Wilde Party, Saufen, Polizeieinsätze – eine Nacht im "Kunsti"

Bielefeld. Der Kunsthallenpark ist am Samstag um 21.30 Uhr bereits gut besucht. Etwa 150 Feierwillige haben sich in dem Park, den viele der jungen Leute kurz und liebevoll &bdquo;Kunsti" nennen, verteilt. Es ist ein wenig wie auf jedem Schulhof. Die Großen und Coolen haben die Bänke besetzt, die Netten sitzen auf der Wiese, die Verliebten ziehen sich zurück und dann gibt es auch hier und da eine Raucherecke. Anders als auf dem Schulhof sind hier die laute Musik und der üppig fließende Alkohol. Die Stimmung ist fröhlich bis euphorisch. 21.32 Uhr: Plötzlich ist an der Kunsthallenmauer zur Artur-Ladebeck-Straße Geschrei zu vernehmen. Ein halbes Dutzend Jugendliche rast quer über die Wiese, etwa 20 junge Männer hetzen hinter ihnen her, weitere 20 Personen – darunter juchzende Mädchen und feixende Jungen folgen. Es geht zu einem nahegelegenen Pizza-Restaurant. Die Flüchtigen scheinen im Restaurant Zuflucht gesucht zu haben. Ein Mitarbeiter drängt die zahlreichen Halbstarken aus der Tür. Schließlich ziehen die 40 Verfolger wütend um das Gebäude. 21.40 Uhr: Drei Streifenwagen der Polizei erscheinen mit Martinshorn und Blaulicht. Im Nu ist die etwa 40-köpfige Gruppe zerstreut in alle Richtungen. Der Grund für die Hetzjagd bleibt unklar. Täter werden nicht gefasst. Die sechs jungen Leute werden unter Polizeischutz zu ihrem Parkhaus geleitet. "Polizei ist hier leider schon alltäglich" Ein Mitarbeiter berichtet: &bdquo;Das ist hier leider schon alltäglich." Zwei bis drei Polizeieinsätze seien im Park die Regel. &bdquo;Meist aber fängt es erst nach 23 Uhr an, wenn wir im Restaurant schon aufräumen." Heute gab’s aber schon Stress um 21.30 Uhr. 21.50 Uhr: Die Streifenwagen drehen alle noch mal eine Runde durch den Kunsthallenpark – auch über die Wiese. Mit ihren beweglichen Scheinwerfern leuchten die Beamten in die Gruppen. Danach verschwindet die Polizei und damit auch die angespannte Situation im Park. Ein Anwohner kommt vorbei und will nach Hause: &bdquo;Diese Halbstarken sind jetzt schon sternhagelvoll und es wird dann immer schlimmer." Was ihn nerve, sei der enorme Lärm durch die Musikboxen. Bei offenem Fenster schlafen nur noch die wenigsten seiner Nachbarn. &bdquo;Und dann sind da noch die vielen Scherben – vor allem die zerschlagenen Wodkaflaschen." Handys, Boxen und Stromnachschub stehen hoch im Kurs 22.10 Uhr: Die Stimmung der Parkbesucher ist fröhlich. Die Einen hören Musik, andere palavern, fast alle trinken. Es wird gelacht. Die Stimmung ist nicht aggressiv. Die Parkbänke vor dem Ratsgymnasium sind offenbar die DJ-Hotspots. Musikalischer Sieger ist heute eindeutig eine Gruppe, die sich um eine dieser Bänke platziert hat. Sie haben eine stattliche Lautsprecherbox dabei, flackerndes Discolicht unterstützt die laut schallende Hip-Hop-Musik. Zwei Bänke weiter ist die Musik etwas chilliger. 22.12 Uhr: Eine schick gestylte junge Frau fragt die coolen Jungs an der Nebenbank: &bdquo;Hey Leute, habt ihr eine Powerbank?" Handys, Musikabspielgeräte und Boxen sind hier ein Statussymbol. Stromnachschub entsprechend hoch im Kurs. Klar, dass teure Geräte Begehrlichkeiten auch bei denen wecken, für die der Begriff Eigentum ein Fremdwort ist. Vor einer Woche hat eine zehnköpfige Gruppe drei Jugendlichen einen 200-Euro-Lautsprecher unter Schlägen abgenommen. 