„Die Innenstadt von morgen ist mehr als Shopping“

In der Bielefelder City gibt es kaum Leerstand. Was macht Bielefeld richtig?CHARLOTTE HÖPKER: Die Entwicklungen, die im Ruhrgebiet schon angekommen sind, gibt es in Bielefeld noch nicht. Wir sind im Moment noch auf Wolke 7, was den Leerstand angeht. Auch Mittelstädte wie zum Beispiel Enger haben da deutlich größere Probleme. Offensichtlich ist Bielefeld sehr attraktiv für Handel und Gastronomie. JULIA LEHMANN: Wir setzen uns aktiv dafür ein: Wenn wir Leerstand sehen, nimmt unsere Kollegin aus dem &bdquo;City.Team“ bei der WEGE Kontakt zum Eigentümer auf und fragt, ob wir unterstützen können. Eigentümer treten umgekehrt aber auch an uns heran, weil sie wissen, das &bdquo;City.Team“ kümmert sich. Sind die Eigentümer heute wählerisch oder nehmen die, wen sie kriegen können? HÖPKER: Wir hatten erst letztens ein Gespräch mit einem Eigentümer aus der Altstadt, der wollte in seinem Laden nicht irgendwas haben, sondern etwas, das passt und nachhaltig ist. Es gibt gewisse Dinge, die haben ihre Berechtigung für die Mischung. Aber man muss eben aufpassen, dass nicht der dritte Bubble-Tea-Laden kommt. LEHMANN: Bei den Eigentümern ist angekommen, wenn sie ihre Immobilie gut vermieten, dann haben sie auch langfristige Mieter. Man muss aufpassen, an wen man vermietet, Stichwort Downgrading. Was erwarten die Kunden von Bielefeld? HÖPKER: Das ist ein Zusammenspiel von ganz vielen Dingen: eine attraktive Innenstadt, ein attraktiver Handel, tolle Veranstaltungen, Aktionen und Feste. Sie wollen aber auch Aufenthaltsqualität. Die Leute erwarten heute von der Innenstadt etwas anderes als früher. Was war das denn früher? HÖPKER: Früher war das einfach Shopping, Shopping, Shopping. Das ist auch weiter der Hauptgrund, um in die Innenstadt zu gehen. Aber es reicht eben nicht mehr alleine. Die Leute wollen etwas erleben. Sie wollen in die Gastronomie, sie wollen Kultur. Man muss sich einfach selber mal fragen, wofür man die Couch verlässt und nicht im Internet bestellt. Was muss da sein, damit ich nicht in einem Online-Store klicke und mir 15 Sachen nach Hause schicke? Ich will mich beraten und inspirieren lassen, und am besten noch Leute treffen. Corona hat gezeigt, Online wird nie diesen emotionalen Innenstadt-Besuch ersetzen können. LEHMANN: Es ist das klassische analoge Erlebnis, das die Menschen in der Innenstadt suchen und das sie auch in die Innenstadt zieht. Da wird eine positive Stimmungslage vermittelt. Das Stadtmarketing schafft mit Veranstaltungen und Events regelmäßig Besuchsanlässe, auch in der Innenstadt. Wie sehen denn die Innenstädte von morgen aus? HÖPKER: Die Nutzungsdurchmischung wird immer wichtiger. Die Innenstadt von morgen ist eben nicht nur Shopping, da ist mehr. Das sieht man ganz schön an den Entwürfen, die es für das neue Karstadt-Areal gab. Da war nicht mehr nur alleine Handel, sondern auch Dienstleistungen, Arztpraxen, Bildung, eine Kita, Wohnen und ganz viel Grün vorgesehen. Es sind aber auch so ganz banale Sachen wie Sitzmöbel. Wenn ich mir die Bahnhofstraße anschaue und dann das Stichwort Aufenthaltsqualität nenne, dann ist da noch viel Luft nach oben. Die ersten Pop-up-Stores sind mittlerweile in der City. Ist das ein Erfolgsmodell? HÖPKER: Es