Bielefelder erlebt bei Olympia in Seoul seine absolute Glücksstunde

Bielefeld. Was dem Fußballer sein Torpfiff ist, ist dem Tennisspieler sein Matchball ins Eck. Des Schwimmers Anschlag als Erster ist des Basketballers Sieges-Dreier mit der Schluss-Sirene. Bei Radfahrern gilt gemeinhin der Tigersprung über den Zielstrich als emotionalster Moment. Beim Bielefelder Frank Weber ist das anders. Er erlebte seinen sportlichen Höhepunkt zu Fuß. Gemessenen Schrittes und ganz in Ruhe. Überflutet von Eindrücken. Den Weg dorthin hat Vater Dieter mit der Akribie eines Bibliothekars dokumentiert, in zwei Ordnern im XXL-Format. &bdquo;Teil 2" steht auf der kiloschweren Kladde in Zeitungsgröße. Frank Weber hat ihn hervorgekramt. Die Suche nach dem Dokument des emotionalsten Momentes seiner Karriere dauert etwas länger. Schließlich will jede Seite mal wieder bedacht werden. &bdquo;Friedrich Bohnenkamp hat mal eine Reportage geschrieben, wie er auf dem Tandem hinter mir saß", sagt Frank Weber. &bdquo;Die muss hier irgendwo . . . ich hab sie gleich . . ." Doch journalistische Glanztaten müssen für den Moment zurückstehen. Es geht um sportliche. Der Ordner fängt mit einem Weltmeister-Titel an. "Bielefeld: Rad-Star Weber Weltmeister" Die Bild-Zeitung nahm Frank Weber am 31. August 1984 sogar auf die Titelseite: &bdquo;Bielefeld: Rad-Star Weber Weltmeister" (Direkt darunter: &bdquo;Geiselgangster: Na klar, einer hatte Hafturlaub" und: &bdquo;Dali brannte im Bett".) Dabei war der Weltmeistertitel im Tandemfahren mit Jürgen Greil für Frank Weber nur so etwas wie der Beginn der Anfahrt auf seinen emotionalsten Moment: &bdquo;Ich habe von 1984 bis 1988 alles dafür gegeben, bei Olympia in Seoul dabei zu sein." Dem völlig überraschenden WM-Triumph Webers im Alter von nur 21 Jahren folgte zunächst 1985 Platz drei bei der WM mit Ersatzmann Sascha Wallscheid, 1986 der Deutsche Meistertitel im Tandem und Platz zwei im Sprint, 1987 heimste er die nationalen Titel in beiden Kategorien ein. Bei der anschießenden WM in Wien wurde Weber &bdquo;als klarer Favorit", so der Bielefelder heute, disqualifiziert: &bdquo;Ich soll mit dem Hinterrad die Zeitschiene auf der Bahn verpasst haben. Nur mit dem Hinterrad! Das soll mir mal einer erklären, wie das funktioniert." Dem Tiefschlag folgte der Höhepunkt. Der Einmarsch wird angeführt von Dressurreiter-Legende Dr. Reiner Klimke Am 17. September 1988 stellte sich Weber artig in die Schlange der rund 8.000 Athleten bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele von Seoul. Angeführt von Dressurreiter-Legende Dr. Reiner Klimke (ohne Ahlerich) als Fahnenträger schritt Weber mit den BRD-Athleten für die &bdquo;Federal Republic of Germany" ins Olympiastadion ein. "Wir mussten stundenlang draußen vor dem Stadion stehen, aber das wir mir völlig egal. Ich musste schließlich erst eine knappe Woche später zum Sprint-Rennen antreten. Der Einmarsch war dann der Wahnsinn. 100.000 Menschen jubeln einem zu, so etwa ist mit einem Titelgewinn nicht zu vergleichen", sagt Weber heute. Wer von den bundesdeutschen Olympia-Stars neben ihm einmarschierte? &bdquo;Das weiß ich nicht mehr! Dafür hatte ich keine Augen und keinen Sinn. Nur für den Einmarsch." Die ganzen zwei Wochen von Seoul sind für Weber vollgepackt mit Emotionen und Geschichten: &bdquo;Ich habe ein paar mal mit Steffi Graf gefrühstückt – und mit Gabriela Sabatini. Den Ruderer Peter-Michael Kolbe, Jürgen Klinsmann und die Fußballer, den Schwimmer Michael Groß – alle habe ich getroffen." Auch Eintrittskarten für die ganz großen Ereignisse habe er problemlos bekommen: &bdquo;Den 100-Meter-Sprint mit dem Duell Carl Lewis gegen Ben Johnson, Florence Griffith-Joyners Sprintgold und die drei Fehlstarts von Zehnkämpfer Jürgen Hingsen – alles gesehen." Für das damalige Nationale Olympische Komitee Deutschlands unter Präsident Willi Daume habe &bdquo;Geld keine Rolle gespielt", so Weber. Wenn die bayerischen Athleten jammerten, weil es in Seoul kein Weißbier gab, &bdquo;kamen mit dem nächsten Flieger ein paar Kisten an". Nur selber Radfahren musste Weber noch. "Das Halbfinale ist möglich - wenn ich nicht vorher auf Heßlich treffe" Vor seinem Wettkampf als einzigem nominierten Bahnsprinter sagte er vor den Spielen: &bdquo;Ich will gut und erfolgreich fahren. Wenn ich nicht im Viertelfinale auf Lutz Heßlich treffe, ist das Erreichen des Halbfinales durchaus möglich." Lutz Heßlich aus der DDR war die Nummer eins der Welt, galt als unbesiegbar. Und natürlich traf Weber im Viertelfinale auf Heßlich. Weber verlor, wurde am Schluss Siebter. Als Heßlich nach der üblichen Taktiererei um den besseren Platz schließlich vor Weber über die Ziellinie schoss, etwa mit Tempo 72, war der sportliche Teil von Webers Olympiatraum ausgeträumt. &bdquo;Im Nachhinein bin ich aber stolz auf das, was ich erreicht habe. Ich musste schließlich den Bund Deutscher Radfahrer sportlich davon überzeugen, überhaupt einen Bahnsprinter nach Seoul zu schicken. Und das habe ich geschafft." Heßlich wurde, natürlich, Olympiasieger. Den Tag des Einmarsches ins Olympiastadion konnte er Weber damit aber nicht nehmen.

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