22.20 Uhr: Ein Streifenwagen erscheint wieder auf dem &bdquo;Party-Schulhof". Der Wagen dreht zwei Runden. Einige Männer johlen. Dann wenden die Beamten. "Unter den Fenstern diskutieren fünf schicke Mädels mit einem Typen" 22.25 Uhr: In einem Hauseingang sitzen fünf schick aufgemotzte Mädels und ein junger Mann weit entfernt von der trubeligen Wiese. Für die Bewohner der Wohnungen oben drüber dürften die Gespräche dennoch gut wahrzunehmen sein. Da hört man Gegröle aus der anderen Ecke des Parks. 22:35 Uhr: Ein starker Typ zeigt, was er kann: Er macht Liegestütze an einer der Bänke, ein offensichtlich beeindrucktes Mädchen legt sich auf seinen Rücken. Sie johlt. Zwei Bänke weiter liegt der süßliche Geruch von Cannabis in der Luft. 22:55 Uhr: Diese Nacht ist kühler als die vorangegangenen Sommerabende. Viele Gruppen dünnen bereits aus. Auch die große Lautsprecherbox wechselt eine Sitzbank weiter. Ein Typ zieht sie wie einen Rollkoffer hinter sich her. "Bars und Diskos sind geschlossen - der Park ist unser Party-Ersatz" 23:05 Uhr: Eine 18-jährige Bielefelderin berichtet: &bdquo;Wir haben uns sonst immer mit Freunden in der Bar getroffen. Die Älteren von uns sind später ins Café Europa oder zum Boulevard. Das geht in diesem Sommer alles nicht." Für sie ist der Kunsthallenpark zum Party-Ersatz geworden. Die Prügeleien, die sich hin und wieder ereigneten, störten sie nicht. &bdquo;Das sind immer die gleichen Typen." Man kennt sich offenbar. Auch die Kunstwerke auf der Wiese sind beliebte Treffpunkte. Zumindest die, an denen man Platz nehmen kann. Auf der Wiese sitzen nur wenige. Weil die Flutlichtleuchten, die Skulpturen anstrahlen sollen, direkt ins Auge strahlen, sind sie mit Pappe, Plastiktüten oder Zeitungspapier bedeckt. 23.10 Uhr: Eine angeregte Unterhaltung über die Wirkung von Instagram-Fotos amüsiert eine große Gruppe direkt am kleinen Teich. Es herrscht weiterhin ein fröhliches Kommen und Gehen. Jugendlicher glaubt einen Zivilpolizisten ausgemacht zu haben 23.22 Uhr: Der Streifenwagen kehrt zurück. Langsam dreht er seine Runden über die Wiese. Nach sechs Minuten steigen drei Beamte vor dem Ratsgymnasium aus und beobachten sie Szenerie. 23.35 Uhr: Fünf bis sechs junge Männer stehen herum. Plötzlich klatscht einer von ihnen seinem Gegenüber die Hand ins Gesicht. Vier ergreifen die Flucht. Der Schläger und ein weiterer Kollege verfolgen einen der Flüchtenden in Richtung Adenauerplatz. Es geht rasend schnell. Einige der Umstehenden zücken ihre Handys. Die anderen nehmen kaum eine Notiz von der Auseinandersetzung. Die Polizei am anderen Ende des Parks hat davon nichts mitbekommen. 23.50 Uhr: Der Autor dieser Zeilen passt überhaupt nicht hier hin. Er ist allein, mit Mitte 40 deutlich zu alt und er schlendert unentwegt hin und her. Viele beäugen ihn skeptisch. Schließlich raunzt ihn ein junger Mann an: &bdquo;Glaub nicht, dass keiner checkt. Schöner Zivi." Der Jugendliche mit dem roten Pulli hält ihn für einen Zivilpolizisten und erzählt es nun im Park herum. 