Junger Afghane: "Es geht um Leben und Tod - und Deutschland ist der Papierkram wichtiger"

Bielefeld. Über das Schicksal seiner Eltern und seiner Geschwister in Kabul, zu denen er aktuell keinen Kontakt mehr hat, mag Jamal M. am Montagnachmittag nicht so gerne sprechen. Der Deutsch-Afghane möchte beim Gespräch auf dem Kesselbrink auf keinen Fall in der Öffentlichkeit weinen. Auch seinen vollen Namen und sein Gesicht möchte er aus Furcht vor dem langen Arm der Taliban lieber nicht zeigen. Aber der Gedanke an seine Frau zaubert dem 29-Jährigen doch ein Lächeln ins Gesicht. Wider Erwarten hat es Mashtany in einen Evakuierungsflieger der Bundeswehr geschafft, landete am Dienstag in Frankfurt. "Sie sind nichts als wilde Tiere" Als Ehefrau eines ehemaligen Offiziers, der für die Bundeswehr gearbeitet hat, wäre sie extrem vom Tode bedroht gewesen. Das Gleiche gilt für seine ganze Familie, zumal der Vater für die afghanische Armee tätig war. Die Amnestie-Versprechen der Taliban, sagt Jamal M., seien nur Täuschungsmanöver. &bdquo;Sie sind nichts als wilde Tiere." Mit Hilfe der Unterlagen und biometrischen Daten, die ihnen in die Hände gefallen seien, würden sie nun Jagd machen. Geschlossene Tore und Massenpanik am Flughafen Dem reinen Zufall und viel Schmiergeld sei es zu verdanken, dass seine Frau es mit Angehörigen durch das Chaos in Kabul bis auf das Flughafengelände geschafft habe. Während die Familie ihrer Schwester Tickets und Visa für Kanada hatten, habe Mashtany sich auf sein Anraten hin auf dem Flugfeld einen Bundeswehrsoldaten gesucht, ihm ihre Geschichte erzählt, ihre Papiere gezeigt, die sie als Angehörige eines ehemaligen Soldaten ausweisen. &bdquo;Und es hat tatsächlich geklappt", sagt der 29-Jährige überglücklich. Auch ihr Onkel sei mit ausgeflogen worden, so dass es die nächste Zeit in seiner 38-Quadratmeter-Wohnung in Schildesche sehr eng wird. Mehr Infografiken finden Sie bei Statista Enttäuscht ist Jamal M. darüber, dass die deutsche Bürokratie sich angesichts der Krise so unflexibel gezeigt habe. Unzählige Mails habe er an das Auswärtige Amt, dann an die extra eingerichtete Mailadresse fürs Evakuierungsprogramm geschrieben. Ohne Erfolg, teils sogar ohne jedwede Antwort. &bdquo;Obwohl es um Leben und Tod geht, ist der Papierkram wichtiger", kritisiert der 29-Jährige. &bdquo;Es war jetzt der reine Zufall, dass meine Frau sich retten konnte." Vor wenigen Monaten erst geheiratet Erst im April haben Jamal und Mashtany in Afghanistan geheiratet. Die 24-Jährige ist dort geblieben, weil sie ihr Zahnmedizinstudium zu Ende bringen wollte. &bdquo;Ihr haben nur noch zwei Semester gefehlt, bevor die Taliban kamen", erzählt er. Der 29-Jährige lebt bereits seit 2011 in Deutschland, hat mittlerweile auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Seine Familie, die der Volksgruppe der Tschadschiken angehört, ist 1997, während der ersten Herrschaftsphase der Taliban, in den Iran geflohen und erst 2001 zurückgekehrt. Jamal, der sechs Sprachen spricht, hat als guter Schüler nach dem Abitur das Angebot bekommen, bei der Bundeswehr eine Offiziersausbildung zu machen. Als er Ende 2014 nach dreieinhalb Jahren Oberleutnant war, waren die deutschen Truppen aus seinem Heimatort abgezogen und der Plan, dort für die Bundeswehr weiter zu arbeiten und in der afghanischen Armee Landsleute auszubilden, war Geschichte. Jamal M. entschied sich, in Deutschland zu bleiben. Ein Jahr half er beim Arbeitersamariterbund (ASB), unter anderem als Dolmetscher. Dabei lernte er die Bielefelder Journalistin Jutta Küster kennen, die sehr aktiv in der Flüchtlingshilfe arbeitet. &bdquo;Sie hat mir einen Ausbildungsplatz als Zerspanungsmechaniker verschafft." Eine Ausbildung, die Jamal ebenfalls mit Bravour beendete. Jetzt arbeitet er in seinem Beruf bei der Firma Böllhoff, wo er von Florian Böllhoff persönlich Unterstützung erfahre, so sie nötig sei, erzählt Jamal. Mehr Infografiken finden Sie bei Statista"Präsident hat das Land verraten" Dass die Situation in seinem Heimatland so schrecklich ist, wirft Jamal M. weder den Deutschen noch den übrigen NATO-Truppen vor. Präsident Ghani habe das Land an die Taliban verraten, habe durch seine Marionetten-Kommandeure dafür gesorgt, dass die afghanische Armee sich zurückziehen musste, statt kämpfen zu dürfen. Ghani, ein Paschtune, die seit 250 Jahren alles dafür täten, in Afghanistan an der Macht zu bleiben. Ghani, dem nachgesagt werde, mit fast 170 Millionen Dollar nach Dubai geflohen zu sein. Mit dem Islam als Religion habe das alles jedenfalls nichts zu tun. Afghanische Frauenrechtlerin in Deutschland eingetroffen 20 Jahre lang habe sein Land erleben dürfen, was eine offene Gesellschaft ausmache, was Menschen- und Frauenrechte bedeuten, sagt Jamal. Er habe Afghanistan in einer &bdquo;goldenen Zeit" erlebt, jetzt herrsche bloße Anarchie. Vor allem für die Frauen und Mädchen breche eine &bdquo;Zeit der Dunkelheit an". &bdquo;Das kann man vielleicht ein oder zwei Jahre aushalten. Aber nicht ein ganzes Leben." Jamal M. beschwört daher die NATO-Truppen, der Region Pandschir und den Kämpfern um Ahmad Massoud zu helfen, sich gegen die Taliban zu stellen. Er selbst will irgendwie helfen, den Widerstand zu unterstützen. Wie weiß der 29-Jährige noch nicht. Genauso wenig wie er weiß, ob er seinen Eltern und zwei seiner noch im Land befindlichen Brüder helfen kann.

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