Britta Haßelmann (Grüne): „Mehr Personal für die Polizei“

Bielefeld. Wie wirken sich Entscheidungen des Bundestages auf die Stadt aus? Was kann Berlin für Bielefeld tun? Vor der Bundestagswahl am 26. September machen sechs Kandidatinnen und Kandidaten von im Rat vertretenen Parteien ihre Positionen zu wichtigen Bielefelder Themen deutlich. Das sind die Standpunkte von Britta Haßelmann (Grüne): Migration Bielefeld beteiligt sich am Bündnis &bdquo;Sichere Häfen in Europa“. Die Städte erklären sich dazu bereit, aus Seenot gerettete Flüchtlinge aufzunehmen. Unterstützen Sie dieses Anliegen? &bdquo;Wir brauchen humanitäre Aufnahmeprogramme und sichere und legale Fluchtwege“, sagt Britta Haßelmann. Die Bereitschaft, geflüchtete Menschen aufzunehmen, sei da. Inzwischen hätten sich über 170 Orte und Kommunen dazu bereiterklärt. Pflege Bethel hat eine eigene Pflegeschule – zu hören ist, dass kaum noch jemand der neuen Pfleger länger als ein paar Jahre &bdquo;durchhält“. Was kann getan werden? Haßelmann betont: &bdquo;Ohne Pfleger*innen geht im Gesundheitssystem nichts. Wir müssen deshalb die Arbeitsbedingungen verbessern und den Beruf attraktiver machen.“ Dafür brauche es eine realistische, wissenschaftliche Personalbemessung. Mit Bürokratieabbau und Digitalisierung solle der Alltag in der Pflege entlastet werden. &bdquo;Und wir brauchen bessere Löhne und neue Arbeitszeitmodelle, wie die 35-Stunden-Woche mit Lohnausgleich“, sagt sie. Die gesetzliche Pflegeversicherung solle nur noch mit Anbietern zusammenzuarbeiten, die nach Tarif bezahlten. Kasernen Für drei Jahre soll in der Catterick-Kaserne die Ausbildung von Bundespolizisten verstärkt werden. Ist davon auszugehen, dass das Ausbildungszentrum Bielefeld danach wieder verlässt? Und wie sinnvoll ist die Befristung auf drei Jahre? &bdquo;Es war ein herber Schlag für die Stadt, dass immer mehr Einrichtungen des Bundes in den ehemaligen Kasernen unterkommen wollen, wo doch bekannt ist, dass der Wohnungsbedarf in Bielefeld sehr hoch ist und bereits ein umfassender Konversionsprozess durchgeführt wurde“, so Haßelmann. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben müsse für die Stadt eine verlässliche Perspektive schaffen, damit die innerstädtischen Flächen baldmöglichst für den Wohnungsbau und für Gewerbe genutzt werden könne. Sicherheit Was kann sich bundespolitisch in Sicherheitsfragen verbessern, damit sich das Sicherheitsgefühl auf dem Kesselbrink und anderen Problemplätzen der Stadt steigt? Sicherheitspolitik müsse sich an Prävention orientieren, so Haßelmann. Die Grünen wollen die Polizei stärken mit mehr Personal, damit sie ihren Aufgaben bei Prävention, Aufklärung und Strafverfolgung gerecht werden könne und die Diversität der Bevölkerung widergespiegelt werde. Der Bund solle mehr Mittel bereitstellen, damit Plätze und Ortskerne lebenswerter werden. Steuern Täglich pendeln 40.000 Bielefelder in Nachbarkommunen zur Arbeit. Wie soll das künftig steuerlich angerechnet werden? &bdquo;Für Menschen, die täglich pendeln müssen, haben wir 2019 die Anhebung der steuerlichen Entfernungspauschale mitbeschlossen. Dadurch hat sich der steuerlich absetzbare Betrag ab diesem Jahr auf 0,35 Euro gesteigert und wird ab dem Jahr 2024 0,38 Euro ab dem 21. Kilometer betragen“, sagt Haßelmann. Die Grünen hätten sich jedoch eine Regelung gewünscht, die Pendler unabhängig von der Höhe ihres Einkommens gleich entlaste. Wohnen Wohnen Günstiger Wohnraum ist in Bielefeld knapp. Wie erhält die Stadt künftig Unterstützung beim sozialen Wohnungsbau? Haßelmann betont: &bdquo;Wir wollen die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau deutlich erhöhen. Zudem soll mit einem Bundesprogramm in Höhe von 3 Milliarden Euro jährlich der Bau, Kauf, die Modernisierung und die Bindung von dauerhaft günstigen Mietwohnungen gefördert werden und so eine Million zusätzliche Mietwohnungen in zehn Jahren geschaffen werden.