So wohnt es sich heute in einem ehemaligen SA-Kerker in Bielefeld

Bielefeld. Ein kleines Schild neben dem Eingang des langen hellgelben Gebäudes an der Hans-Sachs-Straße erinnert daran, dass dies einst eine preußische Kaserne war. Im Nationalsozialismus wurden es auch als SA-Quartiersgefängnis genutzt, so Christina Peters vom Historischen Museum. Heute befinden sich hinter den teils noch vergitterten Fenstern Ateliers und auch Wohnungen. Aber wer lebt hier? Und wie? Die NW hat sich mit Bewohnern getroffen, die gerade eine schockierende Entdeckung gemacht haben. Suzan Özden wohnt mit ihren beiden Kindern (5 und 9) in einer der insgesamt knapp 30 Wohnungen, die über das Unternehmen LEG vermietet werden: in der Hausnummer 8. Ihre Mutter Fatma Cesme nebenan in Nummer 10. Dort seien ihnen jetzt im Treppenhaus beim genauen Hingucken auf die Stufen der alten Holztreppen Hakenkreuze aufgefallen. Sie seien an allen Stufen deutlich sichtbar. &bdquo;Das ist doch unglaublich, wenn man dann bei Führungen zum Tag des offenen Denkmals hört, dass in der NS-Zeit hier auch gefoltert wurde“, sagt die 37-Jährige.Gerhard Render, Leiter des Historischen Museums, kann da aber Entwarnung geben. &bdquo;Es handelt sich hier um ein seit der Antike beliebtes Ornament, den Mäander, hier in der Sonderform eines Doppelmäanders, der aus zwei gegenläufigen Linien besteht“, sagt er. Der Mäander sei von dem schleifenförmig verlaufenden griechischen Fluss Maiandros abgeleitet. &bdquo;Das Ornament war im Historismus des 19. Jahrhunderts sehr verbreitet und man sieht auch eindeutig, dass die Treppe aus dieser Zeit stammt“, ergänzt Render. Tolle Altstadtlage, günstige Miete Özden und ihre Mutter, die aus der Türkei stammen und seit 13 Jahren schon in den mächtigen Gemäuern an der Hans-Sachs-Straße wohnen, sind erleichtert. Sie seien wirklich glücklich, hier zu vergleichsweise günstiger Miete in so toller Altstadtlage wohnen zu können. Auch wenn vieles einfach und auch schön älter sei, die Wohnungen keine Balkone haben. &bdquo;Aber die Gemeinschaft hier ist einfach toll“, sagt Özden. Und es sei quasi auch ein Mehrgenerationen-Wohnprojekt: Auch Özdens Schwester wohnt mit ihrer Familie in einer eigenen Wohnung in dem Komplex. In der Coronazeit seien die Familien, die aus ganz unterschiedlichen Herkunftsländern stammten, noch näher zusammengerückt, hätten sich viel besser kennengelernt. Nachbarschaft habe in dieser Zeit nochmal deutlich an Wert gewonnen. &bdquo;Man konnte ja sonst nirgendwo hin, zeitweise waren ja sogar die Spielplätze abgesperrt“, sagt Özden. Da hätten sich bei schönem Wetter immer alle draußen im Innenhof getroffen, einen Küchentisch rausgestellt, an schönen Abenden dort zusammen gegessen, am Wochenende morgens gefrühstückt oder nachmittags Waffeln gebacken - und erzählt. &bdquo;Die Kinder haben hier immer jemanden zum Spielen, alle kennen sich, achten aufeinander und sind überall willkommen", ergänzt Özden. Alle Kindergeburtstage habe sie bisher zuhause gefeiert. Das macht auch Nachbarskind Grace (6) am Samstagnachmittag. Mit Prinzessinnenkrone und ihrer Geburtstagsgesellschaft saust sie mit den Nachbarskindern im Sonnenschein im Innenhof umher. "Super spielen im Treppenhaus“ &bdquo;Und wenn das Wetter mal nicht so toll ist, kann man auch super im Treppenhaus spielen“, erinnert sich Nancy Slieiman (15). Sie wohnt schon ihr ganzes Leben hier, zusammen mit ihrer Mutter Fadia Serieh in einer 76 Quadratmeter großen Wohnung in Hausnummer 16. "Es ist super zentral, trotzdem ruhig und man ist sofort in der Stadt", sagt Nancy, Schülerin am benachbarten Gymnasium am Waldhof. Schule, Kunsthallenpark, Einkaufszone, Sparrenburg: alles sei direkt um die Ecke. Und man bringe sich immer mal wieder etwas Gekochtes zum Probieren vorbei. Das sei toll. Wenn Fatma Cesme in der kleinen Küche ihrer Wohnung im ersten Stock steht, blickt sie direkt aufs Naturkundemuseum und hoch Richtung Sparrenburg.Auch im Treppenhaus hätten sie sich schonmal zum Kochen getroffen, beispielsweise Lahmacun gemeinsam gemacht. Von der Straße aus hingegen wirke die Anlage durch die eher kleinen, im Erdgeschoss noch vergitterten Fenster nicht sehr einladend. Aber: "Einfach super", lobt auch Tiguidanke Barry die Nachbarschaft. Sie kommt gerade von der Arbeit im Restaurant "Nonna's", quasi auch direkt nebenan. "Alles gute Menschen hier", sagt die 52-Jährige, die aus Conakry, der Hauptstadt Guineas in Westfafrika, stammt. Der lang gestreckte Bau erhielt seinen Namen vom 55. Preußischen Infanterie-Regiment. Nachdem anfänglich alle Soldaten samt Tross in Bürgerhäusern untergebracht wurden, ließ Friedrich der Große 1775 bis 1777 eine Kaserne errichten, die "55er Kaserne" an der Hans-Sachs-Straße 4. Für den Kasernenbau wurden Verblendsteine der Mauern und Rondelle der militärisch nutzlos gewordenen Sparrenburg verwendet, heißt es auf der Infoseite der Stadt, zu der man über den QR-Code auf dem Schild an den Häusern gelangt.

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