Bielefelder berichten: „Rassismus ist für uns Alltag“

Bielefeld. Die Proteste gegen die Polizeikontrolle und anschließende Festnahme des Bielefelders Soumaila Bande (23) am Kesselbrink hat auch in Bielefeld eine kontroverse Diskussion über Alltagsrassismus und Diskriminierung ausgelöst. Viele Bielefelder, die aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe Ablehnung und Unrecht erlebt haben, berichteten anschließend von ihren Erfahrungen mit Behörden, der Polizei oder einfach mit ihren Mitmenschen – auch hier. Eine ebenfalls betroffene Bielefelder Familie hofft, dass diese Diskussion nicht bald wieder verschwindet. Sie berichtet von ihren Erlebnissen, der Nachname der Familie ist der Redaktion bekannt. Ruandesin mit deutschem Pass &bdquo;Ich bin eingebürgert, deutsche Staatsbürgerin, ich habe zwei Hochschulabschlüsse und habe als Krankenschwester gearbeitet", sagt Jacqueline. &bdquo;Und trotzdem wird mir immer wieder gezeigt, dass ich nicht dazu gehöre. Rassismus ist für uns Alltag", sagt die 52-Jährige. Das geschehe oft schon mit der Frage, woher man komme. Einige fragen aus echtem Interesse. &bdquo;Aber da macht der Ton die Musik", sagt die Bielefelderin. Die Ruandesin flüchtete 1982 als Kontingentflüchtling aus dem ostafrikanischen Land Burundi nach Deutschland. Alle ihre 60 Mitschüler fielen in den 1990er Jahren dem Völkermord in der Region zum Opfer. Ehemann Jochen (55) ist nach eigener Aussage &bdquo;weiß, deutsch und Lehrer" und seit 17 Jahren glücklich mit Jacqueline verheiratet. Tochter Delia (20) ist Psychologie-Studentin und Eliane (14) geht aufs Gymnasium. Auf den ersten Blick leben sie ein voll integriertes, bürgerliches Leben. Trotzdem erleben alle vier regelmäßig Vorurteile und Ausgrenzung. Mikroverletzungen Jacqueline und ihre Töchter sprechen von einer Vielzahl von &bdquo;Mikroverletzungen", die sie aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Migrationshintergrunds erleben. Es seien nicht immer die ganz großen rassistischen Ausfälle, trotzdem seien Ablehnung und (auch ungewollte) Diskriminierungen ständige Begleiter. &bdquo;Wer schon als Kind lernt, dass weiße Kinder nicht mit dir spielen dürfen, der fängt irgendwann selbst an, so zu denken", sagt Jacqueline: &bdquo;Die Erregung ist irgendwann schnell da", erklärt sie, warum vor allem junge Betroffene aufbrausend reagieren, auch wenn die Situation für sich vielleicht dazu noch keinen Anlass gibt. Ungerechte Lehrer In der 8. Klasse erlebte Delia, dass ihre Deutscharbeit schlechter benotet wurde, als die der Sitznachbarin: &bdquo;Dabei hatten wir die gleiche Punktzahl", sagt die 20-Jährige. Als die Eltern wegen unerklärlicher, zusätzlicher Punktabzüge bei der Schulleitung des Gymnasiums vorsprachen, wurde ihnen mitgeteilt, dass man nicht sicher sein könne, dass zu Hause Deutsch als Erziehungssprache gesprochen werde. Für Jochen, Gymnasiallehrer der Fächer Deutsch und Geschichte, ist klar, dass diese Äußerung nicht gefallen wäre, wenn seine Frau nicht mitgekommen wäre. Jacqueline war damals &bdquo;erschrocken und wütend". Delia wechselte wenig später ihre Schule. Eliane hat auf ihrem Gymnasium weniger Schwierigkeiten. Ihre Noten sind sehr gut. Dennoch müsse ihr Vater häufiger Gespräche mit Lehrern wegen &bdquo;kulturell bedingter Missverständnisse" führen. Die 14-Jährige, die es oft erlebt, dass Gleichaltrige einfach ihre Haare anfassten: &bdquo;Die fragen gar nicht erst. Die greifen mir einfach an den Kopf, weil die Haare angeblich so ’exotisch’ sind." Darauf reagiere seine Tochter mit scharfen Worten, sagt Jochen. Das werde dann als unangemessen zurückgemeldet: &bdquo;Ein blondes, hellhäutiges Mädchen musste Haut und Haare noch nie rechtfertigen. Meine Jüngste tut es wöchentlich." Rassismus an der Uni Aber auch im universitären