gibt da verschiedene Modelle, die im Trend sind: Hybrid-Stores, in denen Kaffee und Kleidung verkauft wird, aber eben auch die Pop-up-Stores. Das ist erstmal für den Vermieter eine schöne Geschichte, um bei Leerstand Zwischenmieter zu bekommen. In Bielefeld haben wir eigentlich gar keine klassischen Pop-up-Stores, denn die entstehen eigentlich nur, wenn es längerfristigen Leerstand gibt. Dann baut da jemand für drei Monate seinen Tisch auf, investiert nicht viel und verkauft Dinge, die es woanders nicht gibt. LEHMANN: Diese Themen beschäftigen uns als &bdquo;City.Team“ natürlich auch. Wir wollen vorbereitet sein auf Folgen wie Leerstand in einer 1a-Lage, wenn nicht sofort der Nachmieter um die Ecke kommt. Dafür haben wir bereits ein Konzept entwickelt, das z.B. lokale Unternehmen oder Kultur sichtbar macht. Der Bielefeld-Gutschein ist sehr gut angelaufen. Hält man so die Bielefelder in Bielefeld? LEHMANN: Den Gutschein haben wir im Oktober gelauncht. Er zielt ganz klar darauf ab, die Kaufkraft in Bielefeld zu halten, wir wollen die Leute in die City holen. Den Gutschein kann ich im Handel und in der Gastronomie, aber auch im Theater und bei Dienstleistungsunternehmen einlösen. Übrigens suchen wir stets neue Akzeptanzstellen. Wer Interesse hat, kann sich gerne bei uns melden. Sehen Sie andere Städte in der Umgebung als Konkurrenz? HÖPKER: Man sollte immer seine Umgebung im Blick behalten. Wenn man sich Attraktivitätsumfragen anguckt, ist auch klar, Münster können wir nicht einholen. Aber Bielefeld muss sich eben auch nicht verstecken. LEHMANN: Es ist natürlich auch eine Aufgabe von uns, das Image im Umland zu stärken, Bielefeld positiv darzustellen und die Stärken unserer Innenstadt herauszustellen. Gerade jetzt in Zeiten von Corona ist das besonders wichtig. Es muss wieder eine optimistische Grundstimmung aufgebaut werden. Und dazu schaffen wir Anlässe und kommunizieren z.B. durch Kampagnen. Was können die Einzelhändler tun? HÖPKER: Da ist schon ganz viel passiert. Die Corona-Krise und der wachsende Druck durch den Online-Handel hat den einzelnen Händlern gezeigt, dass sie etwas tun müssen. Ihre Stärke ist eben, dass die Kunden die Ware vor Ort anfassen und sich beraten lassen können. Den Händlern ist auch bewusst, dass die Konkurrenz da ist. Es sind da wenig Einzelkämpfer unterwegs, die auf der Stelle treten. Die Kunden wünschen sich den inhabergeführten Laden, aber auch die Filialisten haben ihre Berechtigung. Man sieht das ganz schön an der Trennung Altstadt/Bahnhofstraße... HÖPKER: Die Bahnhofstraße ist die Heimat der Filialisten, die Altstadt ist die inhabergeführte Abteilung. Am Jahnplatz ist die Trennung. Es haben sich schon sehr viele Menschen damit beschäftigt, wie man diese beiden Welten besser miteinander verzahnen kann. Ich bin mir sicher, wenn der Jahnplatz-Umbau im Juni abgeschlossen ist, gibt das nochmal einen richtigen Schub. Der Umbau hat lange gedauert und auch wehgetan an vielen Stellen, aber es ist eben für die langfristige Attraktivität der Innenstadt gut. LEHMANN: Der Jahnplatz ist der zentrale Punkt in der Innenstadt. Dort muss es eine Verknüpfung geben, damit daraus eine Einheit wird. Wer ist denn eigentlich der typische Innenstadtbesucher? HÖPKER: Laut einer Studie kommt er aus