Bielefelder Fitness-Studios kämpfen sich kreativ durch den Lockdown

Bielefeld. Es brodelt in der Branche: Den ersten Lockdown im März und April nahmen die meisten Freunde kommerzieller Fitness-Studios noch sportlich. Besitzer wie Besucher. Die einen übten verständnisvoll Verzicht und die anderen investierten in ein Corona-konformes Trainingsangebot. Beide leisteten damit ihren Beitrag im Kampf gegen die Pandemie und freuten sich auf den Neuanfang unter besonderen Bedingungen. Bloß währte der nicht lang, und der zweite unverhoffte Ladenschluss innerhalb eines Jahres bedeutet für die meisten Unternehmen mittlerweile eine existenzielle Bedrohung. Denn neben den großen Fitness-Ketten wie McFit oder Fitness First, die Studios in der ganzen Republik und über Europa verteilt betreiben, lebt der Mittelstand von den Inhaber geführten Gesundheits-Tempeln. So ein Haus der Vielfalt führt Frank Stahnke seit 25 Jahren in Brake. Das Allsports im Norden der Stadt gilt als Hochburg für Kurse, und die reichen vom gepflegten Reha-Sport bis zum Schweiß treibenden HIT-Training. Vor Corona platzte die Bude an manchen Tagen aus allen Nähten - seit Corona regeln Sauerstoff-Messgeräte die Stoßlüftung, erhält jeder Gast seine persönliche Desinfektionspulle und über eine hauseigene App noch die Info, wann die nächsten Trainings-Termine frei sind. Fitness an frischer Luft Stahnke sah viele Fitness-Trends kommen und gehen, sowie etliche Mitbewerber am Markt auftauchen und wieder verschwinden und wusste immer eine Antwort auf die Fragen der Zeit. So auch jetzt: "Die ganze Branche wird sich stark verändern, ein Training wie früher wird es so nie wieder geben", sagt er und schraubt munter am Gerüst für die Zukunft. Das steht im Atrium seiner Anlage und soll zur Krönung demnächst noch ein Dach bekommen: Schlingen-Training an der frischen Luft inklusive Abstand - eigentlich eine optimale Corona-Outdoor-Variante. Gegenwärtig aber in der Gruppe trotzdem verboten. Nur der Personal-Trainer dürfe seinem Kunden auf der Wiese oder im Walde voraus oder hinterherlaufen - das sei noch gestattet, so Stahnke, dessen Frau das distanzierte 1-zu-1-Training in Wald und Wiese weiter anbietet. (UPDATE 14.12.: Anders als zuvor formuliert, dürfen Personal-Trainer im Freien weiterhin einen Kunden oder auch zwei aus demselben Hausstand trainieren - wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen. Ob dieser Trainings-Modus mit dem Beginn des harten Lockdowns am Mittwoch 16. Dezember weiterhin gilt, werden wir an dieser Stelle berichten. UPDATE zum UPDATE: Die ursprüngliche Version passte doch - laut der geltenden Corona-schutz-Verordnung ist aus Persona-Training draußen in der Natur untersagt. Und drinnen sowieso.) Der zweite Lockdown traf die Fitness-Welt voll auf dem falschen Fuß. Hofften nach der Wiedereröffnung eigentlich alle, endlich als Teil der Lösung begriffen zu werden, stärkt regelmäßiger Sport doch nachweislich die Abwehrkräfte, so erklärte eine Studie der renommierten amerikanischen Stanford-Universität die Fitness-Freaks zu mutmaßlichen Super-Spreadern und damit zu einem wesentlichen Teil des Problems. Als die Politik die vermeintlichen Erkenntnisse aufgriff, begehrte die Branche auf: Der Deutsche Sportstudio Verband (DSSV) sowie der Deutsche Industrieverband für Fitness und Gesundheit (DIFG) rückten die Ergebnisse der Studie ins rechte Licht der RKI-Zahlen, wonach Studios eben keine erhöhten Infektionsraten produzieren und verwiesen ihrerseits auf eine europäische Arbeit. Die Meta-Studie aus Madrid und Sheffield kommt dabei zu einem