Corona-Demo mit Tumulten: Interview mit Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen

Bielefeld. Chaotische Zustände am Freitagabend in der Innenstadt. Rund 3.000 Menschen kommen zusammen: Corona-Leugner, Impfgegner, Gegner der Corona-Maßnahmen, Neonazis, christliche Sektierer - eine bunte Mischung. Weil der Veranstalter die bei dieser Menge erforderliche Einhaltung der 3G-Regel und Maskenpflicht nicht durchsetzen kann, bricht er die Demo ab. Trotz eines Großaufgebots an Polizei läuft die Demonstration in der Folge aus dem Ruder. Es gibt Festnahmen und einige Verletzte auf beiden Seiten. Eine neue Eskalationsstufe in der Pandemie nun auch in Bielefeld. Haben Sie die Proteste selbst erlebt? Nur am Rande. Ich bin gegen 19 Uhr vom Rathaus nach Hause gefahren, am Kesselbrink vorbei und habe gesehen, dass dort ein riesiges Polizeiaufgebot und der Kesselbrink voller Leute war. Aber die Bilder haben Sie sich sicher mittlerweile angesehen. Ich gucke nicht so sehr ins Netz, ehrlich gesagt. Ich habe ein paar Bilder gesehen, aber nicht in der Tiefe. Ich habe vor allem den Lagebericht vom Ordnungsamt angesehen, aber mich jetzt nicht durch das Netz gewühlt. Und wie hat dieser Lagebericht ausgesehen? Dass die Demonstration deutlich mehr Teilnehmer hatte als angekündigt. Dass das der Grund war, dass nach der Corona-Schutzverordnung besondere Regeln zu beachten waren – Abstand und Mund-Nasen-Bedeckung. Und dass sich der Veranstalter der Demonstration nicht in der Lage sah, diese Regeln durchzusetzen und deshalb die Demo abgebrochen hat. Das ist die Kernbotschaft aus der Lageberichterstattung. Dass die Demonstration offiziell beendet war, hatte aber nicht den Erfolg, dass sich die Menschen direkt zerstreut haben. Das ist in der Tat so und auch das Ärgerliche daran. Einerseits muss man in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat hinnehmen, dass Demonstrationen stattfinden. Es ist gerade Ausdruck der Demokratie, dass wir Meinungsfreiheit zulassen. Und dazu gehören eben auch Demonstrationen. Aber es ist auch Ausdruck unseres Rechtsstaates, dass diese Demonstrationen unter Regeln erfolgen. Und diese Regeln bedeuten, dass, wenn die Demo aufgelöst ist, man nach Hause geht und nicht noch eine Unterdemo und eine Unter-Unterdemo und macht, was man will. Das ist dann nicht mehr die Regel. Insofern ist zu kritisieren, was die Teilnehmer nach Abbruch der angemeldeten Demonstration gemacht haben. &bdquo;Wir sind das Volk" war immer wieder zu hören. Die stille, geimpfte große Mehrheit fühlt sich genervt bis verärgert, weil sie sich sorgt, dass nach solchen Events die Infektionszahlen wieder in die Höhe gehen. Was sagen Sie denen? Noch mal. Das Demonstrationsrecht ist Ausdruck unserer Demokratie, über die Jahrhunderte erarbeitet, etwas worauf wir stolz sein können. Es soll auch so sein, dass die Meinungsfreiheit hoch geachtet wird. Schwierig wird es in dem Moment, in dem sich Demonstrationsteilnehmende nicht mehr an die Regeln halten, die wir zur Sicherstellung von Sicherheit und Ordnung bei jeder Demonstration fordern. Jetzt haben wir noch ein paar mehr Auflagen wegen Corona. Diejenigen, die ihre Meinung zum Ausdruck bringen, sollen das gerne machen. Aber sie sollen sich bitte an die Regeln halten. Das dürfen wir Anderen auch von ihnen erwarten. Inhaltlich, muss ich gestehen, bin ich natürlich überhaupt nicht der Meinung derjenigen, die sich zum &bdquo;Lichterspaziergang" getroffen haben. Ich habe wenig Verständnis für diese Art der Beleuchtung der Pandemie und der Krisenbewältigung durch die staatlichen Stellen. Ich finde, wir machen das in Deutschland sehr sorgfältig und auch sehr bedacht. Und sehe überhaupt keinen Grund, dass man zum Widerstand aufruft, mit dem Schlachtruf &bdquo;Wir sind das