Totale Ödnis: Wer ist Schuld an den vielen Leerständen in der Stadt?

Brackwede. Wer ist Schuld am Niedergang der Hauptstraße in Brackwede als Einkaufszentrum? Darüber entspann sich nach der NW-Berichterstattung über die zunehmende Ödnis im größten Nebenzentrum der Stadt Bielefeld, in einem Stadtbezirk mit knapp 40.000 Einwohnern, eine rege Diskussion unter den Lesern. Die Bandbreite reichte von Vermietern, die lieber leer stehen lassen als neu zu vermieten, über Kunden, die lieber im Internet kaufen, Geiz-ist-Geil-Mentalität, bis hin zu einer verfehlten Politik der Stadt Bielefeld, die als "reines Stückwerk" gebrandmarkt wird. Für Brackwede, aber auch für die Bielefelder Innenstadt, sehen für die Zukunft viele schwarz.Mitte Dezember hatte die Targobank angesichts des Exodus ihrer Mitbewerber ein ausdrückliches Statement zu Brackwede abgegeben - durchaus ein außergewöhnlicher Vorgang. Commerzbank, Postbank, Deutsche Bank hatten sich bereits abgemeldet oder die Schließung zum Jahresende angekündigt. In der Aufzählung damals fehlte noch die Spada-Bank Hannover, die bereits 2019 der Hauptstraße den Rücken gekehrt hatte.Der Verlust der Banken ist das eine, die Leerstände das andere. Es gibt immer weniger inhabergeführte Läden, und Ladenlokale finden lange keine Mieter. Vor allem die obere Hauptstraße, der Treppenplatz und die Treppenstraße haben große Probleme. Die Corona-Situation hat die Lage noch einmal verschärft. Es gibt einige attraktive Ankergeschäfte, dazwischen klaffen Lücken. Die Aufzählung der NW war für viele offenkundig erschreckend lang. Stadtbezirke sind für Ketten uninteressant Leser Tobias Tietz erinnert in seinem Facebook-Beitrag daran, dass viele Brackweder Geschäfte, die jetzt verschwunden ist, aus einer Zeit stammten, in der kleine Einzelhandelsgeschäfte modern war. "Kleine selbstständige Fachgeschäfte gibt es heute kaum noch." Der Markt werde von Ketten dominiert, für die aber die Verkaufsflächen zu klein seien, nicht nur in Brackwede, sondern auch in den anderen Stadtbezirken wie Sennestadt, Heepen. Banken, Krankenkassen und andere Dienstleister arbeiteten immer mehr zentralisiert."Optiker, Bäcker, Drogerien, und Ramschgeschäfte halten sich noch, aber der Markt in Brackwede ist damit auch gesättigt", meint Tietz. Dazu die zum Teil exorbitant gestiegenen Mieten für Wohn- und Geschäftsimmobilien, die kleine Betriebe oft nicht mehr stemmen könnten. Und: Wer die Hälfte seines Einkommens bereits für eine kleine Wohnung aufbringen müsse, dem bleibe nur der Gang zu Billigketten. Sein Fazit: "Ich denke kaum, dass es dauerhaft gute Lösungen geben wird." User "Royalts" gibt auf nw.de den Vermietern die Schuld, sie hätten noch nicht realisiert, dass "die goldenen Zeiten vorbei sind". Sie würden sich mit den Mieten entweder nur langsam anpassen oder "lieber bockig leer stehen", bevor sie umbauen oder renovieren und hinterher vielleicht nur noch die halbe Miete kassieren könnten. Ein anderer Leser widerspricht: Die Vermieter würden einfach keine Mieter finden, jedenfalls keine solventen. "Keine Mieter mit Waren, die ein aussichtsreiches Geschäftsmodell sicherstellen, und damit überhaupt eine Miete. Denn es gibt dafür dort keine Kunden. Und weil es keine Kunden gibt, ziehen sich auch Banken zurück." Er fährt lieber in kleinere NachbarstädteEin Spaziergang über diese Straße zeige, so "Gegenrede", warum kaum noch Nachmieter für die leeren Ladenlokale zu finden seien. Hinzu kommt die Verwahrlosung des Bereichs um den Treppenplatz, "bei dem man in Bielefeld offenkundig intellektuell nicht in der Lage ist, für Ordnung zu sorgen". Insofern werde Bielefeld über kurz oder lang das Schicksal anderer Städte teilen wie Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Wanne-Eickel oder Bochum mit ihren Problemvierteln.Kommentator "Brioni" ist knallhart in seiner Kritik. Niemand "verschenke" seine Räume "an fragwürdige Mieter mit noch fragwürdigeren Geschäftsmodellen in einem sozialen