“ Bildung Die Coronakrise hat auch in Bielefeld Ungleichheiten im Bildungssystem verstärkt. Was wollen Sie gegen diese Entwicklung tun? Kinder und Jugendliche hätten ein Recht auf Bildung, so Haßelmann. &bdquo;Wir wollen eine schnellere und unbürokratische Digitalisierung der Schulen. Die Bundesregierung muss ein Nachhilfe- und Lernförderungsprogramm auflegen. Das BaföG wollen wir zu einer Grundsicherung für Studierende und Auszubildende ausbauen.“ Tempolimit Wie stehen Sie zu Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts? &bdquo;Tempo 30 soll innerorts Regelgeschwindigkeit werden und Städte und Gemeinden sollen über begründete Ausnahmen entscheiden können. Denn mit Tempo 30 km/h innerorts reduziert sich die Anzahl und Schwere von Unfällen“, so Haßelmann. Verkehr Aus Bielefelds Altstadt soll eine Wohlfühloase ohne Autos werden. Der Verkehrsversuch läuft aktuell. Könnte die Bundespolitik von Bielefeld lernen? &bdquo;Künftig wird es weniger Autoverkehr und mehr Platz fürs Flanieren, Radfahren und Grünflächen geben. Es ist ein tolles Beispiel für Verkehrsberuhigung und ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz“, sagt Haßelmann. &bdquo;Wir brauchen dringend mehr solcher Projekte.“ Denn das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe gezeigt, dass beim Klimaschutz schleunigst mehr getan werden muss. Klima Das Bielefelder Klimabündnis fordert: Bielefeld soll bis 2035 auf 100 Prozent erneuerbare Energien umsteigen. Was halten Sie davon? &bdquo;Wir teilen dieses Ziel. Nur mit viel mehr Erneuerbaren erreichen wir die Pariser Klimaschutzziele und bringen Deutschland auf den 1,5 Grad-Pfad“, so die Politikerin. Rente Eine Bielefelder Friseurin geht 2025 in Rente. Dann hat sie 52 Jahre gearbeitet, hat Kinder erzogen und ihr Eltern gepflegt. Sie erhält 636,06 Euro Rente. Ist das gerecht? Haßelmann: &bdquo;Nein. Wer einen großen Teil seines Lebens gearbeitet, Kinder erzogen oder andere Menschen gepflegt hat, muss eine Rente erhalten, die oberhalb der Grundsicherung liegt.“ Die Grünen wollen eine Garantierente einführen: Wer 30 Versicherungsjahre habe, solle nach heutigem Stand rund 1.000 Euro erhalten – und zwar ohne Bedürftigkeitsprüfung. Altersarmut In unserer Stadt beziehen rund 3.000 Rentner eine Grundsicherung. Tendenz steigend. Wie wollen Sie das Massenphänomen Altersarmut entgegenwirken? Die Grünen wollen den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen und Geringverdienende mit einem arbeitgeberfinanzierten Mindestrentenbeitrag vor Altersarmut schützen. Haßelmann: &bdquo;Arbeitgeber in Niedriglohnbranchen werden verpflichtet, ihre Zahlungen für Beschäftigte an die Rentenkasse aufzustocken.“ Nach 45 Beitragsjahren ergäbe das eine Rente von derzeit rund 1.230 Euro. Kultur Der Kultursektor ist einer der am härtesten von den Einschränkungen durch die Anti-Coronamaßnahmen betroffenen Wirtschaftszweige. Welche Vorschläge zur Neubelebung der Kultur haben Sie? &bdquo;Neben einer angemessenen Vergütung und sozialen Absicherung der Kulturschaffenden brauchen wir eine Wiederaufbau-Strategie, bei der die Kommunalfinanzen als Grundlage für die kulturelle Infrastruktur gestärkt werden.“, sagt Haßelmann. Die Grünen wollen das Zuwendungsrecht so reformieren, dass Kultureinrichtungen leichter Rücklagen für Notsituationen bilden können und einen Fonds zum Schutz von Kultureinrichtungen vor Verdrängung einrichten. ZUR PERSON Britta Haßelmann (59) ist seit 2013 erste parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion der Grünen. Sie ist außerdem kommunalpolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Dem Parlament gehört sie seit 2005 an. Sie ist Spitzenkandidatin auf der NRW-Landesliste und hat damit beste Chancen auf den Wiedereinzug in den Bundestag. Für den Fall einer Regierungsbeteiligung der Grünen werden ihr Ambitionen auf ein Amt als Staatssekretärin oder Ministerin nachgesagt. Sie wurde am Niederrhein geboren. In Bielefeld absolvierte sie an der FH das Studium zur Diplom-Sozialarbeiterin. Von 1994 bis 2000 saß sie im Bielefelder Stadtrat. Haßelmann ist verheiratet und hat einen Sohn.

Meistgelesen