Warum viele Bielefelder Männer Vorsorge-Muffel sind

Bielefeld. Männer in Bielefeld nehmen Untersuchungen zur Krebs-Früherkennung immer seltener wahr. Laut einer Auswertung der AOK-Gesundheitskasse hat nicht einmal jeder fünfte Mann über 45 Jahren die Vorsorge in Anspruch genommen: 20,1 Prozent ließen sich 2020 untersuchen - im Jahr 2019 waren es noch 23,9 Prozent. "Bundesweit sind es sogar noch weniger, im Schnitt liegt diese Zahl momentan eher bei 17 bis 20 Prozent. Wir rechnen aber leider damit, dass wir in nächster Zeit mit vielen fürchterlich verzögert erkannten Krebserkrankungen zutun haben", sagt Jesco Pfitzenmaier, Chefarzt der Klinik für Urologie am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) im Johannesstift. Der Grund: Aufgrund der Coronapandemie haben viele Menschen einen Bogen um Arztpraxen und Krankenhäuser gemacht, aus Angst, sich zu infizieren. "In den normalen Praxen lief es schon etwas eher wieder an, in Krankenhäuser hat sich ganz lange fast niemand rein getraut", so Pfitzenmaier. Doch die Vorsorge aufzuschieben, kann gefährlich werden - denn Prostatakrebs erkenne man laut dem Experten meist erst, wenn die Erkrankung weit fortgeschritten ist. Probleme werden verdrängt "Es gibt keine Warnsignale. Die Symptome wie beispielsweise Blut beim Wasserlassen treten meist sehr spät auf. Prostatakrebs metastasiert auch gerne in die Knochen und verursacht dort Schmerzen", so Pfitzenmaier. Seiner Erfahrung nach sei es aber immer ein Problem, dass viele Männer gesundheitliche Probleme erst einmal verdrängen, speziell routinemäßige Voruntersuchungen werden oft aufgeschoben. "Grundsätzlich sollten Männer ab dem 50. Lebensjahr regelmäßig zur Darmspiegelung und ab dem 45. Lebensjahr zum Abtasten der Prostata kommen", rät der Experte. Und obwohl dieses Angebot nur wenige Bielefelder wahrnehmen, bemerkt Pfitzenmaier mittlerweile Veränderungen: "In unserer Eltern- oder Großelterngeneration war es undenkbar, dass man über Intimes redet. Wenn wir die Prostata abtasten, passiert das über den Enddarm und das ist etwas, das viele Männer nicht möchten. Ich habe aber den Eindruck, dass Männer die Untersuchungen im Intimbereich langsam etwas mehr akzeptieren, auf jeden Fall ist die junge Generation meist entspannter als die ältere Generation. Wir sind grundsätzlich auf einem guten Weg, aber es geht leider zu langsam." Schamgrenze der Männer Doch warum sind viele Männer noch immer solche Vorsorge-Muffel? "Solche Untersuchungen sind erst einmal Schamthemen, bei Männern ist die Scham oft größer als bei Frauen", erklärt Doreen Reifegerste, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Uni Bielefeld: "Das liegt einerseits an dem Männerbild, das es nach wie vor gibt. Demnach sollen Männer stark und leistungsfähig sein, das sieht man beispielsweise bei einem Blick in die Men´s Health: Dort geht es nicht um Gesundheit, sondern darum, möglichst unfehlbar zu sein." Außerdem sei die Hemmschwelle bei Männern deutlich höher. "Die meisten Frauen gehen sowieso regelmäßig zum Gynäkologen, beispielsweise wegen der Verhütung. Einmal im Jahr findet dann auch unter anderem die Brustkrebsvorsorge statt, das gehört einfach zur Routine", so Reifegerste. Das bestätigt auch Jesco Pfitzenmaier: "Frauen haben den Vorteil, dass sie meist schon in jungen Jahren bei einem Frauenarzt in Behandlung sind. Das heißt natürlich nicht, dass Frauen gerne zu den Untersuchungen gehen, aber für sie ist das einfach normal. Männer müssen sich irgendwann aktiv dazu entscheiden, einen Experten aufzusuchen." Vorbild Zahnreinigung Für Doreen Reifegerste steht jedoch fest, dass die Art und Weise der Ansprache bei Männern viel bewegen könnte. "Wir haben beispielsweise festgestellt, dass sich viele Männer über ihre Arbeit definieren. Projekte oder Aufklärung seitens der Arbeitgeber könnte also helfen. Auch schreckt der Begriff "Früherkennung" oftmals ab", so Reifegerste: "Statt also zu sagen, man müsse zum Arzt gehen, um zu erkennen, ob man vielleicht Krebs hat, könnte man dem Mann zum Beispiel raten, sich untersuchen zu lassen, damit seine Erektion langfristig erhalten bleibt." Denn laut Reifegerste ist es keinesfalls so, dass sich Männer pauschal überhaupt nicht für Gesundheitsthemen interessieren oder sich darüber austauschen. Durch Studien habe sie beispielsweise festgestellt, dass Männer im Internet eher nach politischen Aspekten der Gesundheit suchen oder nach den besten Krankenversicherungen googeln. "Es ist einfach immer eine Frage der Perspektive. Und sobald Männer die ersten Symptome einer Krankheit bemerken, fangen sie meist sofort an, sich zu informieren und sehr intensiv im Internet zu recherchieren", so Reifegerste. Um die regelmäßige Vorsorge konsequenter einhalten zu können, rät Jesco Pfitzenmaier dazu, sich den Untersuchungstermin wie einen festen Termin frühzeitig in den Kalender einzutragen: "Am besten trägt man sich den Termin schon eine ganze Weile im Voraus ein, um sich darauf einzustellen. Das klappt ja in anderen Bereichen auch, viele Leute lassen sich beispielsweise nach einer Zahnreinigung auch schon direkt den nächsten Termin geben."

Meistgelesen