Maskenpflicht in der Bielefelder Innenstadt fällt

Bielefeld. Ab kommenden Samstag, den 19. Juni wird die Maskenpflicht außerhalb der Geschäfte in der Innenstadt aufgehoben. Das hat die Stadt am Dienstagabend in einer Presseerklärung mitgeteilt. Nur einen Tag zuvor hatte das auch die Bielefelder FDP gefordert. &bdquo;Die Maskenpflicht unter freiem Himmel ist erwiesenermaßen nicht verhältnismäßig", sagte der Vorsitzende Jan Maik Schlifter. Doch ist es ander frischen Luft nun sicher? War die Maskenpflicht draußen noch sinnvoll für den Schutz gegen eine Corona-Infektion? Diese Diskussion wird seit dieser Woche auch auf Bundesebene geführt. Die Neue Westfälische hat dafür bei zwei Experten nachgefragt. Wie gering ist das Risiko in der Stadt? Das wichtigste und grundlegendste zuerst: &bdquo;Wir wissen mittlerweile, dass Corona hauptsächlich über Aerosole übertragen wird. Das sind winzige, feinst verteilte Flüssigkeitsteilchen, die beim Ausatmen entstehen", sagt Oliver Razum, Epidemiologe an der Universität Bielefeld. Diese würden von OP- und FFP2-Masken aufgehalten, weswegen sie effektiv gegen eine Corona-Infektion schützen. &bdquo;Aerosole überwinden einen Abstand von über einem Meter und bleiben für längere Zeit in der Luft. Vorausgesetzt, dass sie nicht verdrängt werden", sagt Razum. Doch genau das würde im Freien passieren. &bdquo;An der frischen Luft werden sie verdünnt und verweht", sagt Razum. Deswegen gilt: Das Infektionsrisiko draußen sei geringer als in Innenräumen. Das schreibt auch das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem Corona-Steckbrief. Aber: &bdquo;Dass die Gefahr geringer ist, heißt nicht, dass es gar keine Gefahr gibt", sagt Hans Werner Kottkamp, Chefarzt der Zentralen Notaufnahmen am Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) und Mitglied des dortigen COVID-19-Krisenstabs. &bdquo;Deswegen kommt es da auf die Schutzmaßnahmen an. Wenn ein Mundschutz nicht getragen werden kann, muss der Abstand eingehalten werden." Genau so schreibt es auch das RKI vor. Doch auch hier gibt es Unterschiede. &bdquo;Ich stecke mich wahrscheinlich nicht an, wenn ich nur für wenige Sekunden an jemandem vorbeigehe, der keine Maske trägt", sagt Epidemiologe Razum. &bdquo;Wenn ich bei Regen mit jemandem eine halbe Stunde im selben Hauseingang ohne Maske stehe, ist das Risiko natürlich höher." Ähnliche Befürchtungen hat Kottkamp bei Schlangen vor Geschäftseingängen, wo Menschen den Abstand nicht einhalten. &bdquo;Ich habe Sorge, dass wenn Menschen keine Maske mehr tragen und es zu riesigen Menschenansammlungen kommt, sich Ungeimpfte und Vorgeschädigte wie Krebserkrankte infizieren können." Gerade bei letzterer Gruppe könnte das dann auch in einem Krankenhausaufenthalt enden. Deswegen war Kottkamp erleichtert, als die Stadt Bielefeld die Maskenpflicht in der Innenstadt vorerst verlängert hatte. Extremfälle an Fronleichnam Solche größeren Menschensammlungen gab es in Bielefeld zum Beispiel vor anderthalb Wochen. In den Feiertagen um Fronleichnam herum kam es zu einem wahren Ansturm auf die Innenstadt. Der Frequenzdatenanbieter Hystreet maß damals stellenweise fast doppelt so viele Passanten in der Innentstadt wie normal. Auch am vergangenen, sonnigen Samstag zählte Hystreet wieder merkbar mehr Passanten als im normalen Durchschnittsbetrieb der Innenstadt. Auf Nachfrage der NW beim Bielefelder FDP-Chef Jan Maik Schlifter sagt er zu einer solchen Situation. &bdquo;Wenn es so eng ist, ist es okay, eine Maske zu tragen", sagt er. Dafür möchte er aber auf die Eigenverantwortung der Bürger setzen statt auf Vorschriften. Durch die generelle Maskenpflicht in der Innenstadt sah er die Glaubwürdigkeit der Maßnahmen in Gefahr. &bdquo;Wenn es eine Strafe gibt, wenn man einen Café im Gehen trinkt, versteht das keiner", sagt er. Darin sah er ein Konfliktpotenzial zwischen den Bürgern und dem Ordnungsamt. Seine Lösung für Extremsituationen wie um Fronleichnam: &bdquo;In solchen Situationen könnte man die Bürger per Lautsprecher auffordern, die Masken aufzusetzen." Die Stadt will nun trotz der Lockerung weiter für das Einhalten der Hygieneregeln werben. &bdquo;Bei aller Lockerheit sind wir der Auffassung: Wir müssen weiterhin aufeinander Acht geben, Corona ist ja nicht komplett weg", sagt Krisenstabschef Ingo Nürnberger. Die Entscheidung zur teilweisen Aufhebung der Maskenpflicht sei nicht leicht gefallen. Doch die Inzidenzwerte seien &bdquo;so weit gesunken, dass wir einen weiteren Schritt in Richtung Normalität gehen können", so Nürnberger. Der Forschungsstand &bdquo;Wir lernen natürlich immer noch dazu. Der aktuelle Stand wird nicht der letzte Stand sein", sagt Epidemiologe Razum zum Forschungsstand. Mehrere Studien gehen aktuell von dem höheren Ansteckungsrisiko in Innenräumen aus. In einem offenen Brief forderten Aerosolforscher deswegen im April den Fokus der Maßnahmen auf Corona-Schutz in Innenräumen zu legen. Was die Sache aber erschwert: Eine Ansteckung in Innenräumen ist auch leichter nachweisbar als eine Ansteckung an der freien Luft. &bdquo;Übertragungen draußen werden statistisch fast nie erfasst. Weil man meistens nicht weiß, wer einen draußen infiziert oder wo es passierte", twitterte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dazu bereits im April. Die beiden Bielefelder Experten halten diese Kritik für berechtigt. Und Chefarzt Kottkamp ergänzt: &bdquo;Zudem kommt es in der Innenstadt ja auch zu einer Durchmischung, weil sich dort nicht nur Bielefelder aufhalten." Razum gibt schließlich noch zu bedenken: &bdquo;Es ist unklar, wie sich neue Virusvarianten auf die Maskenpflicht auswirken."

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