Vor Ort an den Brennpunkten: Eine Nacht an den Bielefelder Hotspots

Bielefeld. Die Diskussion um die nächtliche Sicherheit in der Innenstadt hat in den vergangenen Wochen Fahrt aufgenommen. Doch wie gefährlich ist es wirklich in der City? Laura Köster ist 24 Jahre alt und arbeitet als Streetworkerin für die Stadt. Sie ist da im Einsatz, wo viele junge Frauen abends nicht gern allein unterwegs sind. Die NW hat sie und ihren Kollegen Felix Heckersdorf begleitet. Ein Freitagabend an den Hotspots der Stadt. Los geht es um 21 Uhr am Grünen Würfel. Noch scheint ein wenig Tageslicht auf den Kesselbrink, doch schon auf dem Weg zum Treffpunkt mit den Sozialarbeitern lassen sich erste zwielichtige Geschäfte beobachten: Ein Auto hält am Straßenrand, der Kunde beugt sich kurz durchs Fahrerfenster und schon ist der Wagen mit quietschenden Reifen wieder verschwunden. »Wir wollen das gar nicht beschönigen« &bdquo;Wir wollen das gar nicht beschönigen. Wenn man bestimmte Sachen kaufen möchte, kriegt man hier was", sagt Sozialdezernent Ingo Nürnberger, der den abendlichen Rundgang begleitet. Dennoch: An diesem Abend ist es friedlich auf dem Kesselbrink und laut den Pädagogen ist das tatsächlich keine Ausnahme. &bdquo;Abends treffen sich hier viele junge Leute und hören Musik. Bei schönem Wetter ist natürlich deutlich mehr los, dann mischen sich die Gruppen auch untereinander", sagt Laura Köster. Felix Heckersdorf ergänzt: &bdquo;Auf dem Sonnendeck treffen sich tagsüber eher ältere Menschen, die viel trinken. Das sind auch eher die Leute, die auf Außenstehende bedrohlicher wirken." Mittlerweile ist es dunkel geworden, doch der Kesselbrink ist hell erleuchtet. Bedrohlich ist die Atmosphäre nicht – sogar Eltern mit ihren Kindern sind hier noch unterwegs und spielen auf dem Klettergerüst. Angesprochen oder gar bepöbelt wird hier niemand, lediglich kurze Pfeifgeräusche sind im Hintergrund immer wieder zu hören. &bdquo;Damit signalisieren die Leute, dass es bei ihnen etwas zu kaufen gibt. Ein aggressives Ansprechen findet hier aber nicht mehr statt", erklärt Heckersdorf. »Die Gruppen regeln alles unter sich« Obwohl der Kesselbrink reichlich beleuchtet ist, gibt es noch immer einige dunkle Ecken – und da kann es im Vorbeigehen schon mal unangenehm werden. &bdquo;Beispielsweise hier ist eine schlecht einsehbare Ecke und die wird offensichtlich genutzt für Geschäfte. Das ist so eine Stelle, die schon Angst machen kann, wenn man da vorbeigeht", so Nürnberger. Mittlerweile ist es 21.26 Uhr und auch am Zugang zur Tiefgarage hat sich eine kleine Gruppe versammelt, um Bier zu trinken und zu plaudern. Auch hier ist die Stimmung gelassen, als sich die Außenstehenden nähern, zieht die Clique einfach weiter. &bdquo;Eigentlich regeln die Gruppen hier alles unter sich. Das wirkt manchmal gefährlich, weil es eben auch mal lauter werden kann", sagt Heckersdorf. Wenn die Sozialarbeiter solche Auseinandersetzungen bemerken, helfe es oftmals schon, die Beteiligten durch Gespräche ein wenig abzulenken. Notdurft wird in dunklen Ecken verrichtet Um wenigstens ein Konfliktthema zu entschärfen, möchten die Sozialarbeiter das Problem der öffentlichen Toiletten angehen – denn wenn es davon mehr gibt, erledigen die Menschen ihre Notdurft zumindest nicht mehr in dunklen Ecken und Hauseingängen. &bdquo;Das Problem ist der Vandalismus. In der Tiefgarage gibt es eine weitere Toilette, allerdings mit Personal. Da klappt das alles wesentlich besser", so Heckersdorf. Gegen 21.40 Uhr verlassen die Sozialarbeiter den Kesselbrink. Niemand hat sie hier angesprochen und sie selbst gehen um diese Uhrzeit nur noch im Notfall auf die