88,8 Kilometer - das ist Bielefelds extremste Wanderung

Bielefeld. Auf geht’s: 40 Wanderer sind dabei bei der ersten Wappenweg-Wandertour des Alpenvereins. Ihre Herausforderung? 15, 30, 40 – oder gar 88,8 Kilometer. Einmal um Bielefeld herum. Und es haben sich tatsächlich vier Leute gefunden, die das angehen; die nach Apotheker Martin Pierick im Jahr 2013 die nächsten Bielefelder sein wollen, die das offiziell schaffen. Wobei einer sogar der erste Gütersloher sein möchte: der spontan aufgesprungene Ludger Osterkamp (56). Er begleitet Peter Rüther (59), dessen Tochter Anke Lülfsmann (30) sowie Rüthers Schwager, der lieber anonym mitläuft. 8 UHR: KILOMETER 0 Jens Tönsing vom Alpenverein bringt in einem Satz auf den Punkt, was die Wanderer erwartet. &bdquo;Ich wünsche Euch viel Spaß und beneide Euch um Glücksgefühle – und Schmerzen." Applaus gibt es dafür, vermutlich eher mit Blick auf die Glücksgefühle. 9.30 UHR: KILOMETER 9 Es läuft bei allen. Biologe Rüther, der Routinier, der auch schon 100 Kilometer gewandert ist, zieht mit Schwager und Tochter (angehende Physiotherapeutin) los wie die Feuerwehr – mit fast sechs Stundenkilometern als Schnitt. Es hat etwas von flottem Familienausflug. Wäre da nicht noch Ludger Osterkamp, NW-Redakteur aus Gütersloh, der quasi aus dem Stand heraus seine Nachmeldung abgab und nun fasziniert auf das große, ruhige Abenteuer vor sich blickt. Nicht skeptisch, aber im Wissen darum, dass er nun etwa 22 Stunden quasi ohne Pause wandern muss. &bdquo;Ich wollte in der Corona-Zeit was Verrücktes machen – und hier ist es nun." RÜCKBLENDE: 7 UHR Grinsend nehmen die Matadore zur Kenntnis, wie unterschiedlich ein Frühstück vor so einer Tour aussehen kann: Hat Osterkamp einen Liter Tee getrunken und Rüther etwas Kaffee so kommt Anke Lülfsmann mit &bdquo;vier Espressi" um die Ecke. Wow, wach ist sie also schon einmal. Dazu gab es bei ihr Haferflocken mit warmem Wasser und Honig drin. Rüther setzt dagegen ganz locker auf Knuspermüsli mit Milch. 9.50 UHR: KILOMETER 11 21 Grad ist es, &bdquo;das sind 10 bis 15 Grad zu viel", sagt Rüther. 13.15 UHR: KILOMETER 30 Ab Dornberg geht es steil bergauf, die drei aus der Rüther-Familie ziehen davon, Osterkamp fällt zurück wie auch viele der 40-Kilometer-Wanderer. Oben gönnen sich Rüther, sein Schwager und Lülfsmann gar ein Radler in der Hütte an der Schwedenschanze – ein bisschen Genuss muss sein. Aber, so Rüther: &bdquo;Keine Pause länger als zehn, zwölf Minuten, sonst macht die Muskulatur dann nicht mehr mit." 16.15 UHR: KILOMETER 40 In Steinhagen ist Schluss für die zähen 40-Kilometer-Wanderer, &bdquo;nur einer wollte ein wenig mehr, hat die 45 voll gemacht", berichtet DAV-Mann Tönsing vom letzten Versorgungspunkt. Ab hier sind die vier 88,8-Kilometer-Helden unter sich. Und Osterkamp, ein wenig begleitet von seiner Frau, später alleine, sagt: &bdquo;Mir tat das auch ganz gut, mal alleine mit mir zu sein, alleine zu wandern." Doch das hat auch seine Tücken, die Gerüchteküche brodelt: Blasen habe er, es drohe sein Ausstieg. Auch von Anke Lülfsmann ist zu hören, &bdquo;dass der Fuß meckert". 17.30 UHR: KILOMETER 46 Es stimmt, Anke Lülfsmann hat tatsächlich Fußschmerzen und Blasen. Und die sind des Wanderers größter Feind. Ist eine Blase erst einmal richtig da, gibt es fast keine Chance, weiterzukommen. Die 30-Jährige ist körperlich gut drauf, und so ärgert sie sich über die Blase und den Ausstieg. Lauf- statt Wanderschuhe, das könnte ein Fehler gewesen sein. 18 UHR: KILOMETER 48 Rüther findet es weiterhin zu warm. Würde er sich Regen wünschen? &bdquo;Nein, das wäre nicht gut, dann klebt die Hose an den Beinen und die Schuhe werden nass, das hilft nicht." Neben Blasen sind es Scheuerstellen, die Wanderer fürchten. Einen ganz kleinen &bdquo;Wolf" habe er sich schon gelaufen. Vaseline ist nun gefragt. 