Riesen-Andrang und Gebrüll im Bielefelder Landgericht

Bielefeld. Es ist schon der größte Saal des Landgerichts, doch am Donnerstag um 10 Uhr fasst er lange nicht alle Besucher, die den Prozess um die tödliche Schießerei an der Berliner Straße vom Dezember verfolgen wollen. Zahlreiche Angehörige der Opfer- und Täterfamilie, untereinander inzwischen vermutlich stark verfeindet, wollen die Verhandlung verfolgen. Mehr als 20 können nicht mehr in den Saal gelassen werden. Die Verantwortlichen des Landgerichts hatten Angriffe auf den Angeklagten oder andere Prozessbeteiligte befürchtet. So gibt es strenge Einlasskontrollen und jeder der rund 60 Besucher wird auf Waffen oder gefährliche Werkzeuge durchsucht. Zwei Schüsse waren tödlich Die Staatsanwaltschaft Bielefeld wirft Sinan K. vor, am 8. Dezember vergangenen Jahres an der Berliner Straße in Brackwede auf den 31-jährigen Memo K. geschossen und ihn dabei tödlich verletzt zu haben. Ebenso soll er mehrfach Schüsse auf dessen vier Begleiter abgefeuert haben. Diese Kugeln verfehlten jedoch ihr Ziel. Daraus resultiert jetzt die Anklage mit dem Verdacht des Totschlags und des vierfachen versuchten Totschlags. Es gab vermutlich einen Streit zwischen Täter und Opfer, der mit tödlichen Schüssen auf den 31-Jährigen endete. Danach soll der Angeklagte dann auch auf die vier Begleiter von Memo K. geschossen haben, jedoch ohne zu treffen. Der mutmaßliche Täter flüchtete, stellte sich aber zwei Tage später der Polizei. Unerlaubte Gerichtsakten bei Facebook Zwölf Prozesstage sind bisher terminiert, um Hergang und Motiv des Kapitalverbrechens zu klären. Mit gleich drei Strafverteidigern, darunter den erfahrenen Juristen Holger Rostek und Martin Lindemann, fünf Nebenklägern und ihren Rechtsbeiständen sowie zwei Staatsanwälten beginnt kurz nach 10 Uhr die Verhandlung unter Leitung des Vorsitzenden Richters Georg Zimmermann. Gleich zu Anfang bemängelt Holger Rostek, dass der Vater des Opfers unerlaubt vor Prozessbeginn Auszüge aus Gerichtsakten im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlich habe. &bdquo;Das ist ein Störfaktor, das ist verboten und nicht gut. Weitere Zeugen könnten dadurch beeinflusst werden und sich ihre Aussagen entsprechend zurechtlegen“, sagt Rostek. Das Gericht hat nun zu prüfen, ob dies für den Vater strafrechtliche Folgen hat. Der Angeklagte Sinan K. will sich am ersten Verhandlungstag weder zu den Tatvorwürfen noch zu seiner Person und seinem Lebenslauf äußern. Somit trägt der Vorsitzende Richter aus einem Bewerbungsschreiben vor, das der Angeklagte im vergangenen Jahr an die Firma Goldbeck geschickt hatte. Dort wurde ein Maschinenbediener für Pulverbeschichtung im Stahlbau gesucht: Nach Abschluss der Hauptschule in Senne und Besuch des Berufskollegs absolvierte Sinan K. eine Ausbildung zum Maler und Lackierer mit erfolgreicher Gesellenprüfung. Die Arbeitszeugnisse, die der Bewerbung an Goldbeck beigefügt waren, zeichnen ein eher positives Bild des Angeklagten. Im Oktober 2021 erhielt Sinan K. dann eine Absage von Goldbeck. Vermutlich war er zu diesem Zeitpunkt schon arbeitslos. Zeuge wird ausfallend Und dann kommt der erste Zeuge, ein 45-jähriger Bielefelder, der vorgeladen ist, um das Umfeld des Angeklagten ein wenig aufzuhellen. Weil er Vetter des mutmaßlichen Täters ist, und damit nur vierten Grades mit ihm verwandt, steht ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Gelassen beantwortet er die Fragen des Richters. Seit einem Jahr habe er keinen Kontakt mehr zum Angeklagten gehabt, sagt der Zeuge. Früher habe man sich öfter getroffen und Partys gefeiert. Es hätte dann Streit zwischen Opfer und Täter gegeben wegen einer Gerichtsverhandlung, bei dem es um Körperverletzung, um eine Schlägerei in einem Grill gegangen sei. Sinan K. habe immer damit geprahlt, bewaffnet zu sein. &bdquo;Ich würde ihn als abgedrehten Psychopathen bezeichnen“, sagt der Zeuge. Letztlich wäre es die Mutter des Angeklagten, die für das ganze Übel verantwortlich sei. Seine ganz Familie habe mit Autos gehandelt. Aber auch mit Drogen und Waffen sei gedealt worden. Auf Anweisung dessen Mutter seien im März in Versmold zehn Autos in Flammen aufgegangen. Dies wisse er zu 100 Prozent. Niemand wollte sich mit Sinan K. anlegen, der es auch &bdquo;mit fünf Memo K. aufgenommen hätte“. Hasstiraden gegen Tante Bei der Befragung durch die drei Strafverteidiger wird der Zeuge dann zunehmend ungehalten, laut und patzig. Dass es um einen getöteten Menschen geht, scheint vergessen. &bdquo;Ich lasse mich nicht verarschen, Herr Rostek, Sie wissen doch mehr als ich, was die Waffengeschäfte anbelangt. Stellen Sie mir vernünftige Fragen“, schreit der Zeuge. &bdquo;Übertreiben Sie nicht, sonst packe ich aus“, überschlägt sich fast die Stimme des Zeugen. Was sein geplatztes Drogengeschäft mit seinen Fragen zu tun habe, geht es weiter. &bdquo;Haben Sie etwas getrunken? Der Zeuge steht unter Medikamenten oder Drogen“, lautet der Einwurf von Strafverteidiger Rostek. Schließlich wird der Zeuge entlassen, vermutlich aber noch einmal vorgeladen. Als mittlere Katastrophe bezeichnen die Strafverteidiger die Aussagen des Zeugen. Er weiche aus, beantworte keine Frage richtig und äußere Hasstiraden gegenüber seiner Tante. Man könne so eine Aussage auch würdigen, äußert sich vorausschauend und emotionslos Staatsanwalt Christoph Mackel. Am 24. Juni wird der Prozess fortgesetzt.

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