Leute zu. &bdquo;Wir sind abends ansprechbar und es gibt ein bisschen Small-Talk. Aber auch die Leute wollen irgendwann &bdquo;Feierabend" haben und nicht mehr angequatscht werden. Wir drängen uns den Menschen nicht auf, das hier ist für viele ihr Rückzugsort. Da ist dann auf lange Sicht die Beziehungsarbeit wichtiger", erklärt Laura Köster. »Gedealt, prostituiert und gelungert« Die Sozialarbeiter machen sich jetzt auf den Weg zur &bdquo;Tüte", allerdings nähern sie sich dem Platz von der Seite des Bahneingangs. In den &bdquo;Wellen", dem hügelartig angelegten Park vor der Stadthalle, sind sie nachts nicht mehr unterwegs. &bdquo;Die Fläche ist schlecht einsehbar und hier wird nachts gedealt, prostituiert und rumgelungert. Das ist für Leute, die hier einfach zum Bahnhof gehen nicht gefährlich, aber gerade für Menschen, die es nicht kennen, sehr irritierend", sagt Nürnberger: &bdquo;Wir fahren da in einem bestimmten Rahmen eine Toleranzstrategie, solange es für andere akzeptabel ist, denn hier treffen wir die Menschen an. Sonst würden sich die Leute nur weiter zerstreuen." Von aggressiver Stimmung ist auch hier keine Spur. An der Tüte werden die Streetworker von einem Obdachlosen in löchrigem Shirt und kaputten Schuhen angesprochen, er bittet sie um eine Zigarette, dann um Kleingeld. Das dürfen sie ihm zwar nicht geben, aber noch eine andere Bitte hat der Mann: &bdquo;Ich könnte wirklich gut einen frischen Satz Klamotten gebrauchen." Dabei können ihm die Sozialarbeiter helfen, sie verabreden sich für die kommende Woche, um gemeinsam bei der Bahnhofsmission nach Kleidung für ihn zu fragen. Doch allein das kurze Gespräch zeigt, wie wichtig ihr Einsatz ist. &bdquo;Realistisch gesehen wird man diesem Mann nicht mehr viel helfen können, aber man kann ansprechbar sein und aufpassen, dass er im Winter nicht erfriert. Und wahrscheinlich war das gerade das erste Mal seit langer Zeit, dass ihm jemand mal wirklich zugehört hat", sagt Nürnberger. An der Tüte treffen die Sozialarbeiter andere Menschen als auf dem Kesselbrink. &bdquo;Hier ist es anonymer und es werden harte Drogen konsumiert und verkauft. Durch die Lage am Bahnhof sind hier auch viele, die keine Bielefelder sind. Manchmal gibt es auch Stress, wenn die Leute von hier zum Kesselbrink kommen, die Gruppen dort möchten diese Leute ungern da haben", sagt Köster. »Gesamtsituation im Blick behalten« Sie redet mit den Menschen über Sucht, Beziehungen, Wohnungen oder auch über politische Themen, allein ist sie dabei jedoch nicht. Die Streetworker sind immer zu zweit unterwegs – erstens aus Sicherheitsgründen, zweitens, weil sich die Menschen dann leichter eine Bezugsperson suchen können, die ihnen sympathischer ist. &bdquo;Wenn einer von uns mal ein längeres Gespräch führt, kann der andere außerdem die Gesamtsituation im Überblick behalten", sagt Heckersdorf. »Man kann nicht von einer Szene sprechen« Gegen 22.57 Uhr geht das Team zurück zum Kesselbrink, ein leichter Duft von Marihuana liegt in der Luft, jemand spielt Gitarre. Für heute machen die Streetworker Feierabend. Ein Abstecher zum Kunsthallenpark würde sich heute nicht lohnen. &bdquo;Da kann man nicht von einer Szene reden, die Leute treffen sich da eigentlich nur bei schönem Wetter und es sind auch keine festen Gruppen, die regelmäßig dort sind. Das sind junge Leute, die sich wegen Corona dort treffen und feiern wollen", sagt Köster. Für das Team geht es Montag wieder auf die Straße. Wo genau sie unterwegs sind, wen sie treffen und was passiert, wissen sie noch nicht – und genau deshalb machen sie ihren Job so gern.

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