Einige Verkehrswende-Maßnahmen spalten die Bielefelder mächtig

Bielefeld. Die Stadt befindet sich in guter Gesellschaft: Berlin, Wien, Leipzig, München, Paris und Barcelona - um nur einige zu nennen. All diese Städte haben sich die Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben, sie wollen die Pkw-Dominanz brechen, weniger Lärm und Abgase, mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer. Der Verkehrsraum muss dazu neu verteilt werden, die Städte sind dabei unterschiedlich radikal. Aber es zeigt sich hier wie dort, dass kleine Pömpel für großen Sprengstoff in der Diskussion sorgen können. Der Waldhof ist überall. Je nach Alter halten 58 bis 66 Prozent der Bielefelderinnen und Bielefelder die Sperrung des Waldhofes und damit der letzten Zufahrt zum Altstadt-Hufeisen im Rahmen des laufenden Verkehrsversuches für "eher sinnlos" oder "völlig sinnlos". Das Institut Mente-Factum hat für die NW in einer repräsentativen Umfrage 505 Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren um ein Urteil über die Einzelmaßnahmen zur Verkehrswende gebeten. Die Waldhof-Sperrung schneidet dabei mit deutlichem Abstand am schlechtesten ab. Auch in der Umfrage, die die Stadt zum Verkehrsversuch "altstadt.raum" im Herbst selbst durchgeführt hat, wurden die Maßnahmen am Waldhof von den Gewerbetreibenden, Anwohnern, Besuchern und Passanten am kritischsten bewertet. So urteilen die Bielefelder über die Einzelmaßnahmen der Verkehrswende: Angesichts des Drucks aus Kaufmannschaft, Rathaus-Opposition und von Autofahrern, die Umwege, Staus und fehlende Erreichbarkeit beklagen (sogar das Verwaltungsgericht war eingeschaltet worden), war die Vollsperrung und Ausweisung als Fahrradstraße modifiziert worden. Obwohl die Ratsmehrheit aus SPD, Grünen und Linken glaubt, dass die Sperrung funktioniert, hat Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner bei seiner Umfrage herausgefunden, dass sowohl die Anhänger von CDU (70 Prozent) als auch von SPD (64 Prozent) und Grünen (66 Prozent) die Maßnahme mehrheitlich kritisieren. Und so wurde die Sperrung für Autos zum großen Teil wieder aufgehoben. Allerdings bleibt die Fahrradstraße von 6 bis 10 Uhr für Autos dicht - wenn Schulen und Kindergarten beginnen. Wie es nach dem Verkehrsversuch weitergeht, der Ende Februar ausläuft, muss noch diskutiert werden. Allerdings selbst deutlich positive Zahlen müssten dann nicht zwangsläufig überzeugen. Das zeigt ein Blick nach Tübingen. Dort ist die Sperrung einer überlasteten Altstadtzufahrt für Autofahrer nach einem Modellversuch gescheitert, obwohl die Auswirkungen überwiegend positiv waren. Dennoch lehnten die befragten Bürger hinterher mehrheitlich eine dauerhafte Sperrung ab. Oberbürgermeister Boris Palmer ärgerte sich darüber, dass vor allem ältere Bürger gegen das Projekt votierten, die die Straße selbst kaum nutzten. "Sie stimmen nicht aus Eigennutz gegen die Sperrung, sondern aus Prinzip", sagte der Grünenpolitiker damals in einem Spiegel-Gespräch.Spiegel In Bielefeld können auch nur 33 Prozent der über 60-Jährigen der Sperrung der Innenstadt für den Autoverkehr etwas abgewinnen. Sie sind dabei aber kein Ausreißer nach unten: Auch die 30- bis 59-Jährigen halten diese nur zu 36 Prozent für richtig, die 16- bis 41-Jährigen zu immerhin 41 Prozent. Interessant ist, dass im gleichem Atemzug 74 Prozent der Befragten angeben, sie seien bereit, ihr Auto weniger zu