Kommentar Landtagswahl hält in Bielefeld Überraschungen bereit

Bielefeld. Drei Wochen vor der Landtagswahl steigt langsam der Puls der Bielefelder Kandidatinnen und Kandidaten. Seit Wochen sind ihre Terminkalender gut gefüllt: Haustürbesuche, Wahlkampftermine, Auftritte mit Spitzenkandidaten, Landes- und Bundesministern reihen sich aneinander. Der Wähler schaut sich das alles eher distanziert an – zu uninspiriert kommt der Wahlkampf bisher daher. Das Interesse an der Wahl ist ausbaufähig, dürfte ab jetzt aber täglich steigen. Erfahrungsgemäß erreicht es seinen Höhepunkt kurz vor der Wahl. Noch ist die Unentschlossenheit bei vielen groß. Denn die wenigsten kennen die Kandidaten vor Ort, geschweige denn das Wahlprogramm der Parteien. Allerdings können alle 250.000 Wahlberechtigten in Bielefeld schon die Möglichkeit nutzen, per Briefwahl die Stimme abzugeben.Muezzin-Rufe zum Freitagsgebet, verpflichtendes Kindergartenjahr oder mehr Befugnisse für die Polizei Wer sich einen Überblick verschaffen will, kann den Wahl-O-Mat nutzen, der seit dieser Woche freigeschaltet ist. Zu 38 Thesen können sich die Teilnehmer positionieren, per Klick zustimmen, ablehnen oder passen: Muezzin-Rufe zum Freitagsgebet, verpflichtendes Kindergartenjahr oder mehr Befugnisse für die Polizei. Noch ist offen, welche Partei sich am 15. Mai durchsetzen wird und welche Kandidaten direkt in den Landtag einziehen.2017 bot sich den Bielefeldern am Abend der Landtagswahl ein Wahlkrimi mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Bangen um den Einzug in den Landtag zog sich parteiübergreifend über Stunden. Am Ende der Zitterpartie setzten sich die SPD-Kandidaten in allen drei Bielefelder Wahlkreisen durch. Teilweise allerdings äußerst knapp. Auch in diesem Jahr dürfte es spannend werden, zumal viele neue Gesichter dabei sind und Prognosen insofern schwierig sind.Nettelstroth geht Kampfabstimmung aus dem Weg Die erste Überraschung bot einer der bekannteren Polit-Köpfe Bielefelds. Der Landtagsabgeordnete Ralf Nettelstroth gab im Oktober bekannt, erneut kandidieren zu wollen. Damit hatte man gerechnet, aber nicht, dass Nettelstroth im Wahlkreis 92 (Mitte, Schildesche und Gadderbaum) antritt. In diesem ist die SPD traditionell stärkste Kraft, und die Grünen haben dort ihre Hochburgen. Noch im September hatte es nach einer Kampfabstimmung zwischen Nettelstroth und dem 24-jährigen Finanzbeamten Tom Brüntrup im Wahlkreis 93 (Heepen, Stieghorst, und Bielefelder Süden) ausgesehen. Der ist seit 2020 im Stadtrat und hatte unerwartet seinen Hut in den Ring geworfen. CDU muss ein Mandat holen Auslöser dafür war unter anderem das schlechte Ergebnis der Partei bei der Bundestagswahl. Um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, muss die Partei mindestens ein Landtagsmandat im Mai gewinnen. Die CDU schrieb sich auf die Fahne, sich zu verändern – vor allem zu verjüngen. Nettelstroth (57) entschied sich schließlich, den Weg für den jungen Parteikollegen frei zu machen. Wahrscheinlich, um der heiklen Situation aus dem Weg zu gehen.Die Junge Union soll Druck auf ihn ausgeübt haben. Brüntrup tritt nun gegen den Fahrlehrer Nesrettin Akay (SPD) und den Vertriebsmanager Cim Kartal (Grüne) an. Beide sind der breiten Öffentlichkeit in Bielefeld bisher eher unbekannt. Der aus Heepen stammende Nettelstroth hätte sich im Wahlkreis 93, in dem er schon mehrfach antrat, gute Chancen ausrechnen können, nun aber steht er vor einer großen Herausforderung.Kandidatin der Grünen könnte Christina Kampmann die nötigen Stimmen kosten Christina Kampmann (SPD), damals noch Landes-Familienministerin, hatte 2017 mit satten 40 Prozent den Wahlkreis gewonnen. Doch auch sie dürfte es diesmal schwerer haben. Sie startet aus einer weniger guten Position, saß in den vergangenen Jahren auf der Oppositionsbank und war für die Themen Digitales und Europa zuständig. Außerdem könnte die Grünen-Kandidatin Christina Osei ihr gefährlich werden und viele Stimmen kosten. Denn die Mitte Bielefelds wählte zuletzt mehrheitlich grün.Eng dürfte es auch im dritten Bielefelder Wahlkreis ausgehen. Er umfasst die Stadtbezirke Dornberg und Jöllenbeck sowie den Altkreis Halle. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU-Kandidatin Mechtild Frentrup und dem SPD-Mann Thorsten Klute wird erwartet. Beide haben sich in ihren eigenen Parteien nur knapp gegen ihre Mitbewerber durchsetzen können. Beide treten im Wahlkreis zum ersten Mal als Landtagskandidaten an. 2017 lieferten sich ihre Vorgänger Georg Fortmeier (SPD) und seine direkte Kontrahentin Birgit Ernst (CDU) den härtesten Wahlkrimi. Der Vorsprung Fortmeiers war zeitweise von 500 auf 55 Stimmen gesunken.Die NW-Lokalredaktion berichtet in den nächsten Tagen über alle Kandidaten der im Bundestag oder Landtag vertretenden Parteien und über die Besonderheiten der drei Wahlkreise. Wir werden über Hochburgen der Parteien und frühere Wahlbeteiligungen berichten, Chancenanalysen vornehmen, Exoten und den Wahlknigge vorstellen. Hier finden Sie alle Artikel im Überblick

Mehr zum Thema