Umfeld erlebt Mutter Jacqueline ernstzunehmende Diskriminierungen. Längst ist sie deutsche Staatsbürgerin, sie hat zwei ausgezeichnete akademische Abschlüsse (Pädagogik und Sozialwissenschaften). &bdquo;Selbst in diesem Setting wird mir oft abgesprochen, dass ich alles ganz verstehen kann." Bei einer Bewerbung zur Studiengangsleiterin kam die 52-Jährige in die engere Wahl. Bis ihr mitgeteilt wurde: &bdquo;Wir glauben nicht, dass sich Professorinnen und Professoren von einer Schwarzen Anweisungen geben lassen. Wir wollen ihnen das ersparen." Erst als Jacqueline mit einer Klage wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgesetzes drohte, wurde eine andere Begründung nachgeliefert. Der Bielefelderin fielen ihre Abschlüsse nicht schwer: &bdquo;Dieses tolle Land bildet uns sehr gut aus, aber dann lässt man uns das Gelernte nicht anwenden." Bis heute ist Jacqueline noch nicht unbefristet angestellt gewesen. Verletzende Behörde Was Jacqueline und ihre Töchter erleben, sind keine Einzelfälle. Die Sozialwissenschaftlerin engagiert sich ehrenamtlich für Menschen am Rande der Gesellschaft: &bdquo;Wir unterhalten uns sehr oft in Migranten-Gruppen über solche Erfahrungen. Es erleben ganz viele." Ihre Schwester sei etwa zu Beginn der Corona-Krise mit ihrer zehnjährigen Tochter auf dem Weg zum Supermarkt von Polizisten aufgehalten worden. Mit den Worten: Was machen Sie hier?" habe man sie auf eine Ausgangssperre hingewiesen, die es nie gab. Schulbehörden fragten jedes Jahr aufs Neue, ob ihre Töchter Sprachförderung benötigten – bei besten Deutschnoten. Selbstbezeichnung Der Psychologie-Studentin Delia ist wichtig, dass die Menschen sie nicht über Begriffe definieren, die sie selbst ablehnt – Schwarzafrikaner oder Afrikaner, mit brauner Haut oder à la Milchkaffee: &bdquo;Ich positioniere mich als ’Schwarz’ und als Afro-Deutsche. Ihre Mutter zieht es vor, sich als Ruandesin mit deutschen Pass zu bezeichnen. Ihre Hautfarbe beschreibt sie als dunkelbraun oder dunkelhäutig. Selbst innerhalb der Familie unterscheiden sich die Definitionen. &bdquo;Die Selbstbezeichnung ist für uns wichtig", erklärt Delia. Jacqueline betont: &bdquo;Die Weißen müssen lernen, unsere Argumente anzuhören. Wenn ich dunkelbraun sage, muss man das nicht hinterfragen." Dass Hautfarbe überhaupt kein Thema sein sollte, hält Jochen allerdings für Heuchelei. Delia gibt ihm recht: &bdquo;Es wäre doch ignorant, die Hautfarbe nicht zu sehen. Es geht darum, sie zu bezeichnen, dabei aber nicht abzuwerten." Eliane ergänzt: &bdquo;Genauso ist es mit dem ’Negerkuss’. Diese alte Bezeichnung mag für einige schöne Kindheitserinnerungen auslösen, aber der Begriff ist absolut rassistisch und inakzeptabel." Zukunftshoffnung &bdquo;Sprache ist ein Machtinstrument", sagt die Ruandesin. Deshalb sei es wichtig, &bdquo;dass wir uns sprachlich auf Augenhöhe begegnen. Sonst wird es schwierig bleiben." Das Problem sei viel zu oft, dass den Menschen mit Migrationsgeschichte nicht zugehört werde. &bdquo;Man spricht ganz viel über uns, aber nicht mit uns." Das passiere nicht nur der älteren Generation, sagen die Töchter. Auch jungen Menschen. &bdquo;Rassismus passiert auch Menschen, die wir mögen und die wir lieben", sagt Delia. Ein Ex-Freund sagte ihr eines Tages, dass er sie seinen Eltern nicht vorstellen könne. Deshalb wünscht sich die 20-Jährige, dass sich die Menschen mehr miteinander beschäftigen. &bdquo;Wenn uns das nicht gelingt, bleibt der Rassismus unter uns weiter im Verborgenen." Lesen Sie auch: Der Fall Soumaila Bande - Ich bin Opfer von Polizei-Willkür Kommentar: Der Rassismus-Vorwurf gegen die Polizei ist falsch Rassismus: Drei Betroffene berichten Neger-Arbeit - Rassismus-Skandal in Bielefelder Behörde

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