Städtepartnerschaft mit Nowgorod: Die Freundschaft wird zum Balanceakt

Bielefeld. Wohl der größte Wert von Freundschaften ist, dass Freunde ein offenes Wort miteinander sprechen und sich auch unbequeme Wahrheiten sagen können. Entsprechend schwierig gestaltet sich selbst eine jahrelange Freundschaft, wenn jedes gesprochene oder geschriebene Wort genau überlegt sein will – weil der Freund entweder nichts davon hören will oder weil er dadurch in Gefahr gebracht werden könnte. Genau in diesem Dilemma steckt die Freundschaft zwischen Bielefeld und seiner russichen Partnerstadt Welikij Nowgorod. Und das nicht erst seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Besonders betroffen von den seit Jahren immer schwierigeren Bedingungen ist die Arbeit des Kuratoriums Städtepartnerschaft Bielefeld – Welikij Nowgorod, das sich intensiv um die Pflege der in diesem Jahr 35 Jahre bestehenden Freundschaft kümmert. Von einem &bdquo;Balanceakt“ spricht die Vorstandsvorsitzende des Kuratoriums, Brunhild Hilf: Auf der einen Seite gebe es Russen, die sich ganz klar auf die Seite ihres Präsidenten schlagen und seinen Kurs höchst emotional verteidigen. Auf der anderen Seite stehen hingegen die Russen, die Putin und den Krieg rundheraus ablehnen – und mit beiden Seiten ist der Dialog derzeit äußerst schwierig. Denn während für Hilf bei den &bdquo;Putin-Verehrern“ sachliche Kritik und Diskussionen praktisch unmöglich sind, müssen die Gegner genau aufpassen, was sie sagen. &bdquo;Im Moment kann niemand auf der Straße seine Meinung kundtun, die werden sofort verhaftet“, sagt Hilf.3.500 Menschen festgenommen Wie rigoros der russische Staat seit dem Einmarsch in die Ukraine gegen die Proteste in der eigenen Bevölkerung vorgeht, verfolgt die Bielefelderin auf der Website des Menschenrechtsprojekts ovdinfo.org, auf der Aktivisten Festnahmen melden und rechtlichen Beistand für Inhaftierte organisieren. Laut der Seite sind seit dem 24. Februar rund 3.500 Menschen bei Antikriegsaktionen festgenommen worden. Auf der Liste der einzelnen Städte, in denen Demonstranten in Zellen gelandet sind, sucht man die Bielefelder Partnerstadt dann aber vergebens. &bdquo;Welikij Nowgorod ist schon noch etwas Provinz, der zivilgesellschaftliche Widerstand ist dann eher in den größeren Städten wie Moskau, St. Petersburg oder Wladiwostok zu finden“, sagt Brunhild Hilf. Doch auch in der rund 218.000 Einwohner zählenden Stadt im Norden des Landes gärt es: &bdquo;Die Zivilgesellschaft in Russland geht auf wie ein Hefekloß“, zitiert Hilf den Initiator von ovdinfo.org, Grigorij Ochotin. Denn die Regierung befriedige weder das Bedürfnis der Bürger nach Freiheit noch das nach Kultur, Medizin, Bildung. &bdquo;Deshalb beginnen die Menschen, sich selbst zu organisieren.“ Die Angst, abgehört zu werden Dies habe auf der anderen Seite jedoch zur Folge, dass die Repressionen zunehmen würden – offene Gespräche seien fast nur noch in Privatwohnungen möglich. &bdquo;Wenn man sich im Café unterhält, nehmen viele die SIM-Karte aus dem Handy, damit sie ganz sicher nicht abgehört werden können“, sagt Hilf.Wie schnell es gehen kann, dass ein vermeintlich harmloses Gespräch gefährlich werden kann, hat sie bei einem ihrer letzten Besuche selbst erlebt: Sie unterhielt sich mit einem jungen Mann, der als Wahlhelfer bei den Präsidentschaftswahlen geholfen hatte. &bdquo;Der hat dann zwei Mal Besuch vom FSB (Russischer Inlandsgeheimdienst, Anm. d. Red.) bekommen, weil er mir von seinen Erfahrungen berichtet hatte“, sagt Hilf. &bdquo;Wir haben uns dann darauf geeinigt, nicht mehr darüber zu sprechen.“ Persönlicher Kontakt unmöglich Dass seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ein persönlicher Kontakt praktisch unmöglich geworden ist, hat das Problem noch einmal zusätzlich verschärft. &bdquo;Die letzten zwei Jahre haben sich wie ein Mehltau auf die Partnerschaft gelegt“, sagt Hilf. Denn Mails und Chats können von den technisch versierten Agenten Putins leicht überwacht werden. Und auch auf die offizielle Kommunikation des Kuratoriums wird vom Staat genau geschaut. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass zu kritische Organisationen schnell als &bdquo;Ausländischer Agent“ eingestuft und verboten werden. Entsprechend achtet Brunhild Hilf genau darauf, was sie beispielsweise in den regelmäßigen Rundbriefen des Kuratoriums schreibt, die auch an die Partner und Institutionen in Russland geschickt werden. &bdquo;In dem aktuellen Rundbrief wird der Krieg nicht ausdrücklich erwähnt“, sagt die Vorstandsvorsitzende. &bdquo;Wir wollen weder unsere Arbeit noch in Nowgorod jemanden gefährden.“Stattdessen hatte Brunhild Hilf nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine das in der Neuen Westfälischen veröffentlichte Gedicht &bdquo;Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ abfotografiert und mit dem einfachen Satz &bdquo;Ich bin froh über die Städtepartnerschaft!“ nach Welikij Nowgorod gemailt. Als Antwort kamen zumeist sehr kurze Mails zurück, in der sich für das &bdquo;wichtige Gedicht“ bedankt wurde. Die offenen Worte zwischen den Freunden finden somit momentan nur zwischen den Zeilen statt – aber es gibt sie noch.

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