Bielefelds Umweltdezernentin bittet um Entlassung - und verdient höchsten Respekt

Bielefeld. Stehender Applaus für eine besondere, bewegende Rede am Donnerstagabend im Rat. Den hatte Umweltdezernentin Anja Ritschel um ihre Entlassung gebeten. Damit gibt sie ihren gut bezahlten Traumjob auf, verzichtet auf ihre Beamtenpension. &bdquo;Aber ich bin davon überzeugt, dass die Entscheidung richtig ist – für mich und für Bielefeld", sagt die 54-Jährige. Mit fester Stimme, aber doch schweren Herzens, das ist ihr anzumerken. Diagnose: Ein schwerer Hirntumor Seit einem Jahr ist Ritschel beurlaubt, um ihren schwerkranken Ehemann (58) zu pflegen. &bdquo;Im Juni vergangenen Jahres kam er notfallmäßig ins Krankenhaus", berichtet Ritschel, die mehr als zwölf Jahre Beigeordnete für Umwelt- und Klimaschutz, Feuerwehr, Ordnung und Gesundheit war, seit 2016 zudem als Erste Beigeordnete die allgemeine Vertreterin des Oberbürgermeisters. Die Diagnose: Ein schwerer Hirntumor, für den es bis zum jetzigen Stand der Wissenschaft keine Heilung gibt. Die Lebenserwartung: einige Monate. &bdquo;Bevor die Behandlung im Klinikum Bethel beginnen konnte, entwickelte die Krankheit einen Schub, brachte weitere Einschränkungen für meinen Partner mit sich", berichtet Ritschel. Sie holte ihn von Hannover nach Bielefeld, pflegte ihn hier in ihrer &bdquo;zufällig barrierefreien Wohnung". &bdquo;Ende Januar haben wir uns gemeinsam entschlossen, ins Hospiz ,Haus Zuversicht zu wechseln." Ihre Kontakte in der Stadt, wie zum Palliativnetzwerk, hätten ihr in der schweren Zeit sehr geholfen. &bdquo;Plötzlich ist vieles anders" &bdquo;Plötzlich ist vieles anders, man weiß gar nicht, worum man sich zuerst kümmern soll", sagt die studierte Landschaftspflegerin, die 2008 nach Bielefeld gekommen ist. &bdquo;Es war ein Traumjob, das gebe ich zu", sagt Ritschel. Die Themenvielfalt – eben nicht nur Umwelt, sondern auch Gesundheit, Ordnung, Feuerwehr – sei einfach spannend, man könne so viel bewegen. Die Sanierung und Offenlegung der Lutter, Biodiversität, die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes, das Naturschutzgebiet Johannisbachaue, die Rettung der Mufflons, die Leitung des Krisenstabs bei der Flüchtlingskrise 2015: Ritschel habe viele Projekte – oft über Jahre – sehr engagiert, stets mit überlegter, abwägender, Art und ihrem Wissen vorangetrieben, würdigte Oberbürgermeister Pit Clausen ihre Arbeit. Ihr Mann, mit dem sie seit über 30 Jahren zusammen ist, habe ihr immer den Rücken gestärkt. &bdquo;Wir haben eine sehr enge Beziehung", sagt Ritschel. Das habe sich in der Coronazeit noch intensiviert. Keine Frage, dass sie &bdquo;die noch ausstehende Etappe seines Lebensweges" gemeinsam mit ihm gehen, die wertvolle Zeit so gut es geht mit ihm verbringen möchte. An guten Tagen gehören auch Spaziergänge im Wald mit Rollstuhl dazu. Kraft und Halt geben ihr enge Freunde. Was am Ende wichtig ist Was am Ende wichtig ist, das sei im Hospiz die Frage. Auch Bielefeld mitzugestalten hin zu einer noch lebenswerteren, klimabewussten und nachhaltigeren Großstadt, sei auf jeden Fall eine wichtige Aufgabe. &bdquo;Aber der Posten als Umweltdezernentin ist zu intensiv, als dass ich aktuell beides bewältigen kann", sagt Ritschel. Rechtlich-formal wäre eine weitere Verlängerung der Beurlaubung kein Problem gewesen. Das sei ihr auch von allen Seiten signalisiert worden. Aber für sie persönlich sei das keine Lösung. Denn – und das sei sehr ausschlaggebend für ihre Entscheidung: &bdquo;Ich kann einfach nicht verlässlich sagen, wann ich wieder ins Rathaus zurückkehren würde." So sei der Weg frei für jemand anderen. Und auch ihr Kopf etwas freier in dieser besonderen Lebensphase. Der Rat entsprach einstimmig Ritschels Wunsch auf Entlassung. Und zollte ihr hohe Anerkennung und Respekt. Das Dienstverhältnis endet offiziell zum 31. Oktober.

Meistgelesen