Corona am heißesten Arbeitsplatz Bielefelds

Sennestadt. Vom Bürojob bis zu einem der heißesten Arbeitsplätze Bielefelds, an dem mit glühenden Eisen hantiert wird - die Stahlgießerei Tweer an der Krackser Straße hat eine breit gefasste Palette an Wirkungsstätten. Kristine und Reinhard Tweer kennen sie alle, inklusive der 285 Mitarbeiter, die aus aller Herren Länder stammen. Das alles sicher durch die Corona-Pandemie zu steuern, ist eine Aufgabe, der sich die Geschwister in ihren unterschiedlichen Bereichen - er als Geschäftsführer, sie im Einkauf - mit der gleichen Energie widmen, mit der sie sich anderen bisherigen Problemen gestellt haben. Aber was bedeutet Corona konkret für das Unternehmen? Vom leichten Bleistift bis zum tonnenschweren Schmelzofen Eigentlich wollte das ungleiche Duo am heutigen Tag gemeinsam 25. Dienstjubiläum feiern. Beide haben am 1. Januar 1996 ihren ersten Arbeitstag im Familienunternehmen gehabt. Kristine Tweer, heute 56, ledig, verbindet mit ihrem Bruder das Hobby Golfspielen, die Insel Föhr als Urlaubsziel und die Leidenschaft für die Hunderasse Golden Retriever. Die erfolgreiche Restaurant- und Hotelfachfrau wechselte nach 14 Jahren ohne freies Wochenende oder Feiertage in die eigene Firma nach Sennestadt. "Eigentlich nur zwei, drei Jahre. Aber nun sind 25 draus geworden." Ohne Kaufmannsausbildung, aber gut im Organisieren und im strategischen Denken, wie ihr Bruder ihr bescheinigt, stürzte sie sich in ihre neue Aufgabe im Einkauf: "Vom Bleistift bis zur großen Maschine, alles, was kommt." Dazu gehören auch (wenn auch selten) zwei Tonnen schwere und sechs Meter hohe Tiegelöfen zum Schmelzen von bis zu 1.700 Grad heißem Gusseisen. "Im nächsten Jahr sind es dann zwei neue Kräne für zusammen 450.000 Euro. Unsere sind inzwischen 40 Jahre alt." Firmenchef und Vorstand in verschiedenen Berufsverbänden Reinhard Tweer (57) sammelte nach dem Gießereikunde-Studium in Aachen fünf Jahre lang Arbeitserfahrung in anderen Gießereien, bis er vor einem Vierteljahrhundert bei Tweer anfing. Er lernte den Betrieb von der Pike auf kennen, wurde in den verschiedensten Abteilungen von der Qualitätssteuerung bis hin zum Verkauf eingesetzt. Im Jahr 2000 wurde er neben seinem Vater, Klaus-Dieter Tweer, gleichberechtigter Geschäftsführer. Inzwischen steht er allein an der Firmenspitze. Darüber hinaus engagiert er sich unter anderem als Vorsitzender des Unternehmerverbands der Metallindustrie Bielefeld - Herford - Minden, im Vorstand des Verband der Metall- und Elektroindustrie NRW und im Bundesverband der deutschen Gießerei-Industrie. Wie man das alles schafft? "Man muss sich die Zeit nehmen", sagt der Gießerei-Ingenieur, der verheiratet ist und vier erwachsene Kinder hat. "Das bringt was für die Firma und auch für einen selbst." Sein Arbeitstag beginnt um 6 Uhr und endet gegen 17.30 Uhr. Durch Corona Produktionsminus von 25 Prozent Die vergangenen 25 Jahren waren für Reinhard Tweer voll mit "schönen Erlebnissen und Familiengeschichten". Aber auch so manche Krise habe es gegeben. Eine gute Hilfe sei stets gewesen, wie sein Vater "das Unternehmen die ganzen Jahre geführt und in finanziell vernünftiges Fahrwasser gebracht hat", Bodenständigkeit, Verständnis und Menschlichkeit des Seniors. Diese Haltung helfe nun auch durch die Coronakrise. Die hat zu einem Produktionsminus von rund 25 Prozent geführt. "Viele unserer Abnehmer mussten ihre eigene Produktion schließen", so Tweer. Damit brachen ganze Absatzmärkte für die Gießerei weg, die ihre Stahlguss-Teile etwa an den Maschinen-, Landmaschinen- und Werkzeugbau liefert. Tausende vom Masken bestellt Zu Beginn der Coronakrise im März reagierten die Geschwister sofort: Alle Mitarbeiter, die konnten und wollten, wurden ins Homeoffice geschickt. Die Einrichtung von Einzelarbeitsplätzen und Plexiglas-Trennscheiben waren weitere Maßnahmen. Dazu kam die Anschaffung von Desinfektionsmittel und Masken. "Ich habe sofort Tausende bestellt", erinnert sich Kristine Tweer. Durch Aushänge, Ansprachen, via Abteilungsleiter und im persönlichen Gespräch wurden die AHA-Regeln durchgesetzt - Abstand halten, Hände waschen, Alltags- oder auch FFP-2-Maske, zudem das Vermeiden von direkten Kontakten. Reinhard Tweer: "Das geht, auch in der Produktion. Und die Mitarbeiter machen toll mit." Gutes Betriebsklima hilft in der Krise Corona im Betrieb ist bei Tweer so kein Thema, das für große Probleme sorgt. Wenn es auch hier einzelne Mitarbeiter gibt, die sich bei privaten Feiern anstecken und in Quarantäne müssen. "Ein gutes Betriebsklima hilft sicherlich auch und überzeugt mehr, als wenn der Chef als Feindbild durch die Gegend läuft", meint Tweer, der selbst auf dem gesamten Betriebsgelände - mit Ausnahme seines Büros - mit Maske unterwegs ist. In anderen Gießereien, das weiß er von seinen vielen Ämtern, sieht es deutlich anders aus. "Da fallen ganze Schichten aus". Harsche Kritik an politischen Entscheidungen Von der Politik hätte sich der Gießerei-Chef mehr Mut und ein deutlich konsequenteres Vorgehen schon im Sommer gewünscht. "Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Politik ihren Weitblick verloren hat." Deshalb und aufgrund der Sorglosigkeit einer Minderheit müsse das nun die ganze Bevölkerung ausbaden, besonders Gastronomen, Hoteliers oder Fitnessstudios, die alle viel Geld für Hygienekonzepte ausgegeben hätten. Wirtschaftliche Erholung wird noch lange dauern Die Stahlgießerei macht bis zum 4. Januar den gewohnten 14-tägigen Betriebsurlaub. Und dann? "Die Auswirkungen des zweiten Lockdowns werden wir im Januar/Februar sehen", meint der Firmenchef nüchtern. Eine wirtschaftliche Erholung für die Gießerei-Industrie erwartet er "vermutlich erst für das zweite Halbjahr 2022".

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