Bielefeld Bielefelder Mikrobiologe erklärt: "Ein Virus will seinen Wirt nicht töten"

Herr Kalinowski, als Mikrobiologe beschäftigen Sie sich mit Viren und Bakterien, auch mit Coronaviren?Jörn Kalinowski: Ja, die haben wir hier, und zwar das genetische Material, das nach positiven Tests übrig geblieben ist. Was machen Sie damit?Kalinowski: Wir schauen uns die Genetik an, um unter anderem Infektionsketten zu identifizieren. Das können wir an den Mutationsmustern sehen. Das Virus erzeugt ab und zu Abweichung bei der Erbinformation, wenn es sich vermehrt. Bisher haben wir etwa 20 Unterschiede in den Genomsequenzen feststellen können, ausgehend von dem Virus der Anfangszeit aus China. An der veränderten Genetik lässt sich rekonstruieren, wo sie herkommen, welchen Weg sie hinter sich haben und wo mögliche Hotspots sein könnten. Warum verändern sich Viren überhaupt?Kalinowski: Ein Virus braucht einen Wirt, in dem es existieren kann. Man kann es sich in etwa wie eine Software vorstellen. Wir sind der Computer, das Virus ist die Software. Das Virus will sich verbreiten und macht bei seiner Vermehrung Veränderungen durch, damit es nicht immer sofort erkannt wird. Es würde aussterben, wenn es sich nicht verändern könnte. Denn dann würde es vom Immunsystem des Wirtes zu schnell getilgt werden. »Die Verbreitung von Viren ist dosisabhängig« Was ist ein Virus überhaupt? Doch nicht ein Lebewesen, oder?Kalinowski: Nein, das würde ich nicht sagen. Ein Virus hat zwar viele Funktionen, die lebende Zellen auch haben, aber eben nicht alles. Es ist im Vergleich klein und kompakt mit reduzierten Funktionen. Dafür ist es schnell in seiner Verbreitung. Das Coronavirus Sars-Cov2 etwa hat 30.000 genetische Bausteine. Wir Menschen haben drei Milliarden. Bakterien liegen irgendwo dazwischen. Viren können sich gut verstecken in Zellen, sodass Antikörper sie nicht finden können. Die Welt ist voller Viren und Bakterien. Wir atmen Millionen stündlich davon ein. Wo ist das Problem?Kalinowski: Wir sind umgeben von Mikrobiologie, Bakterien und Viren und Bakterien, die selbst Viren haben. Diese Mikrobiologie ist fast immer harmlos. Wir kommen für sie als Wirt nicht in Frage. Speziell Viren müssen sehr viele Hindernisse wie Antikörper und Fresszellen überwinden, um sich überhaupt auf einer Schleimhaut niederlassen zu können. Ein einziges Virus allein schafft das nie. Bei der Verbreitung kommt es auf die Menge an. So ist es auch bei Corona. Es muss eine bestimmte Menge an Viren vorhanden sein, um einen Wirt infizieren zu können. Seine Verbreitung ist dosisabhängig. Aber wir brauchen die uns umgebende Mikrobiologie für unsere Gesundheit, richtig?Kalinowski: Absolut. Wir haben mehr Bakterien auf uns und in uns als wir menschliche Zellen haben. Allein die Darmbakterien machen mehrere Kilogramm aus. Ein Mensch könnte ohne sie nicht überleben. Bakterien bilden auch den Säureschutzmantel der Haut. Nur wenn sie an eine falsche Stelle im Körper gelangen, machen sie Probleme. Was bedeuten Bakterien und Viren für die Immunabwehr?Kalinowski: Ein Immunsystem muss stimuliert werden, damit es sich ausbilden kann. Es ist extrem abhängig von Bakterien. So gibt es eine gegenseitige Reizung mit den Darmbakterien. Das ist sehr wichtig für das Ökosystem Mensch. Man weiß inzwischen, dass sehr viele neurologische Erkrankungen gut korrespondieren mit dem Darmmikrobiom. Bakterien spielen also eine sehr wichtige Rolle für unsere Gesundheit. Viren, die uns Probleme bereiten können, verschwinden auch wieder. Sterben sie?Kalinowski: Das passiert. Was wir bei Sars-Cov2 sehen, ist, dass es Infektionsketten gibt, die ausgelöscht wurden. Das passiert dann, wenn die Infizierten frühzeitig isoliert werden können. Wir haben bei HIV auch gesehen, dass ihre ersten Varianten sehr aggressiv waren und ihr Wirt deshalb gestorben ist. Das ist aber nicht im Interesse des Virus. So sind die HI-Viren milder geworden. Sie sind mutiert zu einem Virus, das sich schneller verbreitet, aber harmloser ist. Auch Corona will nicht töten?Kalinowski: Exakt. Denn mit dem sterbenden Wirt stirbt es ja auch aus. Könnte es sich