Bielefelder kämpft seit 50 Jahren für kleine Landwirtschaft mit Häuschen

Bielefeld. Als Gerhard Stoß sein Grundstück an der Kupferstraße erwarb, gehörten Quelle und Brackwede noch nicht zu Bielefeld, sondern waren selbstständige Gemeinden. Und die begrüßten den Zugezogenen mit einem neuen Kanalanschluss vor der zukünftigen Haustür. Dass es die allerdings bis heute nicht gibt, liegt an den manchmal schwer nachvollziebaren Standpunkten der Ämter in Bielefeld und Detmold in den vergangenen 50 Jahren. Wäre Stoß 1970 mit seiner Frau im beschaulichen Bardüttingsdorf bei Spenge geblieben, und hätte auf seiner 9.000 Quadratmeter großen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstelle weiter geackert, ihm wäre viel Ärger mit den Behörden erspart geblieben. Da er jedoch hauptberuflich als Dreher bei Oetker arbeitete, verkaufte die Familie, um seine Fahrten zur Arbeit zu verkürzen, ihr Refugium auf Herforder Grund an einen Gärtner. &bdquo;An der Kupferstraße fand ich ein ideales Grundstück, denn von dem benachbarten Landwirt konnte ich Ackerland dazu pachten", erzählt der agile 95-Jährige. Den Ausbau der Straße deutete er als Fanal und kaufte. Die mündliche Zusage vom Amt, von der er erzählt, wirkte wie ein Signal für den Neubeginn – doch dann übernahm die Verwaltung Bielefeld. Weil der Flächennutzungsplan an der Stelle nur Landwirtschaft vorsah und noch keine Wohnbebauung, erhielt Stoß eine Abfuhr. Die ursprüngliche Begründung der Absage empfindet er bis heute als schlimme Beleidigung: &bdquo;Das Amt unterstellte mir, dass der landwirtschaftliche Nebenerwerb nur vorgeschoben sei, und ich das Haus nach der Fertigstellung gleich wieder verkaufen würde!" Das Amt stempelte den Neo-Bielefelder zum Spekulanten, der sich Baurecht erschleichen wollte. Basta. Dabei hatte er das Pflanzen und Ernten von Gemüse bereits als 18-Jähriger in der Kriegsgefangenschaft in Südfrankreich gelernt. Vier Monate für die Baugenehmigung Davon zeugt heute noch die Sense mit der blanken wie scharfen Klinge, die Stoß in seinem kleinen Schuppen zusammen mit anderen Geräten verwahrt. 1957 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er dann bei Spenge sein erstes eigenes Land pachtete, neben dem er trotz Lage im Außenbereich auch bauen durfte. Die Formalität hätte seinerzeit vier Monate gedauert, weiß der Senior noch ganz genau. Was Herford erlaubte, verwehrte Bielefeld. Da half ihm auch keine offizielle Bestätigung über seine Fähigkeiten als Hobby-Bauer. Stoß blieb stur, warb für sein Anliegen, bekam Zuspruch und Hilfe aus der Politik – aber keine Baugenehmigung. So baute die Familie schließlich in Sennestadt. Bis sich 1996 doch noch alles zum Guten zu wenden schien: Die Stadt legte im März des Jahres für die Kupferstraße und den Nickelweg eine sogenannte Außenbereichssatzung auf, denn die Nachbarn hatten sich zusammengetan, mittlerweile wollten weitere Familien an der Kupferstraße bauen, sowie an der privaten Stichstraße namens Nickelweg. Immerhin existierten dort bereits neben einem Sägewerk und einem Getränkevertrieb diverse Wohnhäuser. Um die Lücken der Splittersiedlung zu füllen und den Weiler abzurunden, sollten die verbliebenen Grundstücke auch Baurecht bekommen. Doch im Oktober starb die Hoffnung. Denn auf der Ziellinie kippte die Bezirksregierung in Detmold die Satzung und strich auf der korrigierten Karte drei Grundstücke: das von Gerhard Stoß an der Kupferstraße und zwei von Sigrid Lindemann am Nickelweg. Hoffen auf Bauland-Mobilisierung Auch die 64-Jährige versteht bis heute nicht, warum ihr gegenüber Häuser stehen, sie aber für die Familie auf dem eigenen Grund maximal Gewächshäuser bauen durfte, Klettergerüste und einen Geräteschuppen, sonst aber nichts. Denn auch die Höfe drumherum dienen schon lange nicht mehr Ackerbau und Viehzucht, fungieren längst als rustikale Pferde-Pensionen mit Fachwerk-Ambiente. Die Fachleute aus Detmold sahen in der Bielefelder Satzung einen Rechtsverstoß: Die Aufsichtsbehörde definierten das Grundstück von Stoß nicht als Abrundung, sondern als Erweiterung des Häuser-Ensembles und schlossen es aus der Satzung aus. Dabei hatte Stoß das Land vom Nachbarn gekauft. Wäre das Flurstück nicht separiert worden von der einstigen Scholle, würde es weiter in den Grenzen der Satzung liegen und hätte demnach bebaut werden dürfen. Lindemann erschien eine Klage gegen die Entscheidung damals als zu unsicher. Heute hofft sie, dass sich im Zuge der viel bemühten Bauland-Mobilisierung doch noch etwas ändert am Status ihrer Grundstücke. Nicht in ihrem Interesse, sondern in dem der Kinder und Enkel. Denn auch ihre Eltern hätten schon damals bauen wollen, als die Kupferstraße neue Kanäle erhielt. Kein Interesse der Umweltdezernentin Der Mann mit der Sense baute in den vielen Jahren auch ohne Wohnhaus sein Gemüse an und wagte 2012 seinen weiteren Vorstoß. Der sei gescheitert, weil die damalige Umweltdezernentin Anja Ritschel nicht zu dem anberaumten Treffen gekommen sei, erzählt Stoß. &bdquo;In der für mich so wichtigen Angelegenheit ließ sie mitteilen, dass sie nicht interessiert sei, schließlich liege das Grundstück im Außenbereich. Ich finde es beschämend, so mit einem Bielefelder Bürger umzugehen", schreibt Stoß im letzten Kapitel seiner persönlichen Passions-Geschichte. Sie bildet momentan das Schlusskapitel in seiner ordnerdicken Sammlung aus Bauanträgen und Ablehnungen. So habe er damals mit Ex-Bürgermeister Detlef Helling und Baudezernent Gregor Moss allein auf seiner Wiese gestanden. Ein letzter Versuch sei dann noch eine Petition an Oberbürgermeister Pit Clausen gewesen, doch der habe die Position der Umweltdezernentin geteilt. Ende Gelände? "Jetzt mit 95 Jahren bin ich etwas müde geworden", konstatiert Stoß mit spitzbübischem Lächeln, denn da sind ja noch die Kinder und Enkel. Für die von Bielefeld verweigerte landwirtschaftliche Nebenerwerbsstelle sei er nun zu alt, sagt er, doch sein Schwung mit der Sense erzählt etwas ganz anderes.

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