Zwei Monate nach dem Unwetter: Ein Leben in Trümmern

Bielefeld/Bad Neuenahr. Vor wenigen Wochen noch war das Ahrtal ein beschauliches Touristenziel – ehe es von einem desaströsen Unwetter in ein Katastrophengebiet verwandelt wurde. Der Bielefelder Björn Zentner, der in Bad Neuenahr eine Kindertagesstätte leitet, hat den Untergang seiner neuen Heimat hautnah miterlebt. Und er hat auch erfahren, wie der Welle aus Schlamm und Wasser eine Welle der Hilfsbereitschaft folgte. Inzwischen ist nach unfassbar chaotischen und dramatischen Wochen etwas Ruhe in das Ahrtal eingekehrt. Von Normalität kann allerdings bei weitem noch keine Rede sein. &bdquo;Das wird noch mehrere Jahre dauern, bis wir wieder dahinkommen", sagt Zentner. "Straßen, Schienen, Strom - alles weg" Die Kita &bdquo;Arche Noah", die der Bielefelder seit drei Jahren leitet, liegt zentral in Bad Neuenahr, knapp 250 Meter von der inzwischen wieder friedlich in ihrem Bett plätschernden Ahr entfernt. Vor zwei Monaten hatte sich der kleine Fluss in einen reißenden Strom verwandelt und die halbe Stadt zerstört. Zentner, der mit seiner Familie unweit der Kita in einer Wohnung im Obergeschoss lebt, hatte Glück im Unglück. Dennoch hatte er dramatische Szenen erlebt. Und auch er stand, als das Wasser wieder weg war, vor den Trümmern seines bisherigen Lebens. &bdquo;Die meisten Menschen können sich schlichtweg nicht vorstellen, was hier alles kaputtgegangen ist", sagt der 46-Jährige. Viele würden die Katastrophe mit einem Hochwasser verwechseln, bei dem das Wasser steigt und dann irgendwann wieder abfließt. &bdquo;Hier ist aber durch das Unwetter alles weggerissen und zerstört worden. Straßen, Schienen, Strom, Wasser – alles weg." Weg sind auch zwei Monate nach dem Unwetter auch viele der freiwilligen Helfer. Einige seien noch da und packten weiter fleißig mit an, die Bereitschaft lasse aber deutlich nach. Weg sind aber auch viele Einwohner der vor kurzem 27.000 Menschen zählenden Kreisstadt. Viele Häuser sind schlichtweg zerstört oder noch unbewohnbar, doch auch unbeschädigte Wohnungen etwa in Obergeschossen stehen derzeit leer, weil die vor der Katastrophe geflüchteten Bewohner noch nicht zurückgekehrt sind. &bdquo;Es sind vielleicht noch zwei Drittel der Einwohner hier", berichtet Björn Zentner. &bdquo;Manchmal wirkt Bad Neuenahr wie eine Geisterstadt." Einbrecherbanden suchen die zerstörte Stadt heim Die verlassenen Häuser und der Umstand, dass ohne Straßenbeleuchtung und Strom die Stadt nachts in völliger Dunkelheit versank, habe zu allem Überfluss auch noch Einbrecherbanden angelockt. Inzwischen sind aber mobile Straßenlaternen aufgestellt worden. &bdquo;Und die Polizei fährt hier regelmäßig Streife", sagt Zentner. Auch wenn weite Teile der Stadt noch kaputt sind und in einigen verlassenen Häusern sogar noch der stinkende Schlamm steht, kehrt für die vor Ort gebliebenen Menschen zumindest in Ansätzen wieder etwas wie Alltag zurück. &bdquo;Man wird aber demütig, wenn man sich freut, dass das Licht und die Toilettenspülung wieder funktioniert", sagt Björn Zentner. Zuvor musste er wochenlang mit Kerze oder Taschenlampe aufs Örtchen – und mit einem aus Tanks abgefüllten &bdquo;Brauchwasser-Kanister" spülen. Heizung und Warmwasser gibt es indes noch immer nicht, zum Duschen muss die Familie noch zu Freunden fahren. Vor Ort ist inzwischen wieder eine Apotheke, für die ein Container aufgestellt wurde. Auch eine erste Bäckerei habe wieder geöffnet. Weitere Einkaufsmöglichkeiten gibt es erst mehrere Kilometer entfernt, wo man die Bewohner des Ahrtals nicht nur anhand ihres Kennzeichens erkennt: Die Autos sind durch den allgegenwärtigen Staub völlig verdreckt, eine Autowäsche macht schlichtweg keinen Sinn. Lärm der Bohrhämmer stresst die Leute Allgegenwärtig ist für die in Bad Neuenahr gebliebenen Bewohner auch der Klang der Bohrhämmer und der Bautrockner. &bdquo;Das macht einen schon wahnsinnig", sagt Björn Zentner. An Flucht habe er aber keinen Moment gedacht, eher daran, wie er mit seinen Mitarbeitern seine Kindertagesstätte schnellstmöglich wieder in Betrieb nehmen kann. Durch die Hilfe vieler Freiwilliger sei zumindest das Außengelände wieder hergestellt, zudem sollen die Kinder provisorisch in eigens dafür hergerichteten Baucontainern betreut werden. Viel Hilfe hat Björn Zentner auch durch die Kontakte in seine alte Heimat erfahren. Eine Bielefelder Stiftung hat der Kita eine Spende von rund 20.000 Euro zugesagt, bei einer Online-Sammlung wurden zahlreiche Spenden mit Grüßen aus Bielefeld versehen. Die Bielefelder Rockband &bdquo;Randale" hat nach einer spontanen Anfrage des überzeugten Arminia-Fans Zentner nicht minder spontan für eine kleine Konzerttour durch Kitas im Ahrtal zugesagt. Und spätestens als er in seiner Nachbarschaft ein zur Unterstützung in den Süd-Westen gefahrenes Fahrzeug des Umweltbetriebs Bielefeld entdeckte, ist es für ihn gemachte Sache, dass Bielefeld eigentlich eine Partnerstadt von Bad Neuenahr werden müsste. &bdquo;Es hat wirklich unglaublich viele Berührungspunkte gegeben. Ich bin da wirklich noch immer sprachlos." "Man hat noch seine Erinnerungen" Trotz der Unterstützungswelle aus Ostwestfalen bleibt in der Kita noch viel zu tun, bis ein zumindest in Ansätzen normaler Betrieb wieder möglich ist. &bdquo;Ich habe zur Zeit einen 24/7-Job, mein Handy ist ständig an", sagt Björn Zentner. Er hofft, dass er in ein paar Wochen mal endlich dazu kommt, das Gerät mit gutem Gewissen beiseitelegen zu können. Und auch dann werden einige Baustellen und Narben bleiben. So wird in den kommenden Tagen eine Expertin mit dem Team der Kita sprechen, um etwaige Traumata aufzuarbeiten. &bdquo;Man merkt deutlich, dass einige noch unter dem Erlebten leiden", sagt Zentner. Familien hätten über Stunden im Wasser gestanden, einige mussten von Dächern gerettet werden. Andere wiederum hätten buchstäblich ihr gesamtes Hab und Gut verloren. &bdquo;Man hat dann noch seine Erinnerungen", sagt der Bielefelder. &bdquo;Alles andere ist weg."

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