23.54 Uhr: Flaschensammler haben den Park längst als gute Einnahmequelle für sich entdeckt. Immer wieder ziehen sie mit Taschenlampen an den Gruppen vorbei und suchen nach Leergut. Die zahlreichen Wodka und Schnapsflaschen lassen sie liegen. Plötzlich durchkämmen neun Polizisten den Park 23.58 Uhr: Dann verlässt der Streifenwagen den Park. Hier ist alles ruhig. Ein Radler spielt neben dem Holzhaus mit seinem Hund. 0.02 Uhr: Vier Streifenwagen stoßen von verschiedenen Richtungen zum Park. Neun Beamte durchkämmen den Park mit eingeschalteten Taschenlampen. Sie suchen jemanden. Irgendetwas muss gerade passiert sein. 0.10 Uhr: Ein Radfahrer in einer Uniform der Stadtwache erscheint. Er kommt zu der Gruppe mit der Lautsprecherbox und bittet die Feiernden, mehr Abstand zu halten. An Corona denkt hier offensichtlich kaum jemand. Masken und Abstand gibt es hier nicht. Ein junger Partygänger versucht zu vermitteln: &bdquo;Hey Jungs, der Kollege hat hier was zu sagen. Bitte nehmt mal ein bisschen weiter Abstand voneinander. Da hat er recht." Die Polizei übergab den Minderjährigen später seinen Eltern 0.15 Uhr: Drei Polizisten haben zwei junge Männer aufgegriffen und überprüfen ihre Papiere. Wie sich später herausstellt, gab es an der Kreuzstraße einen Raub. Zwei Männer sollen an der Ampel einen Autofahrer angegriffen haben. Auch Pfefferspray war im Spiel. Die Täter sollen in den &bdquo;Kunsti" geflüchtet sein. Die Beschreibung der Verdächtigen passt auf das Duo. 0.20 Uhr: Inzwischen stehen neun Polizeibeamte um das sichtlich beeindruckte Duo herum. Sie werden durchsucht. Offenbar hat einer der Männer etwas bei sich, dass die Beamten bestätigt, die richtigen zu haben. Update, Dienstag, 25. August: Inzwischen sind die Ermittlungen in dem Fall vorangeschritten und die Kripo geht von einem Überfall mit einem Messer und einem schwer verletztem Opfer aus. 0.35 Uhr: Das verdächtige Duo kommt auf die Wache. Laut Leitstelle wurde ein Minderjähriger später seinen Eltern übergeben. Die Ermittlungen dauern noch an. "Gut, wenn hier zivile Polizisten sein würden" Ein 23-jähriger Mann fasst sich ein Herz und fragt den einsamen Journalisten, der ständig mit dem Handy hantiert, ob er Zivilpolizist sei. &bdquo;Ich fänd' es sehr gut, wenn hier Zivile sein würden", sagt er. &bdquo;Hier ist zuletzt viel passiert." Warum die Leute aneinandergeraten, könne er nicht sagen. Es werde einfach zu viel getrunken und auch Drogen seien im Spiel. 0.37 Uhr: Vor der Kunsthalle dröhnt die Baumheide-Hymne &bdquo;Pumpen" aus den Boxen. Auf der Terrasse des Kaffees wird gegrölt. 0.38 Uhr: Ein kurzer Regenguss geht auf die Feiernden herunter. Für viele ist es das Ende der Open-Air-Party. Ein Schläger sitzt mit gefesselten Armen im Gras vor dem Waldhof-Gymnasium 0.40 Uhr: Vorm Waldhof-Gymnasium an der gleichnamigen Straße platzt ein Streifenwagen zufällig in eine Schlägerei. Der Täter flüchtet. Die Beamten holen den Tatverdächtigen wenig später aus einem Gebüsch und setzen ihn mit auf den Rücken gefesselten Armen ins Gras. Der Geschlagene erstattet Anzeige wegen Körperverletzung. Vier Männer waren hier aneinandergeraten, hatten sich im falschen Tonfall gegenseitig angemacht, dann flog eine Faust. Ein Sprecher der Polizei sagt später über das Phänomen: &bdquo;Im Kunsthallenpark ist die Stimmung gereizter, die Zündschnüre sind dort besonders kurz. Da reichen Worte, die uns Erwachsene nicht weiter aufregen würden, damit plötzlich die Stimmung explodiert." Sechsmal hat die Polizei den &bdquo;Kunsti" in letzter Zeit räumen lassen. In dieser Nacht bleibt es anschließend ruhig. Um 4.45 Uhr nimmt die Polizei dafür zwei Schläger am Kesselbrink in Gewahrsam.

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