ganz anderen Resultat: Da stehen 62 Millionen Studio-Besuchen exakt 487 positive Covid-Fälle gegenüber. #gesundheitbrauchtfitness Einmal in Fahrt gekommen, ging die DIFG noch einen Schritt weiter, gab ein eigenes Gutachten in Auftrag an der TU München. Dr. Henning Wackerhage beschäftigte sich mit den Fragen, ob die Schließung der Sportstudios angesichts der Datenlage verhältnismäßig gewesen sei und auch alternativlos. Dazu der Inhaber des Lehrstuhls für Sportbiologie: "Zusammenfassend ist fraglich, ob die derzeitige Schließung von Fitness-Studios verhältnismäßig ist, denn es gibt keine Evidenz dafür, dass Fitness-Studios in Deutschland signifikant mit zum SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen beigetragen haben. Zudem gibt es eine Alternative zu einer binären "Auf-Zu"-Entscheidung, und die ist die Anpassung des Infektionsschutzes an das Infektionsrisiko." So wäre es denkbar, dass Fitness-Studios zum Beispiel dann geschlossen würden, wenn die Intensivstationen in der Region als Folge einer Gesundheitskatastrophe aufgrund von Covid-19 überlastet wären. Weil das akademische Kräftemessen bisher aber nur eine homöopathische Wirkung zeigte, legten die Lobbyisten noch einmal nach im Namen der Kernkompetenz: Unter dem Hashtag #gesundheitbrauchtfitness starteten die Verbände und ihre Verbündeten eine Petition mit dem Ziel, Bundeskanzlerin Angela Merkel möglichst schnell an die 250.000 Unterschriften überreichen zu können. Am Montag um 9 Uhr gingen die ersten Unterschriften ein, am Sonntag näherte sich die Aktion der 85.000er-Marke. Etliche Signaturen kamen auch aus Bielefeld, darunter die von Max Stötz und Lukas Goerg Horzela. Dem Duo gehören die Xtrasports-Studios in Senne und an der Herforder Straße, sowie eine Dependance in Paderborn. Warten auf die Novemberhilfe Die Studienfreunde sind seit zehn Jahren im Fitness-Geschäft aktiv. In beiden Häusern haben sie selbst Hand angelegt beim Konzipieren, Renovieren und Ausstaffieren der ehemaligen Fabriketagen, sprechen von ihrem "Lebenswerk". Und jetzt müssen sie tagein, tagaus rechnen, wie sie es am Leben halten. Die Fixkosten wie Mieten und Leasingraten für die Geräte sind hoch und die vom Bund avisierte 75-prozentige Novemberhilfe in Relation zu den Umsätzen des Vorjahresmonats noch so fern. Mit der anteiligen Auszahlung könne man erst im Januar rechnen, sagen sie. Immerhin könnte es dann einen Abschlag von maximal 50.000 Euro statt der anfangs avisierten 10.000 Euro geben. Der Januar. Eigentlich der Monat für die Akquise von neuen Kunden. Und die sind dringend nötig. Denn trotz einer relativ hohen Loyalität der Mitglieder, wie der DSSV mitteilte, betrug der Rückgang durch Vertragskündigungen über 15 Prozent - bezogen nur auf den ersten Lockdown. Trainierten Ende 2019 rund 11,66 Millionen Mitglieder in den verschiedensten Clubs, so sank die Zahl bis zum November 2020 bereits auf 9,83 Millionen. Stahnke, Störk und Horzela kennen nicht jeden ihrer Kunden persönlich, führten in den vergangenen Monaten aber auch viele Gespräche, in denen Mitglieder um Stilllegung oder Auflösung des Vertrages baten, weil sie plötzlich von Kurzarbeit oder Jobverlust betroffen waren. Kurse im Livestream, Tutorials auf Youtube-Kanälen, persönliche Fitness-Mails und immer wieder kleine Challenges, die Kunden wie Mitarbeiter bei Laune halten - die einstige Boom-Branche kämpft sich kreativ in der Krise. Ob es reicht, liegt auch an der Entwicklung der Fallzahlen. Und die wirken gegenwärtig wie ein unendlicher Muskelkater.

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