Bielefeld, ist weiblich und 42 Jahre alt. Auf dem Papier. Der Innenstadtbesucher ist in Wahrheit so vielfältig wie die Innenstadt selber. Er soll das finden, was für ihn eine attraktive Innenstadt ausmacht. Man muss die Rentner im Blick haben, die Berufstätigen und auch die Jüngeren, die in der City zur Schule gehen. Man muss dem Rentner genauso die Chance geben, dass er sich zwischendurch hinsetzen und durchschnaufen kann, wie den Jugendlichen, die einen coolen Treffpunkt wollen, an dem sie abhängen können. LEHMANN: Wir benötigen einen Querschnitt aus der Bevölkerung, um wichtige Impulse zu bekommen. Wir entwickeln derzeit eine Strategie mit gezielten Maßnahmen, die in der Innenstadt strahlen. Die Innenstadt tangiert so viele Menschen, es muss jeder für sich das finden, was er dort sucht. Nur so können wir auch die Besucherzahlen erhöhen. Mögen die Bielefelder ihre Innenstadt? HÖPKER: Das haben die Diskussionen um das Projekt &bdquo;altstadt.raum“ gezeigt: Den Bielefeldern ist ihre Innenstadt nicht egal. Die sind sehr emotional, wenn es um dieses Thema geht. Ihnen ist es wichtig, wie ihre Innenstadt aussieht, wie es ihr geht, dass das Angebot gut ist. Das ist im Grunde die beste Ausgangsposition, die wir haben. Da sind Leute, die sich engagieren wollen. In letzter Zeit wurde aber auch viel über die Verkehrsproblematik gesprochen. Da gab es viel Kritik an Straßensperrungen. War das ein Imageschaden für Bielefeld? HÖPKER: De facto waren alle Parkhäuser erreichbar. Aber natürlich ist Erreichbarkeit für eine Innenstadt immer Thema. Das Zusammentreffen zwischen Jahnplatzumbau und &bdquo;altstadt.raum“ hat für Stirnrunzeln gesorgt, das kann man ja auch nachvollziehen. Im Juni ist der Jahnplatz hübsch, dann wird das auch nochmal einen anderen Auftrieb geben. Der Bielefelder an sich muss selber erstmal davon überzeugt werden, wie toll seine Stadt ist. Er ist der wichtigste Botschafter für die Stadt. Wir müssen ins Umland transportieren, dass wir cool sind, dass man bei uns was erleben kann. Und da sind wir auf einem guten Weg. LEHMANN: Das ist ja auch eine Kern-Aufgabe von uns, das Image nachhaltig zu stärken und selbstbewusst nach außen treten und kommunizieren, dass Bielefeld erreichbar ist. Ein halbes Jahr arbeiten Sie jetzt in dieser Konstellation als &bdquo;City.Team“. Ist das der richtige Weg? HÖPKER: Die Konstruktion ist genau richtig, auch es auf drei Institutionen aufzuteilen: Verwaltung mit der Stelle im Bauamt, Bielefeld Marketing und die Wirtschaftsförderung. Das ist in anderen Städten anders, da gibt es diese Vernetzung so nicht. Deshalb wird das Modell auch von anderen Städten genauestens beobachtet. Wir sind sehr gut gestartet, da ist aber immer auch noch Luft nach oben. Es ist einiges zu tun und auch die Erwartungshaltung ist da. In den ersten sechs Monaten ist viel im Hintergrund gelaufen, jetzt geht es so richtig los. Gibt es mehr Power, weil man zu viert ist und nicht alleine auf weiter Flur? LEHMANN: Klar, vor allem, weil die Kompetenzen aus drei städtischen Institutionen gebündelt werden. Eine Stadt muss ganzheitlich gedacht und entwickelt werden. Das kann man nicht alleine – das ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

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