Brennpunkt. "Brackwede und damit auch die Hauptstraße hat sich doch schon lange abgeschafft. BI-City folgt grad in riesigen Schritten ...", so "Brioni.Ihm/ihr gefallen viel mehr die Projekte in und um Gütersloh, zum Beispiel in Steinhagen oder auch Isselhorst: "Ansammlung von unterschiedlichen Lebensmittel-Märkten, Drogerien und Discountern in recht zentraler Lage. Umgeben von allerhand Dienstleistern, Ärzten und Apotheken in 1A-Lagen, zu erschwinglichen Mietpreisen." Brackweder Kundschaft ist selbst schuld "Brackwede ist - ebenso wie Sennestadt - nur der traurige Vorreiter", meint auch S. Rothen. Der Leser oder die Leserin erklärt, nur noch im "höchsten Notfall in die Bielefelder Einkaufspassagen" zu gehen. Auch dort viele Ramschläden, Leerstände, kurzfristige Billiganbieter, so Rothen. "Gäbe es in der Bielefelder Innenstadt noch drei oder vier der von mir favorisierten Läden, würde ich sogar 3 Euro an Parkgebühren zahlen, um den Bestand dieser Geschäfte zu sichern. Aber das ist ganz offensichtlich nicht im Interesse der Bielefelder Kommunalpolitik!" Wehmütig erinnern sich etliche Leser an die Zeiten, in denen die Treppenstrasse sowie die Hauptstraße "echte Flaniermeilen" gewesen seien. Dass es nicht mehr so ist, dafür macht hingegen User "Anbr1nk" zu einem großen Teil die Kundschaft selbst verantwortlich. Schuld seien allein jene, "die unter Service verstehen, das Kleid nach dem Wochenende wieder als unerwünscht zurückzuschicken, und lieber zwei Paar Schuhe zur 'Verwertung' zurückgehen zu lassen, als einmal in den Laden zu spazieren und dort unter Beratung anzuprobieren". Wer ständig nur im Internet kaufe, dürfe sich auch nicht wundern, wenn die Läden wegsterben, und die online zu beziehende Qualität bald durchgehend nur noch Wegwerf- und Einmalgebrauchs-Qualität habe. Mehr Kundenservice in Brackwede S. Rothen macht hingegen ein "desaströses politisches Konzept" im Bielefelder Rathaus als Ursache aus. In den vergangenen 20 Jahre seien zwar durchaus Defizite erkannt und angegangen worden, aber nur als "Stückwerk", ohne ein "innovatives Gesamtkonzept" aufzustellen, um wirklich Abhilfe zu schaffen. Das meint auch ein anderer Leser. "Stattdessen wird noch Öl ins Feuer gegossen und der Autoverkehr erschwert." Doch neben allen Schwarzsehern melden sich auch einige Optimisten zu Wort. Beispielsweise Serkan Besiroglu, der einen etablierten Club in der Bielefelder Innenstadt leitet. "Ich muss schon sagen, dass ich mich im mittleren Teil der Hauptstraße sehr wohl fühle", sagt er und zählt das dortige Angebot auf. Aber in Richtung Kirchplatz mangele es an "guten Entscheidungen". Er schlägt beispielsweise vor, die Stadtwerke/MoBiel sollten einen Kundenservice in Brackwede eröffnen, die Stadtwache dort ein eigenes Büro bekommen. Ihm fehlen Angebote für Mütter mit Kindern, ein Tanzstudio. Er könnte sich auch einen Wanderweg hoch zum Wald mit Kletterpark vorstellen und vieles mehr. Günstige Leerstände an Start-ups vergeben Jennifer Asanteh fände nach dem Vorbild des neuen Harms-Marktes in der Innenstadt eine kleine Foodhall mit Essensständen aus aller Welt gut. Der Verein "Deutsches Kampfsportmuseum", der plant, ein Museum zur Geschichte der Kampfkunst und des Kampfsports in Deutschland zu gründen, könnte sich Brackwede offenbar auch als Heimat vorstellen. Andere Kommentatoren schlagen vor, die ebenerdigen Ladenlokale lieber in behindertengerechte Wohnungen umzuwandeln."Alles entkernen und sanieren, autofreie Hauptstraße, und Wohnungen, Kulturprojekte, Coworking Spaces, Cafés, Fahrradwerkstatt, Gemeindezentrum", schlägt Florian Helling auf Facebook vor. Marcus Coesfeld hielte es für mutig und innovativ, wenn die Stadt einen größeren Fördertopf bereitstellen würde, "um die Leerstände günstig an Start-ups und gemeinnützige Projekte zu vergeben". Dann könnte sich die gegenwärtige Krise "in nur kurzer Zeit in eine wahre Wohltat für die Stadt umwandeln".

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