Bielefeld Medizingeschichte: Als der Arzt noch ohne Betäubung amputierte

Bielefeld. Anästhesie war damals ein Fremdwort. Ohne Betäubung wurden im Mittelalter nicht nur Zähne gezogen, auch Unterschenkel amputiert. Als man später Äther und Chloroform als Narkotikum entdeckte, wurden diese &bdquo;Pi mal Daumen“ eingesetzt – darfs noch ein Tröpfchen sein? Die Geschichte der medizinischen Ausbildung von der Antike bis (fast) in die Gegenwart wird jetzt in der Historischen Sammlung Bethel am Kantensiek 9 erzählt.Eine Geschichte, die Namen wie Hippokrates oder Paracelsus hervorbrachte, Ibn Sina Avicenna, Virchow oder Sauerbruch, Hahnemann oder Hildegard von Bingen. Wilfried Witte, Oberarzt an der Universitätsklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Transfusionsmedizin und Schmerztherapie am EvKB, sowie Gastwissenschaftler der Charité Berlin hat gemeinsam mit Bärbel Bitter, Leiterin der Historischen Sammlung Bethel, diese sehr sehenswerte und manchmal auch recht gruselige Ausstellung &bdquo;Medizinische Ausbildung im Wandel der Zeit“ zusammengestellt.Mit dem medizinischen und gesellschaftlichen Fortschritt hat sich auch die Wissensvermittlung für Ärztinnen und Ärzte stetig weiterentwickelt. Einen Einblick in diesen Bereich von der Antike bis heute gibt die neue Ausstellung.So galten Ärzte, besser Heiler oder Bader, in dunklen medizinischen Zeiten noch als Handwerker im besten Sinne, brauchten sie doch Zangen für die Zähne, Knochensägen für Amputationen oder Schröpfschnepper für den Aderlass. Aderlassmännchen mit Tierkreiszeichen für den Unterricht Für dieses Heilverfahren namens Phlebotomie war es wichtig, wie der Mond ausgerichtet war – zumindest vor 500 Jahren. Ein &bdquo;Aderlassmännchen mit Tierkreiszeichen“ als Anschauungstafel für den Unterricht wird bei der Ausstellung gezeigt – sehr amüsant aus heutiger Sicht. Weniger lustig ist die Sache mit der Knochensäge. Ein Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert zeigt in einer Vitrine die Amputation eines Unterschenkels – alles ok! Ein paar Meter entfernt wird ein dreiminütiger Film aus dem Jahr 1902 in Dauerschleife gezeigt. Auf dem Monitor flimmert dieser medizinische Eingriff, der Chirurg mit der Säge in der Hand trennt brachial das Bein ab, &bdquo;AiPler“ (Ärzte im Praktikum) schauen interessiert zu und der Ausstellungsbesucher darf sich glücklich schätzen, dass der Streifen nur in schwarz-weiß verfügbar ist.Kein Problem für den erfahrenen Facharzt Wilfried Witte: &bdquo;Es ist tatsächlich der erste medizinhistorische Film aus Deutschland“, erklärt er. Hat Hippokrates die Kunst des Heilens noch bei seinem Vater gelernt (etwa 400 v. Chr.) und später das erste Krankenhaus der Welt hat bauen lassen, das Asklepion auf Kos, wurde in Bagdad erst 1.000 Jahre später eine Heilanstalt errichtet, das &bdquo;Haus der Weisheit“. Hier gab es bereits medizinische Kurse mit Prüfungen und Zeugnissen. Hier lebten und forschten Araber, Perser, Syrer, Christen, Juden und Muslime unter einem Dach. Die Begutachtung von Körpersäften galt seinerzeit als zuverlässiges Diagnosemittel – die so genannte &bdquo;Harnschau“ (heute Urinprobe) wurde in Augenschein genommen.Um 900 n. Chr. entstand im süditalienischem Salerno außerhalb von geistlichen Gemäuern eine Medizinschule, die den Lehren des Hippokrates folgte und zu Beginn des 2. Jahrtausends übernahmen Klostereinrichtungen die Aufgabe des Heilens. Äbtissin Hildegard von Bingen studierte Wirkungsweisen von Pflanzen und Mineralien und gab ihre gewonnenen Kenntnisse an Novizinnen weiter. Erst im 17. Jahrhundert änderte sich die medizinische Ausbildung. Nicht Lehre am Krankenbett, sondern universitäre Ausbildung hielt Einzug. Leichname von Hingerichteten als Organspender Hundert Jahre später öffnete man die Leichname von Hingerichteten, um die entnommenen Einzelteile den Medizinschülern zu präsentieren. Zeitsprung: am 14. Oktober 1876 nahm die &bdquo;Rheinisch-Westfälische Anstalt für Epileptische“ ihre Arbeit auf, Später wurde diese Einrichtung Bethel genannt. Hier kamen auch, wie in einer Vitrine der Ausstellung gezeigt, Beißschutzmasken zum Einsatz – zum Schutz der behandelnden Ärzte und Auszubildenden. So einige Kuriositäten erfährt der Besucher der Historischen Sammlung Bethel.So auch über die Verwendung von abgesägten Rinderhörner. Diese wurden eingesetzt für eine Darmreinigung – für einen gepflegten Kräutereinlauf – autsch!Die medizinisch-historische Schau ist zu sehen bis Donnerstag, 28. April, sonntags bis donnerstags, 15 bis 18 Uhr und vom 3. Mai bis 29. September, dienstags bis donnerstags, 15 bis 17 Uhr. Die Räumlichkeiten am Kantensiek sind nicht barrierefrei.

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