b ist dies das Zeichen, ihr Konzert auf den Xylophonen zu beenden. Die Aufgabe für die Kinder: dem C-Dur-Akkord eine weitere Note hinzufügen und daraus ein Mini-Musikstück komponieren. &bdquo;Habt ihr einen Unterschied gemerkt?“, fragt der 59-Jährige in die Runde. &bdquo;Wer hat sich gemeldet?“ Mila (alle Kindernamen geändert), die neben ihm sitzt, sagt, dass Ibrahim aufgezeigt hat. &bdquo;Gut, Ibrahim, dann erzähl’ mal“, fordert er den Jungen auf. Erst jetzt fällt auf, dass in dieser Stunde etwas anders läuft als sonst im Schulunterricht. Thorsten Petersen-von Knebel ist blind. Er kann nicht sehen, wer da gerade den Finger nach oben gestreckt hat. Aber das macht nichts. Er hat ja Mila. Und dann Ibrahim. Der hat gesehen, wer sich sonst noch gemeldet hat, und gibt das Wort an Sara weiter. Unheilbare Netzhauterkrankung verursachte Erblindung Thorsten Petersen-von Knebel leidet an Retinitis pigmentosa, einer erblichen Netzhauterkrankung, die bislang nicht geheilt werden kann und zur Erblindung führt. Mit 13 hat er die Diagnose erhalten. Die Krankheit beginnt oft mit Nachtblindheit. Dann wird das Gesichtsfeld immer weiter eingeschränkt. Es entsteht ein Tunnelblick. Schließlich leidet das Farb- und Kontrastsehen. Bis vor wenigen Monaten hat der Lehrer noch Konturen wahrgenommen. Jetzt kann er nichts mehr erkennen. Aber umso besser hören. &bdquo;Ich bin gespannt auf eure Soli“, sagt Thorsten Petersen-von Knebel zu den Kindern. Jede und jeder darf nun die Eigenkomposition zu Gehör bringen. Welchen Ton haben die Kinder ihrer Melodie hinzugefügt? Das sollen die anderen herausfinden. &bdquo;Ein D“, meint Emma zu Jonathans Stück. &bdquo;Ich hab' da ein A gehört“, korrigiert der Musiklehrer. Paul Goltermann hat Thorsten Petersen-von Knebel vor Beginn der Stunde aus dem Lehrerzimmer in den Musiksaal geleitet. Extra für den Pädagogen sind auf Teilen des Schulhofes Platten mit Leitstreifen in den Boden eingelassen. Mit dem Blindenstock kann der er den Weg so auch teils selbst zurücklegen. Lesen Sie auch: TV-Sender begleitet Gütersloherin – sie engagiert sich trotz Tod ihres Manns Ein Assistent ist für den Lehrer immer dabei Assistent Paul ist einer von vier Helfern, die dem Pädagogen ermöglichen, seinen Beruf weiter auszuüben. Der 29-Jährige will selbst Lehrer werden und ist einen Tag in der Woche für Thorsten Petersen-von Knebel im Einsatz. Er begleitet ihn in die Unterrichtsstunden, erstellt Tafelbilder und hilft bei Korrekturen. Denn Thorsten Petersen-von Knebel unterrichtet auch das Fach Deutsch, und da fallen schriftliche Arbeiten an. Paul muss bei Klassentests auch schon mal aufpassen, dass niemand abschreibt. &bdquo;Für mich ist diese Tätigkeit eine hervorragende Vorbereitung auf den Beruf“, sagt Paul. Er hat zuvor den Kindern bei der Auswahl der Xylophone geholfen und die Schlegel bereitgelegt, mit denen sie ihre eigenen kleinen Kompositionen kreieren sollen. Aber die Kinder helfen auch ihrem Lehrer. Als er aus der Mitte des Musikraums zurück auf den Klavierhocker möchte, auf dem er zuvor gesessen hat, sagen sie ihm wie selbstverständlich, wo es langgeht. Kinder haben kein Problem mit der Einschränkung des Lehrers &bdquo;Kinder gehen mit meiner Behinderung oft viel unverkrampfter um als Erwachsene“, sagt Thorsten Petersen-von Knebel. Im Unterricht erkennt er sie an ihren Stimmen und kann sie so unterscheiden. Manche Eltern seien ihm gegenüber manchmal zurückhaltender als deren Nachwuchs. Aber wenn sie hörten, dass es im Unterricht gut laufe, dann seien auch sie beruhigt. So begleitet er auch Ausflüge und Klassenfahrten – mit entsprechender Assistentenhilfe. Apps auf seinem Smartphone sind für den Pädagogen wichtige Alltagshelfer. Sie unterstützen ihn beim Erfassen von Texten, Szenen oder Objekten. Das könnte Sie auch interessieren: Am Ende ist es dunkel – Bielefelderin erblindet und wagt den beruflichen Neustart Eigentlich wollte Thorsten Petersen-von Knebel Musik studieren. Er spielte Cello bei den Jungen Symphonikern und konnte sich vorstellen, die Musik zum Beruf zu machen. Doch die langsam fortschreitende Krankheit machte das unmöglich. So fiel die Wahl auf ein Lehramtsstudium. Als langjähriger Leiter der stadtbekannten Knebel-Chöre blieb er der Musik zusätzlich verbunden. Auf der Alm spürt er, wie Arminia spielt Der Lehrer engagiert sich in der Schwerbehindertenvertretung beim Schulamt und bei Pro Retina, einer Selbsthilfegruppe für Betroffene von Retinitis pigmentosa. Für das kommende Jahr plant er für und mit der Gruppe ein Benefizkonzert in der Oetkerhalle. Für die Alm besitzt Thorsten Petersen-von Knebel eine Dauerkarte. Sehen kann er die Spiele nicht mehr, aber wie es gerade läuft, das spürt er. Und dann gibt es ja auch noch die Extra-Kommentierung für Sehbehinderte. Aber jetzt nähert sich erst einmal die Unterrichtsstunde in der 4b dem Ende. Die Kinder kommen am Flügel zusammen und singen ein weiteres Mal das Lied vom Beginn des Unterrichts &bdquo;Hey, hello, bonjour, guten Tag“, begleitet von Thorsten Petersen-von Knebel. Den Flügel, den beherrscht er blind. Im besten Wortsinn. 📱 News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW-Bielefeld

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