Räumungsklage als letzte Rettung - für Mieter und Wohnung

Bielefeld. "So etwas habe ich auch noch nicht erlebt, und ich mache das schon ein paar Jahre", sagt Thorsten Kliewer. Das Kerngeschäft seiner Firma: Haushaltsauflösungen. Zur klassischen Entrümplung bringen die Männer stapelweise Kartons mit sowie Rollen stabiler Mülltüten. Für besondere Abfälle haben sie auch säurefeste Wannen dabei - doch bei einer Küchenspüle voller Fäkalien stockt auch den Profis für einen Moment der Atem. Sie habe mit allem möglichen gerechnet, aber damit dann nicht, sagt Marion S.(Name der Redaktion bekannt), als sie draußen auf dem Hausflur wieder zu Luft kommt. Die fächert sie sich mit der Räumungsklage zu, die sie in der Hand hält. Schon vor einem Monat hatte sie diesen Titel gegen einen Mieter erwirkt, nachdem sie durch einen Zufall erfahren hatte, in welchem Zustand sich die Wohnung in dem Mehrfamilienhaus im Bielefelder Osten tatsächlich befand. Anlass ihres nächtlichen Besuches in Bielefeld am 15. Juli war ein Feuerwehreinsatz. Nachbarn im Nebenhaus hatten die Retter alarmiert, nachdem sie in der Wohnung im zweiten Stock durch eines der Küchenfenster eine Stichflamme gesehen hatten. Weil der Mann auf das Klingeln und Klopfen der Retter nicht reagiert hatte, brachen sie die Wohnungstür auf, löschten die brennende Pfanne und trugen den Mann ins Freie. Der Mieter hatte zu seinem Glück keinen Rauch in der Lunge, offenbar aber betäubende Substanzen im Körper. Der Rettungsdienst habe sich seiner angenommen, erzählt Schlieckmann. Überall Müll, Essensreste und Fliegen Die offen stehende Tür gab dann der Hauseigentümerin den Blick frei in die Küche und in das Wohnzimmers ihres Mieters. Was sie an der Schwelle stehend sah, versetzte ihr den finalen Schock: Vor ihren Augen türmten sich Berge von Müll, einzelne Fenstergriffe fehlten und unter der Decke klebten bereits die Fliegen. Am nächsten Tag habe sie sich abermals an den gesetzlichen Betreuer des Mieters gewandt, doch den habe das Thema offenbar nicht interessiert, berichtet sie, eine Reaktion auf den Vorfall sei ausgeblieben. Schon in vorherigen Fällen habe sie auf dessen Unterstützung gehofft, sagt S.: Als zum Beispiel der Mieter in der Wohnung darunter von einem Wasserfleck an seiner Decke erzählte. Der Mann aber ignorierte alle Kontaktversuche seitens des Nachbarn und der Vermieterin. Also habe sie wieder beim Betreuer angerufen. " 'Ein Wasserschaden? Ich solle mich doch nicht so aufregen, es gebe wohl Schlimmeres' war seine Antwort und ich solle mich mal informieren, welche Aufgaben er hätte", sagt S.. Recht auf schmutzige Wohnung Die können ganz vielfältig und vor allem unterschiedlich sein, erklärt Britta Wehmeier-Nowarra. Die Juristin arbeitet in der örtlichen Betreuungsbehörde des Sozialamts. Primär bestehe die Pflicht der Betreuenden in einer rechtlichen Fürsorge für die Klienten - und eben nicht in einer praktischen Fürsorge, was irrtümlicherweise oft angenommen werde. Falls für einen Klienten ein Unterstützungsbedarf im Alltag bestehe, wie Hilfe beim Einkaufen oder Putzen, so können diese Leistungen im Rahmen der "Eingliederungshilfe" beim Amt beantragt werden, erklärt die Fachfrau. Um das zu klären, wären Gespräche zwischen Betreutem und Betreuer notwendig. Doch müsse der Betreute den Betreuer dazu nicht in seine Wohnung lassen. Beide würden sich auf Augenhöhe begegnen, so sehe das Gesetz es vor, sagt Wehmeier-Nowara. Schließlich dürfe jeder Bundesbürger auf seine Art glücklich werden, und das würde auch das Recht auf eine verschmutzte Wohnung mit einschließen. In diesem speziellen Fall jedoch war die Lebensweise offensichtlich außer Kontrolle geraten und in ihrer Verzweiflung wandte sich S. ans Gericht. Das entschied im August mit einer Räumungsklage zu ihren Gunsten. Keinen Moment zu früh, wie sich sieben Wochen später zeigte, denn bei der Räumung kämpften die Saubermänner bereits gegen Ungeziefer. So konnte wenigstens der Besuch des Gesundheitsamtes noch abgewendet werden. Mindestens 15.000 Euro Schaden Mittlerweile sei die Wohnung vom Dreck aller Art befreit, aber vorerst weiter unbewohnbar. Boden und Wände müssen neu gemacht werden, wenn die Handwerker denn Zeit hätten, eben so die gesamte Elektrik und das Bad. Sie schätzt den Schaden auf mindestens 15.000 Euro. Ein Mieter habe wegen der häufigen Randale durch den Mann gekündigt, alle anderen seien froh, dass der zeitweilige Gestank im Treppenhaus endlich weg sei, niemand mehr nachts gegen die Haustür poltere oder Nachbarn beschimpfe. Zudem würden sich alle Hausbewohner die Päckchen wieder an ihre Anschrift schicken lassen und nicht mehr zu den Nachbarn ringsum. Was die Hauseigentümerin überhaupt nicht versteht: Nach dem Drama habe der Betreuer versucht, seinen Mandanten zurück in die völlig desolate Wohnung zu klagen - das Ansinnen habe das Gericht aber abgelehnt. Im Gegenzug überlege sie, ob sie sich offiziell über den Betreuer beschweren soll, der ihre Bitten um Unterstützung stets ignoriert habe. Letztlich auch zum Nachteil für seinen Klienten.

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