nutzen. Allerdings wollen sie offensichtlich selbst entscheiden, auf welchen Straßen sie dann weniger fahren und nicht dazu gezwungen werden. Insofern verblüffen die Meinungen zum zweiten Aufreger-Thema - dem Rückbau der Artur-Ladebeck-Straße auf zwei Fahrspuren zugunsten des Baus von breiteren Radwegen: Mit je 49 Prozent halten sich Gegner und Befürworter genau die Waage. Weniger verwunderlich, dass die Jüngeren eher eine Verbesserung für den Radverkehr wollen (56 Prozent der 16- bis 29-Jährigen, 50 Prozent der bis 59-Jährigen) als die Älteren. Fast die Hälfte der über 60-Jährigen halten es für keine sinnvolle Idee, eine der Haupteinfallsstrecken aus dem Süden in die Innenstadt für den Autoverkehr unattraktiver zu machen. So urteilen die Anhänger verschiedener Parteien über die Bielefelder Verkehrswende: Wenn man die politische Farbe mit ins Spiel bringt, verschiebt sich das Bild: Während CDU-Anhänger den Rückbau der Artur-Ladebeck-Straße zu 51 Prozent für sinnlos halten, gilt dies auch 49 Prozent der SPD-Anhänger. 68 Prozent der Grünen-Anhänger sind hingegen dafür. "Der mehrheitlich von der SPD bestimmte Rat macht, so scheint es, vor allem grünen Politik", bilanziert Meinungsforscher Schöppner. Kurz mal nach Paris und Berlin geschaut: Dort hat sich aufgrund der neuen Pop-up-Radwege der Radverkehr von 2019 auf 2020 um 66, beziehungsweise 23 Prozent erhöht, berichtet der Spiegel.SpiegelSpiegel Zugleich fuhren entlang der neuen Radwege deutlich weniger Autos. Sie kamen dort auch nicht mehr so schnell voran. Viele Autofahrer wichen auf parallel verlaufende Straßen aus. Dort nahm der Verkehr zu, staute sich aber nicht vermehrt. Genau das wird aber für Bielefeld befürchtet. Tempo 30 ist aus Sicht des Bundesumweltamtes ein wirksames Mittel für weniger Lärm, Schadstoffe und mehr Sicherheit. Erstaunlicherweise halten 72 Prozent der Bielefelderinnen und Bielefelder durchgängig Tempo 30 in der Innenstadt für ein wichtiges Mittel der Verkehrswende in Bielefeld. Nur 15 Prozent der Befragten meinten, dies sei völlig sinnlos. Allerdings war dabei nicht definiert, ob Innenstadt nur das Altstadt-Hufeisen meint oder einen größeren Bereich. Auch bei dieser Einzelmaßnahme sind die Grünenanhänger mit 87 Prozent am deutlichsten dafür, aber auch SPD- (74) und CDU-Sympathisanten (67) stehen dem kaum nach. Rückenwind also für die rot-grün-rote Ratsmehrheit, die Tempo 30 auch auf Bielefelds Hauptstraßen umsetzen will. Schon 2016 - bei Erarbeitung eines neuen Lärmaktionsplans - untersuchte die Stadt ein &bdquo;Verkehrskonzept Tempo 30", das die Hauptstrecken einschließen sollte. Diese Auswirkungen haben die Maßnahmen auf verschiedene Verkehrsteilnehmer: Von allen Maßnahmen zur Verkehrswende ist der Jahnplatz-Umbau am weitesten gediehen. Was halten also die Bielefelderinnen und Bielefelder von der millionenschwere Umgestaltung? Fast Fifty-fifty (46 pro, 48 Prozent contra) ist das Ergebnis der Mente-Factum-Umfrage. Auf die Parteien geschaut: 51 Prozent der SPD-Anhänger sind für den neuen Jahnplatz, 56 Prozent sind es bei der grünen Klientel, CDU-Anhänger können dem nur zu 43 Prozent etwas abgewinnen. Aufs Alters geschaut: Die Hälfte der 16- bis 29-Jährigen gefällt der Umbau, bei den über 60-Jährigen 48 Prozent. Lediglich die 30- bis 59-Jährigen sind nur 42 Prozent, möglicherweise, weil sie sich von den einhergehenden Verkehrseinschränkungen am meisten behelligt fühlen.

Meistgelesen