schnell zu einer harmloseren Variante mutieren?Kalinowski: Es mutiert zwar, aber man muss trotzdem dabei von längeren Zeiträumen ausgehen. Ein Grippevirus mutiert schneller. Genau wissen wir es aber noch nicht, weil die exakte Pathologie des Virus noch unbekannt ist. Es gibt viele Phänomene und Gewebe, die befallen sein können. Es sieht so aus, also ob dieses Virus sich mit dem Wirt Mensch noch nicht geeinigt hat. Was meinen Sie mit Einigung?Kalinowski: Eine solche gibt es beispielsweise zwischen dem Menschen und dem Herpesvirus. Das finden wir in fast allen Menschen, es macht aber eher selten Probleme. Nur in Fällen einer besonderen Schwächung gibt es etwa Bläschen an den Lippen. Louis Pasteur, der berühmte französische Mikrobiologe, hat gesagt: &bdquo;Der Erreger ist nichts, das Milieu ist alles". Hatte er recht?Kalinowski: Das ist richtig, aber es ist dennoch völlig unmöglich vorauszusehen, wie ein Mensch auf ein Virus reagiert. Nehmen wir die Corona-Toten in Deutschland: Es gibt Statistiker, die sich wundern, wie vergleichsweise wenig Menschen hier gestorben sind. Gibt es etwas in Mitteleuropa, was die Menschen gut vorbereitet hat auf Corona? Zurzeit wird unter anderem der Tuberkulose-Impfstoff damit in Verbindung gebracht. Es könnte sein, dass er eine bestimmte Stufe des Immunsystem einschaltet, die eine stärkere Barriere gegen Corona bildet. Es gab vor zehn Jahren die Schweinegrippe, die als gefährlich eingestuft wurde von Virologen, es am Ende aber nicht wirklich war.Kalinowski: Sie war überraschend mild, weil in den 1950er und 1960er Jahren schon mal eine Schweinegrippe grassierte. Deswegen war die Risikogruppe der Älteren gut geschützt. Man hatte im Guten daneben gelegen. Mild verläuft auch Corona bei 80 Prozent der Infizierten, die meisten zeigen gar keine Symptome. Ist es da richtig, von Infizierten zu sprechen?Kalinowski: Wenn das Virus bei mir feststellbar ist, kann ich potenziell jemanden infizieren. Weil Leute mit Symptomen aber infektiöser sind als die ohne, finde ich den Vorschlag von zwei Tests innerhalb von fünf Tagen richtig. Bemerkt man beim zweiten Test einen Anstieg, dann ist er wirklich infiziert; wenn die Werte abfallen, kann der Getestete als nichtinfektiös klassifiziert werden und wieder am Leben teilnehmen. Das wäre ein Kompromiss. Was ist mit der letztendlichen Todesursache von Coronainfizierten? Dazu gibt es immer wieder Diskussionen.Kalinowski: Interessanterweise ist das finale Todesurteil bei Covid-Patienten oft eine bakterielle Sepsis, also der Fall, wenn schädliche Bakterien über das Blut in den ganzen Körper gelangen. Wenn diese Erreger dann auch antibiotikaresistent sind, scheitert das System Mensch. Das hat viel mit der falschen Verabreichung von Antibiotika zu tun, die resistente Bakterien erzeugen. In Italien und Spanien ist das unter anderem passiert, als die Intensivstationen überlastet waren. Dort hatten die Corona-Patienten ein überlastetes Immunsystem, die Sepsis kam final hinzu. Überhaupt: Viel mehr Menschen sterben an Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen als an Corona. »Finales Todesurteil der ist oft eine bakterielle Sepsis« Antibiotika geraten immer wieder in die Kritik, werden aber zugleich fast inflationär verschrieben. Wie kann das sein?Kalinowski: Antibiotika sind Wundermittel, aber muss sehr stark aufpassen, wie man sie verwendet. Hoffen Sie auf einen baldigen Impfstoff gegen Corona?Kalinowski: Ja. Aber Impfstoffe werden normalerweise mindestens fünf Jahre getestet. Wie soll das jetzt so schnell gehen?Kalinowski: Es stimmt, normalerweise gibt es drei Testphasen. Sie können in Ausnahmefällen aber verkürzt werden. Ist das nicht ein Risiko?Kalinowski: Ich schätze das Risiko in diesem Fall als recht gering ein, etwa so gering wie eine zweite Infektion. Die gibt es, sind aber extrem selten. Kommt ein Impfstoff noch 2021 in ausreichender Menge?Kalinowski: Es sieht so aus, wenn ich die Fachliteratur lese. Und bei Corona reicht es aus, etwa zwei Drittel der Bevölkerung zu impfen. Dann könnte dieses Virus verschwinden.

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