18.20 UHR: KILOMETER 50 Am Hof Ramsbrock wartet auf Rüther und seinen Schwager eine wahrlich fette Überraschung. Der Förderverein, dessen Mitglied er ist, hat für ihn den Grill angeschmissen. Und so gibt es für Rüther und Co. eine ordentliche Grillwurst – aber auch das nur binnen Minuten. Die Muskeln wollen warm bleiben. Rüthers Frau kommentiert den Grillstopp per SMS: &bdquo;Ich hoffe, die müssen da nicht zu viele Würstchen essen." Nein, tun sie nicht. Jeder zwei. 18.30 UHR: KILOMETER 50 In diesen Minuten geschieht hinter den Hecken etwas Ungeheuerliches: Ludger Osterkamp, der zurücklag und das Alleine-Wandern vermutlich schon für Stunden für sich angenommen hatte, zieht vorbei, er sieht die grillenden Mitwanderer nicht. 18.40 UHR: KILOMETER 51 Die aber sehen ihn nun – vor sich. Sie holen ihn ein, und nun geht es wieder gemeinsam weiter. DAV-Mann Tönsing: &bdquo;Alleine in der Verfolgung zu sein, ist echt hart – vielleicht war bei Osterkamp ja die begleitende Frau sein Doping." Er finde es &bdquo;atemberaubend", was die drei leisteten. Diese Distanz an einem Tag, das sei großartig. 20 UHR: KILOMETER 61 An der Eckardtsheimer Kirche stößt Rüthers Ehefrau Susanne dazu und läuft bis in die Nacht und bis zum Ende mit. Doping, auch hier? &bdquo;Nein, wenn mein Mann nicht umknickt, packt der das sowieso, der ist tiefenentspannt." Er ist eben der Routinier. An der Kirche werden im Schatten auf einer Bank Socken gewechselt, haben Cremes, Pflaster und Cola Hochkonjunktur – und weiter geht’s. Osterkamp ist sich noch nicht sicher, ob er es wirklich packt. Er setzt sich deshalb dieses Etappenziel: &bdquo;Ich will es in die Nacht hinein schaffen, und das schaffe ich auch." Das wären dann 75 Kilometer. Rüther und sein Schwager wollen die 88,8 Kilometer auf jeden Fall packen – &bdquo;ich denke, es wird vier Uhr werden", sagt Rüther. 22 UHR: KILOMETER 69 Am Senner Hellweg kommt ein letztes Mal Hilfe vom Alpenverein. Der hatte mit allen Teilnehmer ein Grillfest am Alpinzentrum gefeiert, nun aber bekommen die Weitwanderer noch einmal Nachschub: Getränke und Obst. Es dämmert, Stirnlampen werden aufgesetzt, der Vollmond reicht nicht aus als Lichtquelle. 22.45 UHR: KILOMETER 72 Kurz vor dem Schopketal verzaubern Glühwürmchen die drei Männer – sie tanzen vor ihnen her, &bdquo;das war mystisch", sagt Osterkamp, der hier nun schwer leidet an Blasen und Schmerzen. &bdquo;Ohne Peter und seinen Schwager würde ich es nicht mehr weiter schaffen." 23.30 UHR: KILOMETER 74 Osterkamp hat es in die Nacht geschafft. Nun also Brake erreichen, den Wander-Wahnsinn schaffen – 88,8 Kilometer, einmal rund um Bielefeld. Als Gütersloher. 3.10 UHR: KILOMETER 88,8 Geschafft. Müde, aber glücklich in dunkler Nacht stehen Rüther, sein Schwager und Osterkamp genau dort, wo sie vor 19 Stunden gestartet sind. Rüthers Fazit ist nüchtern: &bdquo;Hat alles gut geklappt." Osterkamps ist schmerzerfüllt: &bdquo;Die letzten 30 Meter vom Zielfoto bis zum Auto waren die härtesten." 15.06 UHR, in Gütersloh Osterkamp ist unfassbar stolz auf sich – und hält die Füße schön weit weg vom Körper. Seine Frau hat eine wahrlich tolle Aufgabe an diesem Sonntagnachmittag: Blasen aufstechen. Eine nach der anderen.

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