So lösen andere die Probleme mit Party-Exzessen, Müll und Lärm

Bielefeld. Seit Discos und Bars in Zeiten der Corona-Pandemie geschlossen sind, findet das soziale Leben insbesondere der jungen Menschen in Parks oder auf öffentlichen Plätzen statt. In den heißen Sommernächten fällt das immer wieder durch große Gruppen und am nächsten Morgen durch sehr viel Müll auf. Vor allem Anwohner leiden unter lauter Musik und dem Grölen Betrunkener. &bdquo;Der öffentliche Raum ist ohne soziales Gefüge. Die Orte sozialer Kontrolle waren zuletzt geschlossen", sagt Robert Gaa. Der 31-Jährige ist Mannheims Nachtbürgermeister und dort dafür zuständig, dass alle Seiten zu ihrem Recht kommen – Anwohner, Feiernde sowie die Anbieter der Nachtkultur und Gastronomie. Die Grünen haben die aus dem Niederlanden stammende Idee des Nachtbürgermeisters nun auch für Bielefeld ins Gespräch gebracht. Vermittler in der Nacht Doch was macht so ein Nachtbürgermeister eigentlich genau? Aktuell ist Gaa sehr stark eingebunden in die Planungen zum Neustart des Nachtlebens. &bdquo;Ich sehe mich als Vermittler zwischen der Stadtverwaltung und der Nachtkultur, aber auch zwischen Anwohnern und Gästen. Ich bin also nicht Sprecher einer Seite. Ich muss neutral sein", sagt der gelernte Maschinenbautechniker, der in Mannheim als DJ agiert und dort auch im Kunst- und Kulturverein tätig ist. In Mannheim konzentriert sich ein großer Teil des Nachtlebens im angesagten Ausgehviertel &bdquo;Jungbusch". Wiederkehrende Probleme zwischen den einzelnen Seiten blieben oft ungelöst. Seit 2018 setzt Mannheim dabei nun auf einen Nachtbürgermeister. Robert Gaa ist bereits der zweite in dieser Funktion. Längst haben andere Kommunen das offenbar erfolgreiche Konzept kopiert – so wie kürzlich Osnabrück. Party-Hotspot als Problem Wie in Bielefeld steht die Club-Szene auch in Mannheim vor dem lang ersehnten Neustart. &bdquo;Auch bei uns hat sich während der Corona-Beschränkungen vieles in Parks und besonders an den Verbindungskanal im Jungbusch verlagert", sagt Gaa. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete von einem Hotspot, die Polizei zählte mitunter 600 bis 700 Menschen dort, Anwohner bezeichneten die Verhältnisse durch oft alkoholisierte und enthemmte Menschenmassen mit dem &bdquo;Ballermann". Alkoholverbot Die Stadt Mannheim reagierte mit einem Alkoholverbot nach Mitternacht in dem Viertel. Freitags und samstags ist dort das Mitführen und Konsumieren von Alkohol zwischen 0 und 6 Uhr verboten. Auch der Straßenverkauf alkoholischer Getränke wurde in den Nachtstunden eingeschränkt. Eine Tankstelle hatte bis dahin die ganze Nacht Nachschub im Sortiment. Mobile Musikgeräte Interessant: Die Menschen brachten – wie auch in Bielefeld im Kunsthallenpark oder im Bürgerpark zu beobachten – koffer-ähnliche Lautsprecherboxen mit. Der Sound dieser Anlagen sei beträchtlich, so Gaa. &bdquo;Es hat gezeigt, wie wichtig laute Musik hören und tanzen für die Menschen ist", sagt der Nachtbürgermeister verständnisvoll. &bdquo;Aber viele hatten sich keine Gedanken gemacht, dass zwei Häuser weiter Anwohner um ihren Schlaf gebracht werden." Mannheim verbietet seitdem von 22 bis 6 Uhr das Abspielen lauter Musik per Lautsprecher oder anderer Abspielgeräte. Barmann und Türsteherfehlen draußen Was war hier so schief gelaufen? &bdquo;Wir wollten nicht repressiv vorgehen", sagt Gaa. Aber in der Disco sage der Barmann dem Betrunkenen, wenn er keinen Drink mehr vertrage. Wer sich daneben benehme, werde vom Türsteher vor die Tür gesetzt. Das seien akzeptierte Regeln. &bdquo;Das alles passiert aber draußen nicht. Dort überschreiten die Leute Grenzen ohne Konsequenzen." &bdquo;Nachtläufer" für die soziale Kontrolle Damit sich das ändert, wurde 2020 im Jungbusch die sogenannte &bdquo;Nachtschicht" eingeführt. Das ist ein inzwischen sechsköpfiger sozialpädagogischer Dienst, der im Viertel bis 1 oder 2 Uhr nachts die Szenetreffpunkte ansteuert und die Feiernden auf die Jungbusch-Regeln hinweist. &bdquo;Es ist ein dialogischer Ansatz. Wir wollen die Leute frühzeitig ansprechen und damit die soziale Kontrolle auch im öffentlichen Raum herstellen." Es geht um Lärm, Wildpinkler, Provokationen und Grenzüberschreitungen. Die Nachtschichtler fungieren auch als Vermittler zu Polizei und Ordnungsamt. Zu den im Quartiersmanagement angesiedelten &bdquo;Nachschicht"-Kollegen – in Berlin-Schöneberg heißen sie &bdquo;Nachtlichter" oder &bdquo;Parkläufer" – hat Gaa regelmäßig Kontakt, um sich auszutauschen und Probleme etwa mit Gastronomen oder Feiernden zu besprechen. Orte für laute Party fehlen Der Nachtbürgermeister nimmt an, dass diese Probleme, die fast alle größeren Städte in der Corona-Zeit hatten, mit der Öffnung von Bars und Clubs wieder abnehmen werden. &bdquo;Trotzdem müssen sich die Städte künftig Gedanken machen, wo und wie sie solche Orte schaffen können, an denen junge Leute sich aufhalten und laut sein können", sagt Gaa. Denn längst nicht alle werden in die Clubs zurückkehren. Die Konflikte werden zwar weniger, aber nicht verschwinden. &bdquo;Dazu braucht es Einsicht in der Politik." Sicht auf Migranten Weil ein großer Teil der jungen Leute auch in Mannheim Migrationshintergrund habe, gibt der Nachtbürgermeister zu bedenken: &bdquo;Die Entscheidung, wie Plätze und Parks zu funktionieren haben, treffen in der Regel Politiker. Es ist aber wichtig, dass diese sich mit den jungen Menschen auseinandersetzen – um zu erfahren, was sie wollen." Junge Leute und insbesondere Migranten seien bei solchen Entscheidungen immer noch unterrepräsentiert, betont Gaa. Problemplätze entkriminalisieren Orte wie der Kesselbrink mit Alkoholiker- und Drogenszene sind auch in Mannheim vorhanden. Laut Gaa gebe es viele gute Hilfsangebote, deshalb sei das Thema dort nicht so ein großes. Sein Vorgänger Hendrik Meier hatte aber schon 2020 Infrastrukturen gefordert, um solche Plätze zu entkriminalisieren. Dazu gehörten mehr Licht an dunklen Stellen, kulturelle Angebote, um den Platz wieder erlebbar zu machen, und auch hier &bdquo;soziale Kontrolle". _________ Die Grünen fordern "einen Versteher, keinen Wächter" &bdquo;Dass wir in Bielefeld Probleme mit einer jungen Szene haben, ist augenscheinlich geworden", sagt Klaus Rees, Geschäftsführer der Grünen-Ratsfraktion. Trotzdem bezweifelt er, dass mehr Repression durch Uniformierte, bei der Szene auch mehr Eindruck hinterlassen würde. &bdquo;Wir haben also zwei Möglichkeiten. Entweder setzen wir auf jugendgemäße Prävention oder man lässt sie gewähren. Doch dann wären wir alle nicht zufrieden", sagt Rees. So kam den Grünen die Idee, nach niederländischem Vorbild auch in Bielefeld einen Nachtbürgermeister einzuführen. Rees betont, dass die vermittelnde Eigenschaft des Nachtbürgermeisters sein großes Plus sei: &bdquo;Er ist ein Versteher und kein Wächter." Rees nennt folgende wichtige Anforderungen: &bdquo;Er muss die gleiche Sprache sprechen wie die jungen Leute, mit den gleichen Jugend-Codes operieren, er muss ein ähnliches Alter, eine ähnliche Herkunft und die gleichen Bedürfnisse haben." Interessen ausgleichen, ohne die Keule zu schwingen Das Ziel sei es, einen akzeptierten Ansprechpartner zu finden. Polizei und Ordnungsamt könnten zwar – wenn nötig – kurzfristig durchgreifen, aber es brauche auch einen Dialog auf Augenhöhe. &bdquo;Wir müssen versuchen, die verschiedenen Interessen auszugleichen, ohne die Keule zu schwingen", sagt Rees. Dabei ist ihm wichtig zu betonen: &bdquo;Der Nachtbürgermeister ist kein Allheilmittel für den Kesselbrink. Die Probleme dort sind vielschichtiger." So hätten dort Streetworker bereits Kontakt zu verschiedenen Gruppen aufgebaut und damit einen guten Weg begonnen. Jüngst aber hatte erst Partyveranstalter Marcel Lossie ein härteres Durchgreifen von Polizei und Ordnungsamt in der Stadt gefordert. Auch Rees weiß: &bdquo;Wir werden die Ordnungskräfte auch weiterhin brauchen. Aber wir wollen sie nicht alleine." Es gebe nie nur eine Patentlösung. Der Nachtbürgermeister soll ein Aspekt von mehreren sein. &bdquo;Er soll einen Ausgleich herstellen, damit wir friedlich in der Stadtgesellschaft klar kommen." Die Stadt soll die Realisierbarkeit eines Nachtbürgermeisters prüfen Die Grünen wollen jetzt an die Verwaltung herantreten, damit diese die Realisierbarkeit prüfen und ein Anforderungsprofil für einen Bielefelder Nachtbürgermeister finden könne. &bdquo;Vielleicht können wir das Ganze schon im September in die Wege leiten", hofft Rees. Zum Thema: Angriff auf junge Frau im Kunsthallenpark: Video zeigt ungeheure Brutalität Acht Verletzte in einer einzigen Nacht am Kesselbrink Wilde Party, Saufen, Polizeieinsätze – eine Nacht im "Kunsti"

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