Volk", der in einem ganz anderen historischen Zusammenhang gehört. Wie fühlt es sich für Sie an, dass &bdquo;Ihre" Stadt zum Zentrum von Corona-Gegnern wird und von Diktatur die Rede ist und sich diese Menschen selbst als Paria bezeichnen? Ich habe wenig Verständnis für die Inhalte, die in dieser Demonstration zum Ausdruck gebracht und verfolgt wurden. Ich habe nicht nur wenig Verständnis, ich lehne das deutlich ab. Ich finde, dass das nicht hilfreich ist, im Moment unsere Gesellschaft durch diese Krise zu steuern. Es schafft mehr Verunsicherung und Verärgerung, als dass es hilft. Und von daher ist das nichts, was mich erfreuen kann. Aber noch einmal, man muss in einer Demokratie auch aushalten, dass Menschen anderer Meinung sind. Ich will aber schon den Inhalten widersprechen, die diese Menschen bei den Demonstrationen äußern. Haben Polizei und Ordnungsamt im Vorfeld die Lage unterschätzt? Mitten im Getümmel der wachsenden Menge die 3G-Regel und Maskenpflicht zu fordern, war wohl eher realitätsfern. Das ist in der Corona-Schutzverordnung so angelegt. Und diese Regelungen gelten ab dem Moment, wo eine Demonstration die Teilnehmerzahl von 2.500 überschreitet. Das weiß man vorher nicht. Die Menschen kommen zusammen, und irgendwann sind sie mehr als 2.500. Ab diesem Moment gelten andere Regeln. Es stimmt, es ist schwierig, dass dann in die Umsetzung zu bringen, aber so ist die Schutzverordnung nun mal angelegt. Ich habe mich darüber heute schon mit der Polizeipräsidentin ausgetauscht. Wir werden am Montag zu einem Pressegespräch einladen, um an der Stelle abgestimmt unsere Sicht der Dinge zu den Vorgängen und das Drumherum zu beschreiben. Viele werfen der Polizei Versagen vor und meinen, sie könne sie nicht mehr schützen. Es gab ja auch die Bilder, dass die Beamten von der Menge einfach beiseite geschoben und Absperrungen durchbrochen wurden. Die Polizei ist die genehmigende und begleitende Versammlungsbehörde. Da macht es wenig Sinn, dass ich jetzt etwas ohne die Polizeipräsidentin an meiner Seite erzähle. Wie wollen Sie mit künftigen Protesten, die sicherlich kommen werden, umgehen? Ich habe für mich entschieden, dass ich da nicht hingehe . Ich war auch am Freitag vom Veranstalter eingeladen. Es ist eine Gratwanderung als Oberbürgermeister: Einerseits weiß ich, ich muss zur Verfügung stehen und diskutieren, und ich will mich dem auch stellen. Andererseits will ich solch eine Bewegung nicht aufwerten und ihr noch mehr Aufwind und Resonanz verleihen als sie eh schon hat – allein dadurch, dass ich mich dort beschimpfen und ausbuhen lassen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was ich politisch eigentlich möchte. Aber diejenigen, die mich anschreiben, sollen auch eine Antwort bekommen, ohne dass wir dadurch aber Brieffreundschaften verursachen wollen. Wie bewerten Sie aktuell Bielefelds Lage in der Pandemie und beim Impfen? Beim Impfen sind wir richtig gut. Wenn man in die Statistiken schaut, sind wir mit Bremen und Darmstadt bundesweit ziemlich weit vorne, was die Impfquoten angeht. Das gilt für alle Impfquoten. Was die Pandemiebewältigung an sich angeht, bereitet es mir große Sorgen, dass die Intensivstationen unserer Krankenhäuser volllaufen. Stand heute haben wir 24 Menschen auf den Intensivstationen, so viele hatten wir schon lange nicht mehr. Die Inzidenzzahlen spiegeln sich immer 14 Tage später auf den Intensivstationen wider. Das zeigt, wir haben die vierte Welle noch nicht bewältigt und die fünfte deutet sich schon an. Die ersten Omikron-Fälle haben wir bereits in Bielefeld. Das ist alles noch nicht durch. Deshalb müssen wir auch weiter zusammenhalten und mit viel Disziplin unser Leben organisieren, um diese Krise zu bewältigen.

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