Das Anrecht auf exzellenten Radverkehr soll in Bielefeld einklagbar sein

Bielefeld. Freie Fahrt für den Radentscheid? Die Paprika-Kooperation im Rat will ihre Ein-Stimmen-Mehrheit nutzen, um am 18. Juni quasi alle Forderungen des von 26.567 Bielefeldern unterschriebenen Bürgerbegehrens umzusetzen. Ungewöhnlich ist der Weg: Die Zustimmung soll nicht per Beschluss erfolgen, sondern in einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gegossen werden – zwischen Oberbürgermeister und drei Vertretern des Radentscheid-Bürgerbegehrens. Ein Unterschied: Ein Ratsbeschluss kann nach sechs Monaten verändert werden, der Vertrag dagegen ist fünf Jahre gültig und einklagbar. Für die kooperierenden SPD, Grüne, Bürgernähe und LiB wird damit Sicherheit geschaffen. Ein Geschmäckle kurz vor der Kommunalwahl können sie nicht erkennen. Jens Julkowski-Keppler (Grüne) stellt klar, dass es nur zwei andere Wege gegeben hätte: Das Bürgerbehren, wie festgestellt, für unzulässig zu erklären – oder ihm anschließend dann doch per Ratsbeschluss inhaltlich zu folgen. Sonst Klageweg Für beide Fälle aber habe der Radentscheid bereits den Klageweg angekündigt. Deshalb der Vertrag. Juristisch sei das von Professor Harald Hofmann geprüft worden, demselben Juristen, der das Bürgerbegehren als unzulässig eingeordnet hatte. Welche Dimension der Vertrag hat, wird deutlich, wenn Zahlen ins Spiel kommen. Noch vor sechs Jahren hatte Bielefeld keinen Etat für den Radwegebau. Dann wurden es 50.000 Euro/Jahr. Heute sind es gut zehn Mal so viel. Die nun im Vertrag geregelten Punkte zur Förderung des Radverkehrs liegen bei 7 bis 15 Millionen Euro jährlich, manche schätzen noch mehr, da es zu vielen Projekten auch Fördertöpfe gibt, ist von Investitionen jenseits der 20 Millionen Euro jährlich auszugehen. Große Investitionen Das soll geschehen: Jedes Jahr sollen mindestens zehn Kilometer Fahrradstraßen errichtet werden, an Hauptstraßen beidseitig fünf Kilometer geschützte Radwege entstehen, mindestens 5 Kreuzungen oder Kreisverkehre umgestaltet werden, fünf Ampelkreuzungen optimiert und der Radschnellweg (Gütersloh/Herford) weiterverfolgt werden. Alles "qualitativ hochwertig". Hinzu kommt: Fahrradstellplätze sollen ausgebaut, Radverkehrsanlagen nutzbar gehalten und neuere eigene Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen mit elektronischen Abbiegeassistenten ausgestattet werden. Das Rad-Verleihsystem soll wachsen, eine Fahrradstaffel kommen. Und: Es soll für die Nutzung des Rades geworben werden. Wird eines der jährlichen Ziele nicht erreicht, geht der Vertrag an dieser Stelle in ein sechstes Jahr. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Björn Klaus: &bdquo;Das ist ein Meilenstein für den Radverkehr, wir holen nach, was über Jahrzehnte nicht investiert worden ist." Michael Gugat (LiB): &bdquo;Ich glaube, da steht die breite Mehrheit der Bielefelder hinter." Christian Heißenberg (Bürgernähe): &bdquo;Das ist ein extrem dickes Brett, aber jeder Bielefelder sollte sich frei entscheiden können, welches Verkehrsmittel er benutzt – und dieses dann alltagstauglich nutzen können." Vetorecht Klaus sieht eine große Aufgabe auf die Stadt zukommen. Ist das Amt für Verkehr ihr gewachsen? &bdquo;Freundlich ausgedrückt sehe ich da sehr viel Luft nach oben." Julkowski-Keppler: &bdquo;Bei Bedarf muss es personell aufgestockt werden, auch das steht im Vertrag." Laut diesem werden auch Claudia Böhm, Pip Cozens und Michael Schem vom damit erledigten Radentscheid an Planungen beteiligt. Es gibt Vetorechte – einigt man sich nicht, entscheidet die Politik. Opposition irritiert Die Opposition ist irritiert. Die CDU wie auch die FDP. Jan-Maik Schlifter (FDP) moniert, dass nach der Deutschen Umwelthilfe (Jahnplatz-Thema) erneut ein Akteur jenseits der Politik mit Klageandrohungen politisches Handeln beeinflusse. "So wichtige Themen über diese Vertrags-Krücke festzuzurren, das ist ungut und ist keine saubere Politik", sagt Schlifter. Er spricht davon, dass "Demokratie outgesourct wird". Ihn wundert, dass nicht vor zwei Jahren schon die Themen des Radentscheids beschlossen wurden, "da hätte es die ganze Kampagnen-Folklore doch gar nicht gebraucht". Man sei sich doch offenbar einig gewesen.

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