So retten Jäger heute Rehkitze vor den Mähmaschinen

Bielefeld. Das Bett im Kornfeld oder in der Wiese mag für manche Menschen ja immer noch das Größte sein – doch für Tiere wird es zur tödlichen Gefahr, wenn Mähmaschinen über das Wild hinweg rollen. Zur Rettung der Rehkitze machten sich früher in aller Frühe vorzugsweise Jäger auf den Weg durchs hüfthohe Gras. An den Leinen führten sie ihre vierbeinigen Gefährten, die das verschlafene bis verängstigte Wild aufspürten, und in den behandschuhten Händen trugen sie Körbe mit Decken zum Abtransport der fragilen Funde. Letzteres gehört auch heute noch zur Routine der Waidmänner und ihrer Helfer – doch beim einst zeitintensiven Aufspüren der Jungtiere hilft mittlerweile Technik. Während die Suche früher auf Augenhöhe stattfand, setzen die Heger von heute auf die Luftaufklärung per Drohne samt Wärmebildkamera. Seit kurzen besitzt auch Dag Honsel die Lizenz zum Fliegen einer Drohne und gehört damit zum exklusiven Kreis derer, bei denen das Telefon stetig klingelt, wenn Bauern ihre Futter-Wiesen mähen möchten. So wie Kim André Meyer zur Müdehorst. Der Nebenerwerbs-Landwirt und seine Familie besitzen eine Schafherde, die auch im Winter vorzugsweise Heu frisst. Doch bevor die Mähmaschine die Halme mit scharfen Klingen schneidet, sollen sich alle Bewohner der Wiese in Sicherheit befinden. Der Nebel steht noch über der Senke, in der die drei Hektar große Wiese liegt. Die gerade aufgegangene Sonne verbirgt sich noch hinter den dichten Wolken, von den Gräsern tropft noch der Tau. Nur ein leichter Wind bewegt die nassen Halme – ideales Flugwetter für Dag Honsel und seine Mavic 2. Im Frühtau zur Wiese Auf dem Hof der zur Müdehorsts begrüßen sich am Samstagmorgen die in Schröttinghausen angereisten Läufer, so heißen die Mitglieder der Suchmannschaft. Zu ihr zählen auch die großen Kinder der Familie. Gemeinsam geht es zur Wiese, an der alten Backsteinbrücke trennen ich dann die Wege: Drohnenpilot Holsten und sein Navigator Christian Meyer zu Hoberge schleppen die massive schwarze Kunststoffkiste mit der fragilen Fracht auf die eine Seite des Beckendorfer Mühlbaches. Die Läufer postieren sich auf der anderen Seite am Rande der Wiese und warten auf Instruktionen per Funk. Zügig installiert Holsen das Equipment: Stativ aufstellen, Monitor einrichten, das Tablet mit den Flugdaten samt Wetter-Infos und Satelliten-Kontakt hochfahren, die Konsole mit den Joysticks für die Handsteuerung installieren, die Drohne mit einem frischen Akku versehen, den Start- und Landeplatz wählen, die vier Propeller des kleinen Fliegers ausrichten. Mehr Infografiken finden Sie bei Statista Blinkende Lichter signalisieren die Bereitschaft des Geräts zum Abheben. Auf dem Monitor erscheint eine weiße Landschaft mit schwarzen Baumkronen. Die Wärmebildkamere arbeite optimal, sagt Honsel. Je dunkler die Stellen in dem noch etwas kontrastarmen Schwarz-Weiß-Bild, desto höher die erfasste Temperatur. Morgens um fünf Uhr geben die Baumkronen in dem Landschaftsmotiv die meiste Wärme ab. Dann saust die Drohne in Sekunden surrend auf eine Höhe von rund 50 Meter. Aus der Vogelperspektive liefert sie eine Übersicht vom ersten Teil der Wiese, die sie nun kontrolliert abfliegt. &bdquo;Wir haben die Koordinaten für den Flugplan zuvor eingegeben", erklärt Honsel die grünen Linien auf dem Display des Tablets. Navigator Meyer zu Hoberge zeigt dazu das regenresistente Smartphone mit Wetterdaten wie Windgeschwindigkeit und -richtung. Unterstützung aus dem All &bdquo;Zwölf Satelliten gewähren gegenwärtig, dass die Drohne auf Kurs bleibt, neun müssen es mindestens sein", ergänzt er. Doch nicht nur die Läufer in der Wiese haben den Flug der Drohne vor Augen, auch die Flugsicherung in weiter Ferne registriere das Manöver auf ihren Rechnern. Während Meyer zu Hoberge spricht, erscheinen die Läufer als schwarze Punkte auf dem Monitor. Langsam bewegen sich die beiden Gruppen vorwärts, als am rechten Rand des Monitors ebenfalls ein weiterer schwarzer Punkt auftaucht. Ein Rehkitz? Der Navigator drückt die Funktaste und dirigiert die eine Gruppe dem Ziel entgegen. Während sich die drei Punkte langsam auf den ruhenden Punkt zubewegen, macht der plötzlich einen Satz und einen zweiten und verschwindet aus dem Bild. &bdquo;Abgesprungen", kommentieren Pilot und Navigator die Flucht des Rehs aus der Wiese. &bdquo;Abgesprungen", bestätigen die Läufer und warten auf das nächste Kommando. Viele Rehkitze seien Mitte Juni schon so groß, dass sie nicht mehr geborgen werden müssten, sondern selbstständig fortlaufen würden, erklärt Landwirt, Jäger und Hofherr Meyer zur Müdehorst. Das habe den Vorteil, dass es so auch zu keinem versehentlichen direkten Kontakt mit den Menschen kommen könne. Denn der habe zur Folge, dass die Elterntiere ihren Nachwuchs ablehnen würden. Andererseits sei es dann aber auch wichtig, dass die Felder oder Wiesen schnell gemäht würden, damit die Tiere nicht zu früh zurückkehren und sich wieder niederlassen. Wärme erinnert an Bettflucht Noch zweimal registriert die Wärmebildkamera auf der Wiese schwarze Punkte: Der eine hüpft ebenfalls davon, das nächste Jungtier verlässt nach schroffem Wecken die kuschelige Ruhestätte – und der zweite zeigt sich vor Ort als leeres Bett, dessen plattgelegene Halme noch die Wärme des Frühaufstehers gespeichert haben. Damit wäre die Wiese frei zum Mähen. Drohnenpilot Dag Honsel holt seinen Quadrokopter zurück zur Basis und lässt ihn vorsichtig landen. Denn die kleine Flugmaschine besitzt immerhin einen Wert von mehreren Tausend Euro. Die Firma Asphalt Kleemann habe die Drohne der Kreisjägerschaft gesponsort, erzählen die von der Gummistiefelspitze bis zur Mütze in passendem Olivgrün gekleideten Männer. Deren Drohnenpirsch noch zu zwei weiteren Wiesen führt, auf denen sich ebenfalls junge Rehe aufhalten könnten. Diesmal aber zeigen sich keine schwarzen Punkte, kein Wild nutze die Grünflächen als Rastplatz. Dag Holsen verstaut die Technik wieder im großen Koffer und zufrieden zeiht die Mannschaft ab.

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